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Herkules und die neue Sachlichkeit

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Nach der Vorstellung des Außenministeriums („Die Furche” Nr. 3) setzen wir heute unsere Veröffentlichung über die österreichischen Ministerien mit einem Besuch im Finanzministerium fort.

Vom Standpunkt des einzelnen Menschen ist • die Finanz eine unangenehme, lästige, bestenfalls eine sekundäre Angelegenheit. Dem Menschen kommt es vor allem darauf an, zu leben: zu essen, zu trinken, zu wohnen, zu träumen, zu denken, zu schaffen, gut oder schlecht zu den anderen Menschen zu sein. Mit Geld hat das von vornherein nichts zu tun.

Wie sehr uns das Ganze schon immer fremd und unsympathisch gewesen ist, geht schon daraus hervor, daß das Wort Finanzen noch bis ins 17. Jahrhundert hinein für Wucher, Betrügerei und Unterschleife geläufig war. Gleichzeitig damit begann man es mit den von der Bevölkerung eingehobenen Steuern und Abgaben zu identifizieren, die der Landesfürst vor allem zur Führung von Kriegen, kaum aber zu anderen Leistungen allgemeiner Art für die Bevölkerung benötigte. Die Landesfürsten ließen sich herbei, für erwiesene Dienste und erworbene Verdienste, Erleichterungen, Begünstigungen und Befreiungen von Steuern zu gewähren. Dieser Brauch liegt den Menschen in Ländern wie dem unsri- gen noch immer tief im Blute. Wir sind immer noch geneigt, die öffentlichen Finanzen nicht als Pecunia publica, sondern als eine über uns stehende, uns diktierende Einrichtung zu betrachten, als einen Zwang, von dem man sich durch Privilegien und Begünstigungen zu befreien sucht. Unsere auf dem römischen Recht basierende republikanische Verfassung steht im Widerspruch zu dieser unserer Tradition.

Gespaltene Funktionen

Es gibt noch einen weiteren Grund für unsere tiefe Unlust, Steuern und Abgaben zu zahlen. Er ist dem vorher genannten entstehungsmäßig entgegengesetzt, denn er entspringt dem heutigen- Entwicklungsstand unserer Gesellschaft und der daraus resultierenden Rolle des einzelnen in ihr. Wir leben in einer Welt, in der die Arbeitsteilung unerhört vorgeschritten ist. Kein Mensch arbeitet mehr „für sich” oder für seine Familie, wie das noch in bäuerlichen Wirtschaften vor gar nicht so langer Zeit üblich war. Dort wurde nicht nur gesät und geerntet, gemahlen und gebacken, gesponnen und gewebt, gemolken und gegerbt, gefällt und gebaut, sondern zuweilen sogar geheilt und unterrichtet. Heute jedoch ist jegliche menschliche Arbeit nur noch im all gemeinen Zusammenhang nützlich: sie wird ausschließlich für die anderen Menschen geleistet. Sie mag einen dabei befriedigen oder nicht, auf jeden Fall ist im Bewußtsein des einzelnen der gesellschaftliche Charakter seiner Arbeit fixiert. Das Entgelt, das er dafür an Lohn, Honorar oder Profit bekommt, ändert nichts daran, zu sehr bedarf er ihrer, um leben und Weiterarbeiten zu können. Und da kommt nun der Staat und verlangt Steuern und Abgaben für gesellschaftliche Leistungen, da doch unsere eigene die längste Zeit schon auch eine solche ist! Hier besteht ein tiefer Widerspruch. Er entspringt der ungleichen Entwicklung einerseits der Organisation der gesellschaftlichen Arbeit und anderseits der Organisation der Gesellschaft selbst. Arbeitsorganisatorisch leben wir fast schon im Kommunismus, gesellschaftsorganisatorisch aber noch in einem Staat, der im Prinzip die Mittel für seine Leistungen nicht anders von der Bevölkerung einhebt wie der Feudaloder absolutistische Staat.

