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Im Dschungel von Vietnam

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„Wenn der Feind angreift, ziehe didi zurück, wenn er sich verteidigt, halte ihn in Atem”, so hat Mao Tse- tung seine Anhänger instruiert. Europäische Zeitungen sind voll von Berichten, wie diese Taktik sich in Vietnam ausgewirkt hat. Es gibt Karten, die genau darstedlen wollen, welche Gebiete Vietnams sich unter der Kontrolle der Vietkongs befinden, welche von den Regierungs- tnippen und ihren Verbündeten gehalten werden und welche Landesteile umstritten sind. Aber diese Karten trügen. Die Befolgung der Lehren Mao Tse-tungs, die von dem nordvietnamesischen Generalstabschef Giap noch verfeinert worden sind, hat ein ganz neues Kriegsbild ergeben.

Man kann den Amerikanern manche Vorwürfe machen, man kann die Art ihrer Kampfführung in Vietnam sehr kritisch beurteilen, aber einen Vorwurf kann man den amerikanischen Dienststellen in Vietnam ganz sicher nicht machen: daß sie die Berichterstattung über diesen Krieg behindern. Im Gegenteil, sie haben eine eigene militärische Behörde eingerichtet, die die Wahrnehmung journalistischer Aufgaben erleichtern soll. Für „Special Project” war ich der 602. Korrespondent, der in Saigon seine Zulassung erhielt. Schon beim ersten Gespräch wurde ein Papier überreicht, das die Abflugzeiten von Flugzeugen enthielt, die von Saigon in andere Teile Vietnams fliegen.

Der Berichterstatter in Vietnam hat nur seinen Wunsch zu äußern, welche Einheit er besuchen will, alles übrige übernimmt „Special Project”. Diese Dienststelle hält zu den Verbindungsoffizieren des Heeres, der Luftwaffe, der Marine und der Marineinfanterie Kontakt, die dann die gewünschten Einheiten über den geplanten Besuch eines Journalisten informieren. Die Beförderung mit Flugzeugen oder Hubschraubern ist kostenlos, die Amerikaner verlangen nur eine Unterschrift, daß aus der Ermöglichung eines Truppenbesuches im Falle von Tod oder Verwundung keine Schadensansprüche gegen den amerikanischen Staat entstehen.

Aus Zeitgründen — Flüge in den nördlichen Teil Südvietnams, etwa nach Huė, benötigen eine mehrtägige Reisedauer — hatte ich einen Besuch bei der 199. Leichten Infanteriebrigade gewünscht, die am südlichen Rand der berüchtigten „Zone D” eingesetzt ist, eines Gebietes, das an der kambodschanischen Grenze nordwestlich von Saigon liegt. Die Brigade umfaßt vier Infanteriebataillone, ein Versorgungsbataillon, eine schwere und mehrere leichte Batterien sowie eine schwache Einheit von Panzeraufklärern. Dazu treten ein Sanitätseinheit und Stabstruppen.

Im Hauptquartier

Ein Jeep, der von Saigon in den Raum Dien Hoa fuhr, nahm mich zum Feldhauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Vietnam mit. Dort spürt man noch wenig vom Krieg, wie dies zu allen Zeiten in allen großen Hauptquartieren der Fall gewesen ist. Hier sind in festen Gebäuden alle Räume mit Klimaanlagen versehen, der Bequemlichkeit der Offiziere, weiblichen Diensttuenden und Mannschaften dienen Kantinen und Verkaufsstände, Papierkrieg wird groß geschrieben.

Aber bei der 199. Brigade ändert sich dieses friedliche Bild. Zwar liegt auch ihr Hauptquartier noch in einem Raum, in dem sich tagsüber kein Vietkong regt, aber hier haben nur noch die Stabsoffiziere „Air Condition”, während sich die übrigen Truppenangehörigen in ihren Barak - ken mit Ventilatoren begnügen müssen.

Oberstleutnant A. ist der Chef des Versorgungsbataillons und mein erster Gesprächspartner. Er legt die Listen vor, in denen die Anforderungen der Truppe in der letzten Woche auf gezeichnet sind: 4982 verschiedene Gegenstände wollte die Truppe haben.

Die Zahlen veranschaulichen ein Problem der amerikanischen Kampfführung. Sie ist ungeheuer kompliziert und verlangt ein Vielfaches an Kräften gegenüber dem Bedarf der Kampftruppen. Auf einen kämpfenden amerikanischen Soldaten in Vietnam kommen heute mehr als fünf Amerikaner, die ihn versorgen! Man schätzt die Zahl der Amerikaner, die zur kämpfenden Truppe gehören, auf 80.000 Mann, die der übrigen Truppen und Versorgungseinrichtungen auf mehr als 420.000. Die Frage, ob ein so vielfältiger Nachschubbedarf noch in einer vertretbaren Relation zu den Resultaten dieser Kampfführung steht, ist berechtigt.

Kampf und Versorgung

Die gesamte Versorgung der Kampftruppen der 199. Brigade erfolgt auf dem Luftweg. Der Grund liegt in der Kampflage, wie sie zumindest zum Zeitpunkt meines Besuches bestand.

