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Hoffnungsschimmer in Finnland

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Der Abgeordnete des finnischen Parlamentes — es ist einer der führenden Männer der Sozialdemokratischen Partei, der für einen wichtigen Regierungsposten vorgemerkt ist — verliert seine bisherige freundliche Gelassenheit und wirkt nach meiner Frage plötzlich ratlos und unruhig. Die Frage lautete: „Glauben Sie, daß die Volksdemokraten in einer Regierung Paasio im Jahre 1966 noch dasselbe Sicherheitsrisiko und dieselbe Gefahr für Finnland darstellen, wie sie es zweifellos im Jahre 1958 unter Fagerholm gewesen wären?“ — Eine schwere Frage, es gibt keinen demokratischen Politiker in Finnland, der sich in den letzten Wochen diese Frage nicht immer und immer wieder gestellt hätte, und es gibt keinen, der sie zufriedenstellend hätte beantworten können. Und so wundere ich mich auch nicht, wenn mein finnischer Freund tief bedrückt und zögernd antwortet: „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, vielleicht nicht, wir hoffen das, vielleicht aber doch...“

Um die Frage der Beteiligung der Kommunisten kreisten schon in den Wochen vor der Wahl viele Erwägungen. Die einfachste Art ihrer Regierungsbeteiligung und auch die gefahrloseste wäre es gewesen, sie in eine Allparteienregierung einzubeziehen. Das war der Plan Präsident Kekkonens, der davon über

zeugt ist, daß man die Volksdemokraten, die zweifellos eine politische Wandlung durchgemacht haben, nicht mehr von der Regierungsverantwortung ausschließen kann, nicht mehr aus innerpolitischen Erwägungen heraus diskriminieren kann, wie es die Linkssozialisten in den drei Arbeiterparteien formulieren. Dieser Plan scheiterte an dem Widerstand der Konservativen, und ohne die Konservativen wollten die beiden kleinen liberalen Parteien nicht mitmachen.

Nicht „nein“, sondern „jein“

Bis in die letzten Tage hinein wiesen mit einer geradezu eisernen Hartnäckigkeit die Agrarier — die jetzige Zenterpartei — darauf hin, daß die Wählerschaft sich für die Linke entschieden habe und die Linke, das heißt in erster Linie die siegreiche Sozialdemokratie, nun auch die ganze Verantwortung übernehmen müsse. Das aber wollte die Sozialdemokratie nicht, und zwar aus mehreren Gründen:

• Eine Koalition der drei Linksparteien hätte nur eine Mehrheit im Parlament von 103 zu 97, das ist von vornherein sehr wenig, und eine Gruppe von 67 Abgeordneten kann jedes wichtigere Gesetz zu Fall bringen und seine Durchführung bis nach den nächsten Wahlen verschieben.

• Eine solche Koalition würde die

Sozialdemokraten vollständig in die Hand der Volksdemokraten geben und die Spannung zu allen außenstehenden Parteien zum Schaden des Landes unerhört verschärfen.

• Zur Durchführung des großen wirtschaftlichen Aufbauprogrammes, das sich die Sozialdemokraten zum Ziel gesetzt haben, ist die Mitwirkung der Zenterpartei unerläßlich. Die Reformen werden schmerzliche Eingriffe in die Agrarwirtschaft erfordern, die nicht gegen eine breite Bauemfront durchgeführt werden können.

• Dazu mag noch kommen, daß die Sozialdemokraten sich der Haltung Moskaus nicht ganz sicher sind; die „politische Eiszeit“, die zur langjährigen Isolierung der Partei in einer fruchtlosen Opposition führte, scheint zwar vorbei zu sein, doch mit den Agrariern an der Seite und Kekkonen beschützend im Hintergrund fühlte man sich sicherer...

Unter einem gewissen Druck aus der Richtung der Kanzlei des Staatspräsidenten her gaben nun die Agrarier so weit nach, daß sie sich zum Studium eines vagen sozialdemokratischen Regierungsprogrammes herbeiließen. Das strikte „Nein“ ist also zu einem „Jein“ geworden; die Hoffnung ist nicht ganz unbegründet, daß doch noch ein „Ja“ daraus wird.

Mit den Volksdemokraten (die im Parlament auf keinen Fall Kommunisten genannt werden wollen!) hat sich Paasios Mannschaft bereits auf ein grob umrissenes Aktionsprogramm geeinigt. Beiden Parteien ist klar, daß sie den Agrariern noch große Konzessionen werden machen müssen. Da dies die Agrarier wissen und gebührend auszunützen verstehen, besteht hier die Gefahr, daß sie ihre Forderungen zu hoch schrauben und die Sozialdemokraten zwingen, es mit den Volksdemokraten allein zu versuchen. Die Alternativen, die heute Paasio ansteuert, sind also:

• Eine Koalition zwischen Zenterpartei, Sozialdemokraten, Simoniten und Volksdemokraten, das würde 152 von 200 Mandaten im Parlament ergeben.

• Eine Linkskoalition ohne die Zenterpartei: 103 zu 97 Mandate.

• Eine rein sozialdemokratische Regierung, die — zusammen mit den Simoniten — nur über 61 Mandate verfügen würde, auf die Unterstützung der Volksdemokraten jedoch rechnen könnte.

Die Chancen für die Bildung der erstgenannten Koalition stehen — nach finnischen Meinungsäußerungen — sechs zu vier. Es gibt also einen rot-grünen Hoffnungsschimmer am frostig-kühlen finnischen Frühlingshimmel!

Große Koalition?

Was die Bildung der erstgenannten Koalition so erschwert, ist erstens die Empfindlichkeit der

Parteileitung der Agrarier, die nicht damit fertig werden kann, daß sie bei der letzten Wahl vier Mandate verloren hat, ein doch keineswegs überwältigender Verlust. Dabei rechnete man mit einem Rückschlag und ließ aus diesem Gefühl der Wurschtigkeit heraus das Staatsschifflein munter dahintreiben: Allzuviele der großen Probleme Finnlands blieben ungelöst, und nun soll man doch wieder mit anpacken. Bei vollständig leeren Staatskassen!

Die Unlust scheint besonders stark den ehemaligen Staatsminister Virolainen ergriffen zu haben; die Gruppe um ihn will offenbar erst

einmal die Sozialdemokraten in ihren eigenen Regierungssorgen schmoren lassen, um dann zum geeigneten Zeitpunkt als Retter in der Not aufzutreten. Eine andere Gruppe unter dem Außenminister Ahti Kajalainen steht dem Gedanken der Zusammenarbeit freundlicher gegenüber, und es scheint so, als ob diese Richtung an Stärke gewinnen würde. Sollte es ihr gelingen, noch einen liberalen Politiker aus einer der beiden kleinen Rechtsparteien in die Regierung zu bringen, dann wäre wohl die Zustimmung der Zenterpartei zur großen Volksfrontkoalition gegeben.

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