Das Finanzministerium widerspiegelt in seinem ganzen Aufbau äußerlich nur teilweise die ganze transitäre und widerspruchsvolle gesellschaftliche Situation, in der auch wir in Öster reich uns befinden. Das ist nur selbstverständlich: der Aparat ist in seiner Struktur immer konservativer als die Politik und das Leben, die an ihn immer neue, sich ständig ändernde Anforderungen stellen. Dennoch erhalten wir, wenn wir uns das unten abgedruckte Organisationssehema des Finanzministeriums näher ansehen, einen gewissen Begriff von der ungeheuren Vielfalt seiner Aufgaben. Man kann sie vielleicht in drei Klassen einteilen: Aufgaben herkömmlicher Art, Aufgaben vorübergehender Art, die häufig aus Situationen der jüngeren Vergangenheit entstanden sind, und Aufgaben neuerer und neuester Art. von denen jedoch manche gleichfalls vorübergehend und andere zum Bleiben bestimmt sind.

Die den Aufbau des Ministeriums krönende Präsidial Sektion enthält zwei Abteilungen von rein inneradministrativer Bedeutung, dafür aber zwei weitere — die Abteilungen 12 und 13 —, in denen an der internationalen Stellung Österreichs im Rahmen der derzeit vor sich gehenden und in weiterer Planung befindlichen internationalen Zollzusammenarbeit in ECE, OECD, Europarat, GATT und EFTA gearbeitet wird. Man kann sich die Bedeutung dieser beiden Abteilungen vorstellen, wenn einem bewußt ist, daß im Verlaufe der nächsten zehn Jahre Österreich, im Verband mit den übrigen sechs Ländern der EFTA, Waren aus diesen Ländern und in diese Länder mit immer geringeren Zöllen ein- und ausführen wird, bis schließlich im Jahre 1970 bei uns und in Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Portugal, der Schweiz und vielleicht auch nun in Finnland volle Zollfreiheit für die Waren dieser Länder bestehen wird. Diese Aussicht beschäftigt den Finanzminister stärker als viele andere Stellen in Österreich, die mindestens so stark daran interessiert sind.

Die fünf Säulen

Die erste der fünf Säulen des Finanzministeriums ist die Budgetsektion, deren langjähriger Mitarbeiter und Leiter der jetzige Finanzminister war. In den ersten fünf oder vielmehr sechs Abteilungen dieser Sektion laufen sämtliche finanziellen Anforderungen aller Bundesministerien und einer Reihe anderer staatlicher Organisationen zusammen. Hier werden sie miteinander und den voraussichtlichen (und nicht voraussichtlichen) Möglichkeiten entsprechend ausgeglichen. Auch die Aufgabe der Abteilung Nr. 6, die in Wirklichkeit Nr. 7 heißen sollte, weil eine Nummer 2 a dazwischen ist, ist eine ausgleichende: bei der Bemessung der auf die Länder, Bezirke und Gemeinden fallenden Abgabenquoten den besonderen Kapazitäten jener proportionell Rechnung zu tragen. (Wenn irgendwo, so ist in diesem Ministerium die Anwendung der beiden Wörter „Rechnung tragen” angebracht.) Die volle Bedeutung der Sektion I soll in einem zweiten Artikel an Hand des österreichischen Bundesbudgets für das Jahr 1961 illustriert werden. Jetzt schon kann aber gesagt werden, daß hier über gut zwei Drittel unseres nationalen Schicksals für die nächsten 50 Jahre entschieden wurde. Die Abteilung 2 a repräsentiert ein Muster

beispiel des modernen staatlichen Eingreifens in die Wirtschaft: die Stützung von Preisen zugunsten aller, die das wünschen und durchzusetzen imstande sind. Es ist ein Paradoxon, daß schon seit langem und, ehe man den Begriff Wohlfahrtsstaat kannte, das konservativste aller Wirtschaftsgebiete: die Landwirtschaft, damit die Axt an den liberalen Nachtwächterstaat gelegt hat.

Die Sektion II enthält eine bunte Mischung modernster und ältester finanzieller Ressorts des österreichischen Staates: Beiträge für Familien mit Kindern und für den Bau von Wohnhäusern einerseits und anderseits die pädagogische Einhebung von Abgaben auf den Genuß von Tabak und Branntwein, mit denen sich schon der Staat Maria Theresias finanziert hat. Die Abteilung 20 a herrscht über ein Ressort, dem kein langes Leben be- schieden ist: den aus den Verhältnissen von 1945 hervorgegangenen Angelegenheiten der Öffentlichen Verwalter und der Vermögenssicherung (die sich jedoch vornehmlich in den Händen der Sektion V befinden). Abteilung 20 a kontrolliert eine Einrichtung, mit deren Einführung und Organisation wir immer noch auf der ganzen Welt führen: die Postsparkasse, gegenüber deren Universalität ähnliche Organisationen in anderen Ländern abfajlen.

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