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Hypertoleranz und Fanatismus

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Globalisierung - für die einen Falle, für die anderen Chance -wird meist im wirtschaftlichen Kontext abgehandelt. Der Soziologe Peter L. Berger dachte beim diesjährigen Salzburger Humanismusgespräch über die kulturellen Konsequenzen des Phänomens nach.

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Globalisierung - für die einen Falle, für die anderen Chance -wird meist im wirtschaftlichen Kontext abgehandelt. Der Soziologe Peter L. Berger dachte beim diesjährigen Salzburger Humanismusgespräch über die kulturellen Konsequenzen des Phänomens nach.

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Das Zusammenwachsen der Welt ist ein alter Traum. Daß Isolation und Konkurrenz der Nationalstaaten, wirtschaftlicher Isolationismus und Protektionismus mit massiven Zoll- und Handelsschranken von einer wirtschaftlichen Vernetzung abgelöst werden, ist eine große Chance. Globalisierung ist jedoch mittlerweile zum Schreckgespenst geworden, weil die Formen und das Tempo dieses Zusammen-Wachsens heute weitgehend von transnationalen Konzernen bestimmt werden. Globalisierung meint dann den freien Verkehr von Kapitalströmen und Waren - auch wenn diese in chinesischen Straflagern oder durch Kinderarbeit unter unbeschreiblichen Bedingungen entstanden sind. „Alles soll zirkulieren, nur die Menschen nicht; wenn sie ein wenig zu braun sind, gehen gleich die Zäune hoch”, formuliert der Genfer Soziologe Jean Ziegler.

Als kulturelle Konsequenz der Globalisierung sieht der aus Wien stammende Soziologe Peter L. Berger, daß Pluralismus zu einem weltweiten Phänomen geworden ist. Die Menschen befinden sich nicht nur auf einem wirtschaftlichen, sondern auch, auf einem kulturellen Markt; sie werden mit verschiedenen Vorstellungen, Werten und I landlungsmustern konfrontiert und müssen daraus wählen. Auch wenn man sich aggressiv gegen das Fremde (zum Beispiel eine Moschee in einer österreichischen Kleinstadt) wehrt, wird die fraglose Selbstverständlichkeit der einheimischen Kultur untergraben. So wird Pluralismus von Spannungen und Krisen begleitet, die häufig politisch instrumentalisiert werden. Jede menschliche Gemeinschaft muß die Frage „Wer sind wir?” plausibel beantworten können; aber gerade das wird im globalen Pluralismus schwieriger.

Wenn es um die Träger der kulturellen Globalisierung geht, unterscheidet Berger zwischen Prozessen, die von Eliten getragen werden, und jenen, die breite Massen erfassen. Er spricht mit Samuel Huntington von der „Davos-Kultur” der Weltwirtschaftselite und beschreibt die Yup-pie-Internationale, die durch ihre Beherrschung der globalen Kommunikationsmittel großen Einfluß hat. Wie sehr davon die Lebensgestaltung einzelner Menschen betroffen sein kann, verstand Berger auf einer seiner zahlreichen Reisen: In einem buddhistischen Tempel in Hongkong sah er einen Mann im dunklen Geschäftsanzug ohne Schuhe vor einer Buddha-Statue stehen - in der rechten Hand einen Weihrauchstab, in der linken ein Handy, mit dem er intensiv telefonierte.

Durch die Globalisierung der Kultur entstehen Brüche in gewachsenen Verhaltens- und Wertesystemen, aber gleichzeitig bilden sich auch ganz neue Gemeinsamkeiten heraus: Auf der Ebene der Yuppie-Kultur fanden Vertreter des African National Congress und Mitglieder der weißen Elite Südafrikas bei ihren ersten Geheimgesprächen zueinander, und auch junge Israelis entdeckten bei ihren Verhandlungen ähnliche Gemeinsamkeiten mit den jungen PLO-Vertretern.

Besonders interessant ist für Berger die Massenkultur mit Coca-Cola, Hamburger und Jeans, aber auch Rockmusik und entsprechenden Kultfilmen. Sie ist einerseits eine Konsumkultur, gegen deren Attraktivität chinesische Parteiführer, iranische Mullahs oder französische Kulturminister relativ machtlos sind. Daß in dieser Kultur aber auch symbolische Werte transportiert werden, zeigt Berger am Beispiel der Rock-Musik: Sie symbolisiert sexuelle Befreiung, spontane Selbstbestätigung und Auflehnung gegen die Vorurteile und Regeln einer muffigen Tradition. Weil diese Konsumkultur nicht nur Verhaltensmuster, sondern auch Werte und vielleicht sogar Wahrheitsansprüche transportiert, spricht Peter L. Rerger von ihrem sakramentalen Charakter.

Daß Symbole viel stärker wirken als sprachliche Formulierungen, wird wieder an einem Beispiel aus Hongkong deutlich: Eine amerikanische Firma macht in einer chinesischen Provinz ein gutes Geschäft mit Gruß-karten zum Valentinstag, deren englischer Text von den „Verbrauchern” meist gar nicht verstanden wird. Die Gefühle und Werte der romantischen Liebe - ein Phänomen der europäischen Moderne -, die damit transportiert werden, stehen nicht nur im Widerspruch zur kommunistischen Moral, sondern auch zu uralten chinesischen Traditionen.

Was kulturelle Globalisierung bedeutet, kann man auch an der explosionsartigen Ausbreitung des evange-likalen Protestantismus, vor allem in Form der Pfingst-lerbewegung ablesen. Sie bedeutet in Ostasien, Schwarzafrika und vor allem in Lateinamerika eine globale Kulturrevolution Pfingstler aus Guatemala, Texas oder Südkorea verstehen einander auch ohne gemeinsame Sprache sofort. Sie sind durch eine Lebensweise verbunden, die über das Religiöse hinaus alle Bereiche umfaßt: durch die Ablehnung des traditionellen Ma-chismo im Verhältnis von Männern und Frauen, eine Einstellung zur Arbeit, wie sie Max Webers „protestantische Ethik” beschreibt, aber auch durch den Aufbau neuer, autonomer Institutionen.

Die kulturelle Globalisierung hat viele Konsequenzen. Peter L. Berger beobachtet vor allem ein eigenartiges Zusammenspiel von Hypertoleranz und Fanatismus. Der allgegenwärtige Pluralismus kann dazu führen, daß alle normativen Grenzen verschwinden und Toleranz selbst zum einzig verbleibenden moralischen Wert wird. Weil dadurch aber das eigene Selbstverständnis in Gefahr gerät, wächst auch das Bedürfnis nach neuer Beheimatung. Und wer an nichts mehr glaubt, kann dann auch wieder an alles glauben. In plötzlichen Bekehrungserlebnissen wenden sich Menschen religiösen oder ideologischen Fanatismen zu oder schließen sich totalitären politischen Bewegungen an.

Der Pluralismus ist aber auch eine positive Herausforderung, denn das In-Frage-Stellen kann auch zu einer Neuentdeckung eigener Traditionen und Wertüberzeugungen führen. Am interreligösen Dialog und an der durch Masseneinwanderung aufgeworfenen Frage nach nationaler Identität diagnostiziert Berger: Die Frage „Wer sind die anderen?” führt zur Frage „Wer sind wir?”.

Die Globalisierung wird wahrscheinlich keine einheitliche Weltkultur schaffen; das wäre auch eine wenig anziehende Vorstellung. So bleibt nur die Alternative: Konflikt oder Dialog der Kulturen. Eine globale Zivilgesellschaft, in der sich verschiedene Kulturen begegnen können, hält Peter L. Berger für möglich. Sein Optimismus, daß damit auch die schwerwiegenden wirtschaftlichen und politischen Probleme der Globalisierung leichter zu lösen wären, überschätzt vielleicht die Möglichkeiten der Kultur, die ja selbst von wirtschaftlichen und politischen Faktoren geprägt ist.

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