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Hus wird wieder verbrannt...

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Die Erklärung, die der tschechische Kultusminister Miloslav Bruzzek Mitte November vor dem tschechischen Nationalrat abgab und die besagte, man wolle den bisher so unbotmäßigen Schriftstellern die Möglichkeit geben, „ihre schöpferischen Kräfte zu entfalten und für die Gesellschaft positive Arbeit zu leisten“, stellt im Grunde genommen eine Amnestie, allerdings nur für die in der Heimat Verbliebenen, dar und ist ein Zeugnis mehr für den Wandel gegenüber den Intellektuellen, der erstmals ein paar Wochen vorher in einer Rede von Parteichef Husäk vor Ostrauer Bergarbeitern, und dann im unerwarteten Abblasen eines in Prag schon vorbereiteten Prozesses gegen einige Intellektuelle sichtbar geworden war.

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Die Erklärung, die der tschechische Kultusminister Miloslav Bruzzek Mitte November vor dem tschechischen Nationalrat abgab und die besagte, man wolle den bisher so unbotmäßigen Schriftstellern die Möglichkeit geben, „ihre schöpferischen Kräfte zu entfalten und für die Gesellschaft positive Arbeit zu leisten“, stellt im Grunde genommen eine Amnestie, allerdings nur für die in der Heimat Verbliebenen, dar und ist ein Zeugnis mehr für den Wandel gegenüber den Intellektuellen, der erstmals ein paar Wochen vorher in einer Rede von Parteichef Husäk vor Ostrauer Bergarbeitern, und dann im unerwarteten Abblasen eines in Prag schon vorbereiteten Prozesses gegen einige Intellektuelle sichtbar geworden war.

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Allerdings sind die neuen Fakten danach angetan, zu verdecken, daß gerade die Intelligenz der Hauptleidtragende der letzten beiden Jahre war und daß die radikale Parteisäuberung der letzten beiden Jahre in allererster Linie die Intelligenz betrat

Um Tarnungen nicht verlegen, hat man in den Jahren 1969 und 1970, im Gegensatz zu früheren Zeiten, keine Parteisättberung mehr durchgeführt, sondern lediglich eine „Überprüfung“ der Parteimitgliedschaft, wobei es im wesentlichen drei Varianten gab: daß jemand freiwillig auf seine Parteimitgliedschaft verzichtete, daß die Parteimitgliedschaft nicht erneuert wurde und schließlich, daß jemand aus der Partei ausgestoßen wurde. Die einzelnen Varianten hatten für den Beruf des Betroffenen natürlich auch unterschiedliche Folgen. Allerdings ist das wirkliche Ausmaß der Parteiausschlüsse nicht bekannt, da es sehr unterschiedliche Stellungnahmen darüber gab. Fest steht, daß die untere Grenze bei 300.000 Parteiausschlüssen liegen dürfte.

Der tschechische Ministerpräsident Josef Korcak erklärte am 22. September 1970 in Iglau, also noch vor dem Abschluß der Säuberungen, daß rund 20 Prozent der Mitglieder betroffen würden, also etwa 300.000 bisherige Parteimitglieder, da ja die

KPTsch Anfang 1969 mehr als 1,6 Millionen Mitglieder hatte. Allerdings hatte man schon zu Beginn des Jahres 1970 nur noch 1,7 Millionen Mitglieder, nachdem viele freiwillig die KP verlassen hatten. Der .konservative“ Alois Indra sprach davon, daß die Partei mit dem Ausschluß von 300.000 Parteimitgliedern nichts verlieren werde; die Parteizeitung „zavot strany“ (Parteileben) nannte eher zurückhaltend 100.000, deren Parteimitgliedschaft nicht erneuert würde. Wichtiger fast als die Zahlen der Ausgeschlossenen aber war eine Erklärung eines anderen „Konservativen“, von Vasil Riläk nämlich, der die (vermutlich permanenten) Parteisäuberungen als .dialektischen Prozeß“ bezeichnete. Ebenso interessant wie das Ausmaß der Säuberungen war die Parteistruktur der KPTsch nach diesen Maßnahmen; so schrieb das Wochenblatt der KPTsch „Tribuna“ am 30. September 1970 zum Abschluß der Säuberungen vor allem über die nunmehr sichtbare Überalterung der Partei, was darauf schließen läßt, daß vor allem junge und mittlere

