7110000-1995_47_05.jpg
Digital In Arbeit

„Ich fühlte mich sicherer, hätte man Rechtsextreme im Griff"

19451960198020002020

Sind die vielen Ausländer in Osterreich schuld an den Gefühlen der Unsicherheit? Das ist ein Thema, das auch den Wahlkampf bestimmt.

19451960198020002020

Sind die vielen Ausländer in Osterreich schuld an den Gefühlen der Unsicherheit? Das ist ein Thema, das auch den Wahlkampf bestimmt.

Werbung
Werbung
Werbung

Wesentlich sicherer würde sich die Bundessprecherin der Grünen, Madeleine Petrovic, fühlen, „wenn ich das Gefühl hätte, daß im Innenministerium endlich wirklich sichtbare Schritte gegen die rechtsextreme Szene gesetzt werden". Vorwürfe gegen die Grünen, sie hätten mit ihrer Integrationspolitik für Ausländer maßgeblich zur starken Verunsicherung der Bevölkerung beigetragen, weist sie im Gespräch mit der furche äußerst scharf zurück. Schon der frühere Innenminister Franz Löschnak habe in seinem Buch wenige Tage vor der Explosion der ersten Briefbomben in Österreich behauptet, daß die grüne Integrationspolitik letztlich Schlimmeres bewirkt habe als das Handeln der Rechtsextremen. „Mit solchen Aussagen beginnt für mich die politische Boden-losigkeit. Das ist leider in der SPÖ und ÖVP angesiedelt und deswegen fällt es der politischen Kraft, die da immer treibend war, nämlich der FPÖ, so leicht, mit dem Finger zu zeigen und zu sagen, der Cap, der Marizzi, der Löschnak, der Pirker, die haben doch alle ähnliches gesagt. Leider muß man sagen, daß Haider damit recht hat. Das ist dieses verantwortungslose Gefasel, daß grüne Integrationspolitik schrankenlose Zuwanderung bedeutet. Dabei heißt für mich Integration, daß hier niemand im Elend leben darf."

Und zum Sicherheitsproblem: Sieht Petrovic nicht, daß sich viele Österreicher schon durch den vermehrten Anblick von Ausländern auf unseren Straßen verunsichert fühlen? „Natürlich sieht man relativ mehr Ausländer auf den Straßen, weil sie auch die viel schlechteren Wohnungen haben. Klar sieht man auch deren Kinder auf den Spielplätzen. Sie sind ja vielfach in die Illegalität Gedrängte. In ihrer Wohnungsnot ist ihnen niemand beigestanden. Und wenn ein Illegaler, der ein redlicher und anständiger Mensch ist, durch die Gesetze kriminalisiert wurde, wenn der zur Behörde geht und die Schlichtungsstelle um Hilfe gegen seinen Schwarzarbeitgeber bittet, dann wird dieser Mensch abgeschoben und dem Arbeitgeber passiert fast gar nichts."

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang hat Petrovic die Aussage des Wiener Erzbischofs Christoph Schönborn in der Fernsehdiskussion „Zur Sache" vom vergangenen Sonntag gefunden, in der der neue Wiener Ober-hirte darauf verwies, daß es ein hohes Maß an Scheinheiligkeit sei, Leute auszubeuten und dann vielleicht an den Sakramenten teilzunehmen.

Eine Gesellschaft, die Gastarbeiter, aber auch inländische Frauen schwarz arbeiten lasse, sollte sich „tatsächlich einmal auf ihre Werthaltungen hinterfragen", fordert Petrovic.

Sie selbst habe einmal eineinhalb Jahre gebraucht, bis ihre kleine Tochter fast drei Jahre alt war, bis sie die legale Ar- -beitsbewilligung für eine bosnische Frau zur Kinderbetreuung bekommen habe. „Zudem müssen wir mehr mit den Ausländern reden, auch Ausländer sind keine Heiligen, es gibt gewisse kulturelle Unterschiede. Freundschaft, Bekanntschaft und Familie zählen bei ihnen oft mehr und Feste werden oft auch lauter gefeiert. Ich habe meinen Verwandten immer gesagt, wenn ihr einen Geburtstag feiert, geht im Haus herum, fragt die Leute ob'es jemanden stört, ladet sie auch ein. Wenn sich wirklich jemand gestört fühlen würde, geht in ein Gasthaus. Auch Ausländer haben vielfach Angst hier und sind verunsichert in unserer Gesellschaft. Ein Integrationsprogramm hat nichts zu tun mit weiterer Zuwanderung, sondern damit, daß man auf seine ausländischen Mitbürger zugeht und sie teilhaben läßt am sozialen und demokratischen Leben -sprich: Wahlrecht."

Petrovic, die das Angebot des Innenministeriums zu ihrem persönlichen Schutz bei Wahlkampfauftritten (siehe Seite 1) sehr ernst nimmt-„angesichts der Feigheit der Bedrohungen durch Briefbomben und anderer heimtückischer, Attacken weiß man natürlich nicht, wo Gefahren lauern" -, sieht in Österreich selbst Kräfte am Werk, die das Klima vergiften und zur Unsicherheit beitragen. „Ich glaube aber nach wie vor, daß die Bevölkerung Gewalt rigoros ablehnt und die Briefbombenattentäter in ihr keinen Rückhalt haben." Ein konkretes Bedrohungsbild gebe es nicht, es sei aber sehr wohl mit weiteren feigen Attacken zu rechnen, wo die Täter nicht in Erscheinung treten. Die grüne Bundessprecherin hat allerdings nicht den Eindruck, daß vom Innenministerium mit derselben Intensität versucht wird, der zur Gewalt bereiten Szene das Handwerk zu legen. „Aus meinen Erfahrungen heraus habe ich das Gefühl, daß die Polizisten, die zu unseren Veranstaltungen als Schutz erscheinen, im höchsten Maß bemüht sind. Aber vom Ministerium her funktioniert die Koordinierung der verschiedenen Ermittlungen bei Briefbomben nicht. Mich schockiert es, daß aus Fachkreisen die Vermutung kam, daß es dort so etwas wie Maulwürfe gibt und daß trotzdem kein allgemeiner Sicherheitscheck durchgeführt wurde. Wenn so eine Gefahr besteht, denke ich mir, dann bekommt man das auch heraus, wenn man in so einem Apparat mit genügend Nachdruck forscht."

Vor einer Begriffsvermanschung im Zusammenhang mit Verunsicherung durch Ausländer und organisierter Kriminalität warnt der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, Michael Sika. Das organisierte Verbrechen, medial oft groß herausgestrichen, wie Hauptmann Rudolf Gollia vom Innenministerium betont, tangiere den Bürger kaum.

Sika: „Man muß natürlich entschieden dem Vorurteil entgegentreten, Ausländer, Fremder ist gleich Straftäter. Das ist ein Unsinn. Das hat vor allem nichts zu tun mit dem Heer von Gastarbeitern, das in Österreich wirklich brav arbeitet und auch weniger straffällig wird als die Österreicher selbst.

Die Sache ist nur insofern schwierig, weil in der organisierten Kriminalität die Ausländer einen fast 90pro-zentigen Anteil haben. Und da ist es ganz wichtig, daß man das auseinanderhält: Denn der Ausländer, der organisierte Kriminalität in Österreich betreibt, hat ein ganz anderes Kaliber als der Gastarbeiter, der hier ruhig und friedlich lebt und seine Familie versorgt. Diejenigen, die in der organisierten Kriminalität tätig sind, natürlich größtenteils Ausländer, die stören die Österreicher überhaupt nicht, weil die ja mit weißem Kragen und tadellosem Anzug auftreten."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung