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Hinter den Fassaden

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Die innenpolitischen Probleme in Jugoslawien werden von der Weltpresse zwar mit Interesse registriert, doch meistens nur am Rande. Die aufmerksamen Zeitungsleser erinnern sich noch an die über die Grenzen Jugoslawiens verbreiteten Nachrichten über das Interview der bekannten Belgrader Zeitung NIN mit Dr. Vladimir Bakarii vom 8. März dieses Jahres. Dr. Bakarii ist damit der erste kroatische Kommunist, der zugegeben hat, daß das kommunistische Jugoslawien weder die soziale noch nationale Frage gelöst hat, wie das von der Regierung bisher immer wieder behauptet wurde. Der Führer der kroatischen Kommunisten geht ziemlich weit und sagt offen, daß die Sozialistische Republik Kroatien nicht nur Pflichten haben soll, sondern als wichtigster

Produzent in Jugoslawien auch Rechte, besonders was die Beteiligung an der Außenpolitik betrifft. Es ist bekannt, daß diese „Republik“ politisch sehr isoliert war und ist.

Wieder Großserbien?

Die Ereignisse in diesem Jahr haben immerhin mehr denn je seit Bestehen des kommunistischen Jugoslawien deutlich gezeigt, daß es kein Jugoslawentum gibt, des mehr als Opportunismus ist, und daß die großserbische Übermacht auf allen Gebieten vorherrscht. Denn sonst würde Dr. Bakaric nicht erklären, daß man von der Weltanschauung Pero Živkovics (ein serbischer Zwischenkriegspolitiker) nur in der Theorie abgekommen ist, in der Praxis jedoch nicht. Denn es hat sich erwiesen, daß der überwiegende Teil der serbischen und montenegrinischen Kommunisten sozusagen in allen Punkten die „ehemalige“ großserbische Bourgeoisie einfach imitiert, wobei die kroatischen und slowenischen Kommunisten langsam zur Besinnung kommen. Die KP Montenegros und Serbiens betrachten sich als „Hüter des Staates“, und sie haben am 12. Dezember 1963 einen eigenen Vertrag für diese Aufgabe beschlossen. Die vielbesungene monolithische Einheit der Partei hat sich, was die nationale Frage betrifft, auf zwei Pole geteilt, auf „Integrationalisten“ und „Antiinte- grationalisten". Das ist kein Geheimnis mehr. Die Verantwortlichen sind auch geteilter Meinung über die Entwicklung der Wirtschaft, nachdem klargeworden ist, daß der bisherige Weg mit politischen Fabriken und Zentralisierung nicht besonders erfolgreich war und daß die Geduld der breiten Massen zu Ende geht.

Die politische, ideologische, kulturelle und nationale Gärung in Jugoslawien begann, wie schon so oft festgestellt wurde, in den fünfziger Jahren. Aber zwischen der damaligen und heutigen Krisis besteht doch ein Unterschied, und das sollhier betont werden. Während damals, trotz Abfall Milovan Djilas, die KP noch innerlich stark und geschlossen war, ist sie heute nur noch ein Zentrum des Sammelns für „Opportunisten“, die aber nicht immun gegen „parteischädigende“ ideologisch-politische Einflüsse sind. Damals also gingen unabhängige Intellektuelle auf die „Barrikaden“ heute hat sich der Kampf der Meinungen innerhalb der Partei selbst verlagert. Und das ist sehr eng mit der Erscheinung der Republiken als Kompetenzorgane und nationale Einheiten verknüpft. Besonders die bis jetzt sehr geschlossene lind isolierte Sozialistische Republik Kroatien strebt danach, sich wirtschaftlich und national mehr zu verselbständigen. Doch von dem VIII. Kongreß des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, der noch heuer stattfinden soll, erwartet man in dieser Hinsicht keine Formel, die den wirtschaftlichen, sozialen und nationalen Problemen gerecht werden könnte.

