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Im Hintergrund der friedlichen Koexistenz

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Im indisch-sowjetischen Kommunique, das anläßlich des Staatsbesuches von hol Bahadur Schastri In Moskau unterzeichnet und am 20. Mai 1965 in der „Prawda“ veröffentlicht wurde, wird erneut und mehrmals im Text das Bekenntnis zur friedlichen Koexistenz von Staaten mit verschiedener Gesellschaftsordnung ausgesprochen. Die Lösung des Vietnamproblems wird auf der Grundlage des Genfer Abkommens gefordert. Da seit dem 31. Dezember 1964 auch der Vietkong eine offizielle Vertretung in Moskau unterhält und die südvietnamesische Regierung nicht als wahre Vertretung der Interessen der Bevölkerung im Süden anerkannt wird, wird wohl deutlich, daß das Indochinaabkom-men von 1954 den Sowjets nur als Instrument der Machtergreifung des Kommunismus in ganz Vietnam dienen soll. Von freien Wahlen ist keine Rede mehr.

Hier zeigt sich der wahre Gehalt der Koexistenzdoktrin, die einem großen atomaren Waffengang mit

dem weltpolitischen Gegner ausweicht, um sich Raum zu schaffen für eine mehr oder' weniger gewaltsame Zerstörung des Kräftegleichgewichts durch Subversion und materielle Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe, an deren Ende nach wie vor die kommunistische Weltherrschaft steht.

Diese Methodik des weltpolitischen Machtkampfes, die seit dem Koreakrieg nur in der Kubapolitik eine erfolgreiche Fortsetzung erfahren hatte, war durch die Ausrufung des friedlichen Wettbewerbes mit dem kapitalistischen Westen durch Chruschtschow in die Rumpelkammer des politischen Instrumentariums der Sowjets verbannt worden. Man tut allerdings gut daran, sich zu erinnern, daß die Erklärung der friedlichen Koexistenz zur Grundlage der internationalen Beziehungen primär der Erkenntnis entsprungen war, daß eine Eroberung des Westens wegen des atomaren Gleichgewichts nicht mehr möglich ist. Nun hat aber das Repertoire der inter-

nationalen Politik in den letzten Jahren insoferne einen Zuwachs erhalten, als es sich zeigte, daß man gerade wegen der atomaren Zementierung der Substanz der Atommächte konventionelle Kleinkriege und Aufstände ohne Kriegserklärung führen und somit das Potential des „gleichstarken“ Atomgegners politisch und weltwirtschaftlich erweichen kann.

Am 23. Mai 1965 veröffentlichte die Moskauer „Prawda“ einen Artikel, in dem sie, unter erneuter Strapazierung der Erinnerung an das Münchner Abkommen mit Fitler, den aktiven Kampf gegen die amerikanischen Kriegstreiber als probates Mittel zur Verhinderung des atomaren Weltkrieges empfiehlt. Das hieße, friedliche Koexistenz kann je nach Bedarf alles genannt werden, was nicht Atomkrieg ist oder einen solchen nicht unmittelbar provoziert.

Ein Ausweichmanöver

Nach wie vor zeigt sich aber die Sowjetunion, ungeachtet der Verurteilung der amerikanischen Interventionen, nicht geneigt, sich und das kommunistische Lager durch die Kommunisten Pekinger Provenienz in einen Weltkrieg hineinziehen zu lassen. Eher verzichtet man auf die Niederlage Südvietnams und der dort kämpfenden Streitkräfte. Die Annäherung zwischen Indien und der Sowjetunion bietet einige Anhaltspunkte für diese Alternative. In diesem Zusammenhang ist ein Bericht der chinesischen Parteizeitung „Renmin Ri Bao“ vom 9. Mai aufschlußreich, in dem sie von einer positiven Reaktion Moskaus auf einen indischen Vorschlag berichtet, den die indische Presseagentur am 5. Mai veröffentlicht hatte und der einen Waffenstillstand sowie eine Besetzung ganz Vietnams durch afro-asiatische Truppen vorsah. Es scheint, daß sich die Sowjetunion einen Zugang zu Südostasien über Indien zu verschaffen versucht, um von der Kontrolle Rotchinas freizukommen, das den sowjetischen Nachschub für Nordvietnam überwachen kann.

Mit größtmöglicher Sicherheit kann aber derzeit nur damit gerechnet werden, daß Moskau aus dem Labyrinth der Alternativen des Handelns im Vietnamkonflikt nicht bei jenem Ausgang anlangen möchte, der zum Weltatomkrieg führt. Diese Sicherheit wäre gewiß noch sehr viel, wenn nicht schon am 25. April der amerikanische Verteidigungsminister McNamara erklärt hätte, daß sich die USA den Einsatz von Atomwaffen in Vietnam vorbehalten, und wenn nicht die in den Konflikt hineinverwickelten kommunistischen Mächte die Tür für Verhandlungen zugeschlagen hätten, die für die USA nicht als solche schon eine offene Niederlage bedeuten würden.

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