6717102-1964_48_07.jpg
Digital In Arbeit

Hoffnung in Chile

Werbung
Werbung
Werbung

Am 4. November hat der Anwalt und Universitätsprofessor Dr. Eduardo (Vorname) Frei (Vatername) Montalva (Muttemame) die chilenische Präsidentschaft übernommen. Er ist Vater von sieben Kindern (eine Tochter ist Nonne) und der erste christliche Demokrat, der in Lateinamerika das höchste Staatsamt bekleidet. Das beruht darauf, daß in Lateinamerika die zum Teil aus den Bürgerkriegen entstandenen „traditionellen“ oder rein personalistischen Parteien um die Macht ringen, während die sogenannten „weltanschaulichen Parteien“ bisher geringe Chancen hatten. Dabei gibt es jetzt die christlich-demokratische Bewegung in 16 der 20 Länder. Professor Dr. Frei war selbst Präsident des „Weltkongresses christlich-demokratischer Parteien“, der 1960 in Santiago abgehalten wurde, und Vizepräsident des Straßburger Weltkongresses 1962. Aber auch er warnt selbst immer wieder davor, die westeuropäischen und lateinamerikanischen christlichsozialen Parteien gleich zu beurteilen. So bekämpft die Kirche in Kolumbien zum Beispiel die dortige christlich-demokratische Partei, und Dr. Frei hat im Wahlkampf immer wieder betont, daß seine Partei

keine „konfessionelle“ sei und der Bischof sich „neutral“ gehalten habe. Dr. Frei gehörte bis jetzt zu der linken Opposition, wie die meisten anderen katholischen Parteien, wenn auch die venezolanische „COPEI“ Koalitionspartei war und es die peruanische ist.

Wenn zwei dasselbe tun

Die Gefahr der Kubanisierung Chiles, wie sie ein Wahlsieg des Volksfront-Kandidaten Dr. Allende mit sich gebracht hätte, zeigt, daß die westeuropäischen Regierungen alles tun müssen, um einen Fehlschlag des Frei-Regimes zu verhindern. Dr. Frei sagte kürzlich:

„Ich glaube, daß Europa eine Ver-

antwortung für Lateinamerika hat. Wir sind durch Europa geformt, kolonisiert und erzogen worden. Es hat mehr Verständigungsmöglichkeiten als mit irgendeinem anderen Kontinent. Europa muß sich Argentinien und Chile näher fühlen als zum Beispiel einem südostasiatischen Land."

Auf einer anderen Pressekonferenz sagte er:

„Die Europäer kennen uns nicht. Die Christlichen Demokraten in den Industriestaaten arbeiten mit Formeln, die uns unterentwickelten Ländern nichts nützen. Sie dürfen uns nicht etwa sagen, sie wollen nur nach ihrer Einstellung mit uns operieren."

Eine notwendige „friedliche Revolution“

Jahren seiner Präsidentschaft ist der Dollar von 850 auf offiziell 3265 und (auf dem schwarzen Markt) inoffiziell 4000 „Chilenos“ gestiegen. Alessandri hat eine schärfe Devisenzwangsbewirtschaftung eingeführt entgegen seinen wirtschaftspolitischen Anschauungen — denen eines Großindustriellen —, aber unter dem Druck von Inflation und Außenhandelsdefizit.

Dr. Frei glaubt dagegen an die

Dabei spielte Dr. Frei in erster Linie auf die wirtschaftspolitische Orientierung an. Er befürwortet eine weit stärkere Intervention des Staates in der Wirtschaft, als sie in Westeuropa im Gange ist, und erklärt, daß die „freie Marktwirtschaft“ sehr fern sei. In der Tat ist der Versuch des abtretenden Präsidenten Jorge Alessandri, Chile nach westeuropäischen Rezepten zu sanieren, längst gescheitert. In den fünf

Planwirtschaft. Er spricht — wie Kennedy — von der notwendigen „friedlichen Revolution“ und erklärt: „Chile' wird die vierte Revolution nach der mexikanischen, bolivianischen und kubanischen verwirklichen. Unsere wird anders und tiefgreifend sein.“

Präsident „für alle“

Dr. Frei will sich von parteipolitischen Interessen nicht leiten lassen, sondern „Präsident aller Chüenen“ sein. Zu dieser Haltung hat er um so größere Veranlassung, als seine Partei nur über 23 unter 147 Abgeordneten verfügt, also eine Koalition suchen muß. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, daß die Rechte ihn zwar als das „geringere Übel“ mitgewählt hat, aber die Reformen bekämpft, während die Linke sie billigt, aber Frei aus parteipolitischer Sicht bekämpft. Dr. Frei erwartet, daß das Parlament ihm durch ein Ermächtigungsgesetz freie Hand für die versprochenen strukturellen Reformen gibt, und erklärt, sonst auf die Parlamentswahlen, die schon im kommenden März stattfinden, warten zu wollen. Eine völlige Umgruppierung der Parlamentsmehrheit ist nach der Präsidentschaftswahl in der Tat vorauszusehen.

Inzwischen kommt Dr. Frei eine wirtschaftliche Entwicklung zu Hilfe, mit der er gewiß nicht hatte rechnen können. Er will die Agrarreform — in der er den entscheidenden Faktor zur Hebung des Standards der Bevölkerung sieht — mit der Erhöhung der Kupferaus- fuhreh finanzieren, die zur Zeit etwa 70 Prozent der Deviseneinnahmen bringen. Die aufsehenerregende Steigerung des Weltmarktpreises für Kupfer kann die sehnlich erwartete Wendung für die chilenische Wirtschaft bedeuten und so den hoffnungsvollen Auftakt für die Präsidentschaft Dr. Freis darstellen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung