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Im Hintergrund: Dulles

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Die amerikanische Außenpolitik steht gegenwärtig im Scheinwerferlicht .der Weltöffentlichkeit. Die Reise des englischen Premiers Eden nach Washington dient dem Zwecke, die englischen und amerikanischen Interessen aufeinander abzustimmen, nachdem die sowjetische Wirtschaftsoffensive in Asien und die politische Offensive im Nahen Osten eine Uebereinkunft der Westalliierten dringend nötig macht. Der Brief Bulganins mit dem Angebot eines zwanzigjährigen Freundschaftspaktes an Eisenhower verfolgt verschiedene Zwecke, unter ihnen aber auch den einen, offensichtlichen: die USA von ihren alten Verbündeten zu isolieren und zu diskreditieren. Die rasche, nach manchen amerikanischen Urteilen vielleicht allzu rasch erfolgte ablehnende Antwort Eisenhowers läßt jedenfalls den guten Sinn erkennen, in der freien Welt keinen Zweifel über die Festigkeit der USA aufkommen zu lassen. Beides aber, die Eden-Reise und der Briefwechsel Bulganin—Eisenhower machen darauf aufmerksam: in einem für die Weltpolitik des Westens kritischen Jahr steht die amerikanische Außenpolitik wie vielleicht nie zuvor seit dem Debakel in China und dem Kampf in Korea vor der Aufgabe, neue, positive, konstruktive Planungen zu entwickeln, will sie nicht im Schlepptau der Reaktionen auf die Taten anderer den kürzeren ziehen ... „Die Furche“

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Die amerikanische Außenpolitik steht gegenwärtig im Scheinwerferlicht .der Weltöffentlichkeit. Die Reise des englischen Premiers Eden nach Washington dient dem Zwecke, die englischen und amerikanischen Interessen aufeinander abzustimmen, nachdem die sowjetische Wirtschaftsoffensive in Asien und die politische Offensive im Nahen Osten eine Uebereinkunft der Westalliierten dringend nötig macht. Der Brief Bulganins mit dem Angebot eines zwanzigjährigen Freundschaftspaktes an Eisenhower verfolgt verschiedene Zwecke, unter ihnen aber auch den einen, offensichtlichen: die USA von ihren alten Verbündeten zu isolieren und zu diskreditieren. Die rasche, nach manchen amerikanischen Urteilen vielleicht allzu rasch erfolgte ablehnende Antwort Eisenhowers läßt jedenfalls den guten Sinn erkennen, in der freien Welt keinen Zweifel über die Festigkeit der USA aufkommen zu lassen. Beides aber, die Eden-Reise und der Briefwechsel Bulganin—Eisenhower machen darauf aufmerksam: in einem für die Weltpolitik des Westens kritischen Jahr steht die amerikanische Außenpolitik wie vielleicht nie zuvor seit dem Debakel in China und dem Kampf in Korea vor der Aufgabe, neue, positive, konstruktive Planungen zu entwickeln, will sie nicht im Schlepptau der Reaktionen auf die Taten anderer den kürzeren ziehen ... „Die Furche“

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Das letzte Amtsjahr. eines amerikanischen Präsidenten ist ein Jahr der zwei Möglichkeiten: besteht die Wahrscheinlichkeit, daß der amtierende Präsident seine Partei bei den bevorstehenden Wahlen abermals zum Sieg führen wird, so wird es ein Jahr aktivster Regierungstätigkeit, die dem Präsidenten eine möglichst große Popularität sichern soll; besteht diese Wahrscheinlichkeit nicht, so wird eine intensive legislatorische Aktivität entfaltet, um statt des einzelnen die Partei ins beste Licht zu setzen; die Tätigkeit im Kongreß tritt stark in den Vordergrund und die Regierungsgeschäfte überschreiten selten das Maß der interimistischen Routine.