Jahrgänge gesäubert wurden, aber auch, daß der für die Säuberung zuständige „gesunde Kern der Partei“ überwiegend aus Männern der Novotny-Generation bestand. Neben dieser gewiß unerfreulichen Überalterung aber konnte man erfreut feststellen, daß der Anteil der Arbeiter innerhalb der KPTsch-Mitglieder wieder wesentlich stärker geworden war. Betrug er bis 1969 etwa 30 Prozent, so erreichte er nach den Säuberungen wieder 51 Prozent. Von einer anderen Seite her betrachtet, heißt dies natürlich, daß von den rund 300.000 auf verschiedene Art aus der Partei Entfernten ein Großteil Intellektuelle gewesen sein, müssen.

Innerhalb der Intelligenz war es ein relativ breiter Sektor, der nicht nur aus der Partei ausgeschlossen wurde (was je relativ harmlos gewesen wäre), sondern der fast immer gleichzeitig seinen Posten verlor. An der Spitze der Säuberungen standen merkwürdigerweise nicht die Politiker, sondern die Publizisten. Auch das war verständlich, denn nach deren Entfernung konnten ja die weiteren Maßnahmen ohne publizistische Begleitmusik erfolgen. Gerade die Presse, dazu natürlich Rundfunk und Fernsehen, waren vermutlich das erbittertste

Kampffeld zwischen Reformern und Konservativen; hier waren die Säuberungen aber auch schon Mitte

1969 abgeschlossen, längst bevor die anderen einsetzten. So gut wie kein einziger Chefredakteur der großen oder der kleineren Zeitungen und Zeitschriften blieb auf seinem Posten. Im Gegensatz zu den späteren Säuberungen wurden die Journalisten vorerst von ihren Posten entfernt und hatten erst anschließend ihr Parteiverfahren zu gewärtigen. Bei den anderen Berufen war es meist umgekehrt. Trotz allem tröpfelte auch noch später die Säuberung weiter. So wurden neuerlich, im Februar 1970, 15 redaktionelle Mitglieder des Prager Rundfunks entfernt. Allein 118 Mitglieder des Rundfunks sollen 1968 und 19G9 nach dem Westen geflohen sein.

Hand in Hand mit der Säuberung der Journalisten, gelegentlich auch noch später, erfolgte jene der politischen Funktionäre. Am 13. Juli 1970 meldete das KPTsch-Zentral-organ „Rüde prävo“ die sicher noch nicht vollständige Zahl von 15.700 entfernten Abgeordneten der Orts-,

Bezirks- und Kreisnationalausschüsse. Nur ein Bruchteil von ihnen ist freiwillig zurückgetreten.

Von den Hochschulen sind nur Details — wenn auch sehr bezeichnende — bekannt. Bei Hochschullehrern, wie bei den meisten anderen Intellektuellen, war die Situation so, daß bei Nicht-Verlängerung der Parteimitgliedschaft wohl der Posten verlorenging; der Betroffene konnte aber immerhin noch im selben Bereich — etwa in der Bibliothek — beschäftigt werden. Erfolgte jedoch ein Parteiausschluß, so hatte der Ausgeschlossene „in die Produktion“ zu gehen, mußte also Arbeiter werden. Es bedeutete hier noch eine milde Maßnahme, wenn etwa ein Hochschullehrer anschließend Gas-zählerableser werden durfte. Ein früher sehr bekannter Prager Universitätsprofessor wurde etwa mit der regelmäßigen und schematischen Kontrolle des Trinkwassers betraut, was noch als humane Maßnahme galt.

Bei den Hochschulen gab es vorerst einmal Kollektivmaßnahmen; die radikalste von ihnen war die vorübergehende Auflösung aller Lehrkanzeln für Marxismus-Leninismus und politische Ökonomie. Da dies Pflichtvorlesungen .an den Hochschulen aller nur möglichen Fachrichtungen zu jeweils vier Wochenstunden waren, wurden im Zusammenhang mit dieser Maßnahme mit Wirkung vom 1. November 1969 rund 800 Politologen entlassen, die anschließend zwar einzeln um Wiederverwendung ansuchen konnten, von denen aber nur ein Bruchteil auf ihren bisherigen Arbeitsplätzen eingesetzt wurde. Die Lehrkanzeln selbst wurden in Institute umgewandelt, die direkt der ideologischen Abteilung des ZK der KPTsch unterstehen. Der nach der Massenentlassung sichtbare Mangel an wissenschaftlichen Kräften wird durch die Tatsache deutlich, daß bei der Wiederaufnahme im Sommersemester 1970 nur zwei Stunden Pflichtvorlesungen in Marxismus-Leninismus vorgesehen wurden, daß dabei nur die Entwicklung des Sozialismus in der ÖSSR behandelt werden sollte und daß Politiker, Funktionäre und Praktiker der Wirtschaft zu Wort kommen sollten.

Eine viel weitgreifendere kollektive Maßnahme war die Novellierung des Hochschulgesetz, das nunmehr eine starke Einflußmöglichkeit des Unterrichtsressorts auf die Hochschulen ermöglicht.

Zu den Kollektivmaßnahmen kamen natürlich zahlreiche lokale „Initiativen“ gegen die Hochschulen. So forderte — um nur ein Beispiel herauszugreifen — das Gebietskomi-tee der KPTsch in Ostrau noch im März 1970 die Entfernung von 21 Professoren der Palacki-Universi-tät und der Montanistischen Hochschule; gleichzeitig schloß es fünf Männer aus dem Parteikomitee der Ostrauer Hochschule aus. Zu einem Zeitpunkt, da die Parteisäuberungen noch voll im Gange waren (denen meist noch Überprüfungen der wissenschaftlichen Tätigkeit während der letzten beiden Jahre folgten), erklärte der Prager Unterrichtsminister Professor Doktor Hrbek, daß 332 Hochschullehrer im Ausland geblieben, daß 154 ihrer Funktionen enthoben worden und 134 in den Ruhestand versetzt worden seien — eine Zahl, die heute weit übertroffen sein durfte. Hrbek erklärte in diesem Zusammenhang zum Abschluß des Studienjahres 1969/70, daß die Situation an den Hochschulen am allerschwersten gewesen sei, daß es unter den Hochschullehrern viele Anhänger des ideologischen Revisionismus, Anti-kommunismus und Antisowjetismus gegeben habe; ein Großteil der Mitarbeiter des Lehrstuhles für Marxismus-Leninismus habe Verrat geübt,

Die Säuberunigen betrafen überhaupt alle Gebiete, besonders natürlich auch die Armee, ihre Ausbildungszentren und wissenschaftlichen Institute.

Kraß wurde die Entfernung der Intelligenz auf dem Gebiet der Justiz sichtbar. Hier geht es ebenfalls weniger um die an sich gar nicht geringen Prozentsätze von Entfernten, sondern um die meist maßgeblichen Stellen, die sie einnahmen. Im ersten Halbjahr 1970 sind in Böhmen/Mähren 52 Richter und Staatsanwälte ausgeschieden, Männer, die nach den Worten der Zeitschrift „Novy 2ivot“ „auf die Plattform des Antisozialismus, Antikom-munismus und Opportunismus“ geraten waren. Zur gleichen Zeit wurden der Vorsitzende des Stadtgerichtes Prag und der Vorsitzende des Kreisgerichtes Aussig abberufen. Im Mai 1970 wurde schließlich noch der Präsident des Prager Obersten Gerichtshofes und sechs weitere Richter dieses Höchstgerichtes entfernt. Bei den Schriftstellern war die Situation ähnlich wie bei den Journalisten, nur konnte man es sich leisten, die einzelnen, früher so aktiven Organisationen „auf Eis zu legen“ und die verschiedenen Zeitschriften einfach nicht erscheinen zu lassen. Und noch vor einem Jahr veröffentlichte das wieder besonders orthodox gewordene KP-Präsidium des ersten Prager Gemeindebezirkes fast wollüstig den Parteiausschluß der prominentesten Schriftsteller des Landes, den Ausschluß von Pavel Kohout, Antonin Liehm und Ludvfk Vaculik. Auch wurde längst die Inhaftierung des bekannten Dichters Ota Filip und der Selbstmord des Schriftstellers Stanislav Neumann — vermutlich wegen eines bevorstehenden oder schon beschlossenen Parteiausschlusses — bekannt