Das Bataillon hatte einige Tage vor meinem Besuch einen Vorstoß unternommen, der der Zerschlagung der 25. Vietkongdivision galt. Der vorgesehene Platz für die aus der Luft gelandeten Infanteristen war zunächst durch Jagdbomber, sogenannte „Gunships” (Hubschrauber mit reichlicher Kanonen-, MG- und Raketenausstattung), und Artillerie bekämpft wurden. Dann kamen die Hubschrauber der Brigade mit den Kampftruppen an Bord. Sie fanden bei ihrer Landung keinen Widerstand, die Vietkongs hatten sich in den tiefeh Dschungel bereits zurückgezogen.

Nun errichtete das Bataillon einen festen Stützpunkt, indem es einen etwa 150 Meter breiten Kreis abholzte und Erdbunker sowie Geschützstellungen anlegte. An die Ränder des freien Kreises, den die Amerikaner „Perimeter” nennen, wurden Schützenpanzerwagen und Feldgeschütze sowie Maschinengewehrbesatzungen vorgeschoben, die den Verteidigungsraum gegen die Dschungelgegner sichern sollten. Die vordersten Posten befanden sich keine zehn Meter von der freien Fläche entfernt. In der Mitte des „Perimeters” war ein Bunker ausgehoben worden, der den Bataillonsgefechtsstand beherbergt.

Die wichtigen Karten

Der Kommandeur zeigte seine Karten, Maßstab 1:50.000, deren Eintragungen jedoch nichts mit dem Lagebild einer europäischen Kriegskarte zu tun haben. Vergeblich sucht man auf Karten in Vietnam Eintragungen von feindlichen Stellungen, denn diese gibt es nur in Ausnahmefällen. Die Vietkongs sind heute hier und morgen dort, ihre Festlegung auf der Karte würde nur zu Irr- tümern bei den Entschlüssen führen. Statt dessen enthalten die Karten kleine Kreuze, deren unterschiedliche Farbe angibt, an welchem Tage sie eingetragen wurden.

Es handelt sich um Beobachtungen, die auch die kleinste Erkenntnis über den Gegner enthalten.

Wem diese mühselige Sammlung von Erkenntnissen über den Gegner unsinnig vorkommt, der lasse sich durch das Schicksal der Kompanie „D” belehren, die ich bei einer Unternehmung im Dschungel begleitete. Der Bataillonskommandeur hatte auf seiner Karte festgesteilt, daß an einer bestimmten Stelle sieh diie gelben Kreuze (die Farbe Feinderkenntnisse dieses Tages) häuften. Die Beobachtungen stammten vor allem von Kampfpatrouillen, die in Stärke von vier bis fünf Mann tagelang den Dschungel durchstreifen oder an irgendeiner Stelle in Lauerstellung liegen. Andere Beobachtungen stammten von Zivilisten, die den Regierungstruppen und den Amerikanern (vielleicht) freundlich gesonnen sind, oder von Hubschrauberpiloten, und schließlich gab es Beobachtungen, die sich nur auf Geräusche gründeten.

Der Kommandeur kam zu der Überzeugung, daß an dieser Kartenstelle eine Vietkongmassierung eingetreten sei. Er befahl den Angriff der D-Kompanie gegen dieses Geländestück aus der Luft. Der Luftlandung gingen wie üblich Bomben- und Raketenangriff sowie Artilleriebeschuß voraus. Dann erhoben sich die Hubschrauber, um einen etwa fünf Kilometer langen Weg zurückzulegen. An der Landestelle vollzog sich dieselbe Operation wie bei der Errichtung des Stützpunktes des Bataillons. Auch hier sprangen die Männer dicht über dem Boden aus den Hubschraubern, aber diesmal stießen sie auf Widerstand.

In metertiefen Tunnels hatten sich die Vietkongs festgesetzt. Die Einstieglöcher zu dem Verteidigungssystem erlaubten nur jeweils einem Mann den Zutritt. Geschützt gegen Bomben und schweren Beschuß, hatten die kommunistischen Partisanen ihr Tunnelsystem über mehrere hundert Meter verzweigt. An einigen Stellen waren die Tunnels zu Erdbunkern erweitert worden, wo die Kämpfer Ubernachtungsmöglichkei- ten fanden, aus einer Küche versorgt werden konnten oder Einrichtungen für die Stabsarbeit untergebracht waren. Schmale Fuchsröhren führten auf winkligem Wege von der Küche zur Oberfläche. Ihr Ausgang war etwa 40 Meter von dem Platz der Küche entfernt. So konnte der Rauch keinen Aufschluß über den exakten Ort der Kochstelle geben.

Die Landung kostete die Kompanie ihren 32., 33. und 34. Toten seit dem Beginn der kommunistischen Februaroffensive. Sie hatte ferner zwei Schwer- und drei Leichtverwundete zu beklagen. Einige der Opfer waren auf Verletzungen durch Fallen und Minen zurückzuführen. Die Vietkongs ließen nach dem Feuergefecht drei Tote zurück. Da sie, wenn irgend möglich, ihre Toten und Verwundeten mitnehmen, wußte die Kompanie nicht, wie hoch die tatsächlichen Feindverluste waren.

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