Hiervon Prognosen für das Wahljahr 1956 abzuleiten, wäre jedoch verfehlt, da sich die Vereinigten Staaten vor eine neue Situation gestellt sehen. Zum ersten ist die Frage der künftigen Präsidentschaft völlig offen. Eisenhower könnte wohl, dank seiner persönlichen Popularität, auch im kommenden November einen republikanischen Wahlsieg herbeiführen, doch ist an seiner abermaligen Kandidatur zu zweifeln. Zum zweiten aber ist die republikanische Partei nicht in der Lage, auf dem Gebiet der Gesetzgebung besondere Lorbeeren zu ernten, da sie durch die Nachwahlen von 1954 im Senat und im Repräsentantenhaus in die Minderheit geraten ist. So ergibt sich eine in jeder Beziehung unübersichtliche Situation: obwohl das Jahr 1956 von den Vereinigten Staaten eine besonders aktive Regierungspolitik erfordern würde und obwohl die USA in General Eisenhower einen Präsidenten besitzen, der, dank seines außerordentlichen persönlichen Prestiges, wie wenige andere geeignet wäre, auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen und begreiflich zu machen, wird sich Amerika, sofern die Frage der künftigen Präsidentschaft nicht in allernächster Zeit entschieden wird, wohl auf einen außenpolitischen Immobilismus ä la fran-caise beschränken. Eine verstärkte außenpolitische Profilierung oder gar entscheidende außenpolitische Erfolge Eisenhowers würden in der amerikanischen Oeffentlichkeit zweifellos den Wunsch aufkommen lassen, auch der nächste Präsident möge eine außenpolitisch profilierte, zu außenpolitischen Erfolgen befähigte Persönlichkeit sein; und dies wäre, im Falle eines Abganges von Eisenhower und angesichts der nahezu überparteilichen Außenpolitik, die die Vereinigten Staaten im dritten Amtsjahr des jetzigen Präsidenten verfolgt hatten, paradoxerweise der brillante demokratische Spitzenkandidat Adlai Stevenson.

Es ist dies eine neue. und leider auch ein wenig unbehagliche Situation. Die bloße Weiterführung der Regierungsgeschäfte statt einer aktiven Regierungspolitik bedeutet geringes Hervortreten des Regierungschefs, größere Verantwortlichkeit, wenn auch auf kleinerem Raum, der Ressortminister, und also, auf dem Gebiet der Außenpolitik, die Rückkehr zum Konzept von John Foster D u 11 e s. Die sensationellen Veröffentlichungen des amerikanischen Außenministers in der Wochenschrift „Life“ waren wohl kein Zufall. Dieser eigenwillige, von puritanischem Starrsinn erfüllte Mann hat schwer darunter gelitten, daß ihm Eisenhower während der sechs Monate vor seiner Erkrankung die Zügel der Außenpolitik fast völlig entwand und er nur aus parteipolitischen Gründen nicht zum Rücktritt gezwungen wurde. Jetzt, da er aus ebendiesen Gründen wieder in den Vordergrund geschoben wird, sucht er an seine alten Pläne von 1953 anzuknüpfen: härtester Widerstand gegen die kommunistische Expansion im Fernen Osten, Status quo in der Deutschlandfrage, propagandistische Zermürbung der Satellitenstaaten und — Hintanstellung aller anderen Probleme! Wie wirkungslos dieses Konzept ist, hat sich gezeigt, als die Amerikaner während der einjährigen Regierungszeit von Malenkow, zu einem Zeitpunkt also, da die Sowjetpolitik keine Linie besaß und nur scheinbar offensiv war, im weltpolitischen Gespräch um keinen Schritt vorwärts kamen. Wie unrealisierbar es ist, wurde augenscheinlich, als trotz der Verlagerung des strategischen Schwergewichtes nach dem Fernen Osten gerade in der Aera Dulles die Hälfte Indo-chinas an den Sowjetblock fiel, die Sympathien Indiens und Burmas endgültig und diejenigen Japans zum größten Teil verscherzt wurden, ja daß sogar die als amerikanischer Außenposten anzusehenden Philippinen eine zunehmend antiamerikanische Haltung einnehmen. Daß die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht zustande kam, geht gewiß nicht zu Lasten Dulles'; sein Konzept von der „Hintanstellung aller anderen Probleme“ brachte aber die Atlantikpaktorganisation in größte Schwierigkeiten, da sie durch den Zypernkonflikt, die ägyptischisraelischen Spannungen und die französischen Schwierigkeiten in Nordafrika viel von ihrer Verwendbarkeit eingebüßt hat. Die voraussichtliche Weiterverfolgung dieses Konzeptes — wenn auch, wie betont, auf kleinstem Raum — wirft Schatten.