So auch das Problem des Lebensstandards werden die Kommunisten nicht lösen können, obwohl sie genau erkannt haben, welche große Gefahren der sehr niedrige Lebensstandard der breiten Massen für sie darstellt. Die sporadischen Streiks in manchen Fabriken (zum Beispiel in Razine) waren Signale, um die Initiative zu ergreifen. So wurde auf dem VI. Plenum des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, das im März dieses Jahres stattgefunden hat, als neue Parole der Kampf um die Hebung des Lebensstandards proklamiert. Es ist besonders bezeichnend, daß sich die kroatische Seite auf diesem Plenum hinsichtlich der Wirtschaft sehr kritisch und unzufrieden zeigte, während die serbische Seite mit dem, was bis jetzt getan wurde, kritiklos zufrieden war. Der aktive kroatische Kommunist, Mirko Triapolo, erklärte: „Uns ist es nicht gelungen, die fundamentalen Fragen zu lösen, während wir weitere Probleme nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt haben.“ Die kroatische Seite ist gegen politische Investierungen. Sie verlangt stärkere Dezentralisierung und hebt hervor, daß die bisherige Zentralisierung der Mittel nicht für das System der Selbstverwaltung förderlich war.

Unzufriedene Arbeiter

Heute beginnen sich nämlich auch die Kommunisten zu fragen, wo der Grund für die so niedere Belohnung der Arbeiter zu suchen ist. Es wurde amtlich festgestellt, daß eine Familie mit zwei Kindern monatlich mindestens 53.650 Dinar brauchen würde, während dieser Familie durchschnittlich nur 35.650 Dinar zur Verfügung steht (100 jugoslawische Dinar = öS 3,25). Auf dem neulich stattgefundenen Kongreß der Gewerkschaft in Belgrad wurde offen zugegeben, daß 38 Prozent der Arbeiter im Monat weniger als 25.000 Dinar verdienen. Wenn man diese Zahlen mit der unaufhaltsamen Preissteigerung, besonders bei den Lebensmittelprodukten, vergleicht, dann kann man. von dem Regime keine Zauberlösung erwarten. Während die „neue jugoslawische Klasse“ ein wirklich luxuriöses Leben führt, herrscht in den Betrieben revolutionäre Stimmung, wie die Zeitungen oft zu berichten wissen. So berichtete die Zagreber Zeitung „Vjes- nik u srijedu“ (8. April 1964) über eine aufregende Betriebsversammlung, wo den anwesenden Abgeordneten Fragen wie folgende gestellt worden sind: „Antworten Sie mir, bitte, warum nur die Mitglieder der KP Wohnungen bekommen können?“ — „Ist es menschlich, daß jemand 100,000 Dinar verdient, der andere aber nur 14.500 Dinar, und beide leben in derselben sozialistischen Republik?“ — „Warum benehmen sich die Direktoren so, als ob der Betrieb ihnen gehören würde?“

Von der Kulturfront

Auf dem kulturellen Sektor blühen ebenfalls keine Blumen. Ein Schriftsteller hat in der schon erwähnten Zeitung NIN richtig festgestellt: „Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß in den letzten Jahren eine Stagnation und traurige Ruhe im literarischen Leben herrschte. Das geistige, schöpferische und literarische Klima fehlte überhaupt, und die Gespräche der Schriftsteller wurden hauptsächlich über die lächerlich kleinen Honorare geführt.“

Anderseits waren die kroatischen Historiker sehr aktiv, denn sie erlaubten sich Kritik an den amtlichen antikroatischen Thesen der „Übersicht der Geschichte des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“ zu üben. Diese Kritik geschah auf einem Treffen der Historiker, das am 12. Dezember 1963 in Zagreb stattgefunden hat. Der gewagte Versuch der kroatischen Historiker veranlagte die führenden Ideologen Belgrads, auf das Zagreber „Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung“, das für die Kritik verantwortlich ist, einen Druck auszuüben. Die Zeitschrift „Kommunist“ (26. März 1964) mußte darnach sogar feststellen, daß manche Zagreber Historiker noch stärkere nationale Tendenzen zum Ausdruck bringen als die kroatischen Nationalisten selbst. Die Ideologen in Belgrad „vergessen“

offenbar, daß die administrative und zentralistische Bekämpfung des neuerlichen nationalen Erwachens eines kleinen, aber alten europäischen Volkes nur zu einem blutigen Zusammenstoß führen kann, wie das schon einmal unter Mithilfe nazistischer Regime in Europa und in Jugoslawien selbst (die Vorkriegsregierungen in Belgrad waren ja ausgesprochen faschistisch) geschah.

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