Nun war einfach nicht zu übersehen, daß der einstige Arbeiter Alexander Dubcek immer schon guten Kontakt zu den slowakischen Schriftstellern gehabt, aber auch zu den tschechischen Intellektuellen gefunden hatte, während sich unter dem Akademiker Dr. Husäk die Beziehungen zu fast allen Intellektuellengruppen rapid verschlechtert hatten. Einer Prager Information zufolge soll im Sommer dieses Jahres sogar der sowjetische Parteichef Breschnjew über diese Entwicklung besorgt gewesen sein und KPTsch-Chef Husäk geraten haben, die Intelligenz wieder für die Partei zurückzugewinnen. Tatsächlich ist auch ein Wandel und eine gewisse Liberalisierung den Intellektuellen gegenüber unübersehbar. Am 22. September 1970 erklärte Dr. Husäk im KP-Zentralor-gan „Rüde prävo“, daß ein Rückfall in die Ära der Schauprozesse der fünfziger Jahre nicht erfolgen werde doch solle sich die Intelligenz wieder an der Aufbauarbeit des Landes beteiligen. Ebenfalls im September erklärte Husäk vor Ostrauer Bergarbeitern, die KPTsch werde sich bemühen, die entfremdeten Intellektuellen für die Partei zurückzugewinnen. Einschränkend fügte er allerdings hinzu, die Partei werde sich vor allem um die Techniker bemühen.

Die neue Taktik verrät am interessantesten ein Beitrag des journalistischen Vertrauensmannes Doktor Husäks, Chefredakteur Svestka, in der Partei-Wochenzeitung „Tribuna“: die Neo-Stalinisten der späten Novotny-Zeit seien bei ihren radikalen Maßnahmen gegen die Intellektuellen nicht nur um die Reinheit der Partei besorgt gewesen, sondern sie hätten vielfach Angst gehabt, den eigenen Posten zu verlieren. Ihre harte Linie gegenüber den Intellektuellen sei vielfach die Ursache für die Reformbewegung und den Aufstieg Dubceks gewesen. Nun muß man rückblickend sagen, daß man seit 1947, also seit der kommunistischen Machtübernahme, fast permanent gegen intellektuelle Führungsgruppen vorgegangen ist, 1947 vor allem gegen die nicht kommunistischen, 1952 dann gegen die Intellektuellen in der KPTsch mit Generalsekretär Slänsky an der Spitze, zur selben Zeit aber auch gegen die jüdischen Intellektuellen in der KP und die als bourgeoise Nationalisten bezeichneten Mitglieder der slowakischen Führungsschicht (hier wieder vor allem Cle-mentis, aber auch Husäk); natürlich war auch der Kirchenkampf in der Tschechoslowakei weithin ein Kampf gegen Intellektuelle. Schließlich wurde der Kampf gegen Dubcek und die Männer des Prager Frühlings weithin eine Auseinandersetzung mit den reformfreudigen Intellektuellen auf breiter Front. Gewiß gab es keine Schauprozesse, keine Verurteilten und nur wenige Verhaftete; die folgenschwere Entfernung von Intellektuellen aus ihrem Beruf hat allerdings Ausmaße angenommen, die vermutlich früher nie erreicht wurden und die den geplanten Befriedungsprozeß kaum erleichtern dürften.

Das Land des Jan Hus kommt nicht zur Ruhe. Der Intellektuelle wird wieder zum Scheiterhaufen geführt Trägt aber dieser Weg nicht schon den Keim des neuen Widerstands?

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