Die Russen werden diese Chance zweifellos zu nützen wissen. Mit Eisenhower verhandelten sie — ob direkt oder indirekt - nur ungern, da sie wußten, daß hinter dem Präsidenten die Vereinigten Staaten standen. Dulles gegenüber können sie anders auftreten, da hinter dem amerikanischen Außenminister, so wie die Dinge jetzt liegen, nur ein in absehbarer Zeit aus seinem Amte scheidender Präsident steht, dessen Entscheidungsmöglichkeiten begrenzt sind. Die Russen werden daher alles unternehmen, um in diesem Wahljahr die größtmöglichen Erfolge zu erzielen. Ihre verstärkte Aktivität im Mittelmeer, in Ostindien, und das allmähliche Aufflackern der Kämpfe zwischen Rot- und Nationalchina lassen auf eine neue, aktivere Phase der sowjetischen Außenpolitik schließen. Die amerikanische Haltung in diesen Konflikten wird abwartend und vor allem bestrebt sein, mögliche Waffengänge — wie etwa zwischen Israel und Aegypten, dem chinesischen Festland und Formosa — um jeden Preis zu verhindern und die Auseinandersetzungen auf Gefechte diplomatischer Natur zu beschränken. Ein neuerliches Blutvergießen würde nämlich in dem jeder Art Krieg abgeneigten Amerika selbst dann zu einer Wahlniederlage der Republikaner führen, wenn keine amerikanischen Soldaten ihr Leben aufs Spiel setzen müßten. Die „State of the Union“-Botschaft Präsident Eisenhowers läßt auf diesen Immobilismus um jeden Preis schließen; er wird wohl erst dann ein Ende nehmen, wenn die Entscheidung über die künftige Präsidentschaft gefallen ist. Die klügsten Politiker der USA sind der Meinung, daß jeder Tag, der diese Entscheidung nicht bringt, für den Sowjetblock arbeite und daß der bevorstehende Wahlkampf unter Umständen wohl auf Grund finanz- oder agrarpolitischer Probleme entschieden werden könnte, aber letztlich doch ganz etwas anderes auf dem Spiel stehe: die künftige Politik der freien gegenüber der kommunistischen Welt.

Sollte sich diese Meinung durchsetzen, dann wird auch diesmal wieder das letzte Amtsjahr des amerikanischen Präsidenten das Jahr der zwei Möglichkeiten sein: kandidiert Eisenhower ein zweites Mal, wird er bis zum Frühherbst die Zügel der Außenpolitik wieder an sich nehmen und mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit darangehen können, die Unruheherde in Europa, Afrika und Asien zu lokalisieren, vielleicht sogar zu befrieden. Entschließt er sich aber, ohne Rücksicht auf seine Partei, jetzt schon auf eine nochmalige Kandidatur zu verzichten, würde dem amerikanischen Außenminister angesichts des wahrscheinlichen demokratischen Wahlsieges nichts anderes übrigbleiben, als den Wünschen der Kongreßmehrheit Rechnung zu tragen. Eine rasche Entscheidung der Präsidehtschaftsfrage würde jedenfalls das augenblickliche Unbehagen der meisten politischen Beobachter gegenstandslos machen.

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