Im Land der Notbremser und stop-sager

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Die Alternative für Deutschland, eine ideologische Mischung aus Tea Party und rechtskonservativen und xenophoben Strömungen, könnte drittstärkste Partei im Bundestag werden. Warum hält ihr Aufschwung an?

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Die Alternative für Deutschland, eine ideologische Mischung aus Tea Party und rechtskonservativen und xenophoben Strömungen, könnte drittstärkste Partei im Bundestag werden. Warum hält ihr Aufschwung an?

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Was die AfD auszeichnet, ist der Brückenschlag zwischen völkischen Schaumschlägern und besorgten Bürgern.

Als die Dämmerung über Waldheim fällt, bläst Thomas Goebel, Malermeister und Bundestagskandidat der AfD, zum Angriff: "Am 24. September werden wir uns unser Land zurückholen." Es folgt eine Brandrede gegen die "Altparteien des Verfalls" und die regierende "Räuberbande in Nadelstreifen", die es aus dem Bundestag zu treiben gelte. Bewerkstelligen soll dies "Die Notbremse in einem Zug, der auf den Abgrund zurast", so Goebel brachial und blumig. "Die Alternative für Sachsen, äh, 'tschuldigung, Deutschland."

Ein Versprecher mit Hintergrund: Das südöstliche Bundesland ist für die Partei von besonderer Bedeutung. Hier begann 2014 ihr Einzug in beinahe alle deutschen Landtage mit Ausnahme von Bayern, Niedersachsen und Hessen. Parallel breitete sich die Pegida-Bewegung von der Landes-Hauptstadt Dresden aus im Land aus. Seit den Protesten gegen Flüchtlinge ist Sachsen auch für ein rechtsoffenes bürgerliches Milieu bekannt, das für völkische Parolen keine Glatze braucht. Wo sonst ließe sich der Frage nachspüren, warum die AfD bei der Bundestagswahl am Sonntag drittstärkste Partei werden könnte?

Im Zuchthaus der "Politischen"

Auf dem Marktplatz von Waldheim stehen an diesem Abend etwa 150 Menschen. Frauen und Männer vom Zwanziger bis zur Rentnerin, ein Querschnitt durch die Bevölkerung des 10.000-Einwohner-Städtchens, zu DDR-Zeiten bekannt durch das "Zuchthaus Waldheim" für politische Häftlinge. Die meisten sehen bürgerlich aus, einige könnten einem alternativen Kulturzentrum entsprungen sein, viele tragen Undercut-Frisuren. Freudig begrüßt der Moderator die "jungen Gesichter" und lädt sie zur Ortsgruppe ein. "Wir sind weder braun noch rechtsradikal."

Tatsächlich ist die AfD vor allem: blau. Während Spitzenkandidat Alexander Gauland sich in Stolz auf die Wehrmacht ergeht, ziehen seine Parteikollegen in himmelblauen Bussen durchs Land - ein Kontrastprogramm, das ohne Runen und Keltenkreuze auskommt. So manche Analyse griff in den letzten Jahren zu kurz, wenn sie zu klären versuchte, ob Pegida oder die AfD nun Nazis wären oder nicht. Wer so fragt, begreift nicht, was beide auszeichnet: den Brückenschlag zwischen völkischen Schaumschlägern und den vielzitierten besorgten Bürgern.

In Waldheim gibt es sie in ihrer ganzen Bandbreite zu hören. Malermeister Goebel klagt die Lohn-Ungleichheit zwischen Osten und Westen an und Universitäten, die "unsere Kultur zersetzen". Sebastian Wippel, Landtagsabgeordneter aus Görlitz, sorgt sich um Scharia-Polizei, aber auch darum, wie vermeintlich unpünktliche Afrikaner "unsere Industrie am Leben erhalten" könnten. Schließlich Bundestags- Kandidat Heiko Hessenkemper, der vor "Heerscharen aus Afrika" warnt, die "am Brenner lagern" und einer Million Menschen, die 2018 durch Familienzusammenführung ins Land kämen. Fazit: "Dies ist eine Schicksalswahl: Werden wir auf Dritt-Welt-Niveau abgleiten oder können wir unsere Zivilisation schützen?"

Ein gefühltes Bedrohungs-Szenario und ein als permanent wahrgenommener Zustand der Krise: Aus diesen Quellen speist sich der Zulauf der AfD. Nirgends zeigt sich das besser als in alltäglichen Szenen. Zum Beispiel rund 60 Kilometer östlich: Freital, eine Kleinstadt, die für rechtsextreme Umtriebe bekannt wurde. 2016 wurde eine Terrorzelle ausgehoben, deren Mitglieder wegen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und Linke vor Gericht stehen. Sie entstanden zur Zeit der rabiaten Proteste, die Freital 2015 international bekannt machten. Die Bilder von Demonstranten, die mit hassverzerrten Gesichtern ein Wohnheim belagern, gingen um die Welt.

Ein gefühltes Bedrohungs-Szenario und ein als permanent wahrgenommener Zustand der Krise: Aus diesen Quellen speist sich der Zulauf der AfD.

Friede und Hüpfburgen

Heute ist es ruhig in Freital. Vor der nun leerstehenden Flüchtlingsunterkunft oben auf einem Hügel hört man nur ein paar Vögel. Umso belebter ist das Gebiet um das "Stadion des Friedens", wo an diesem Spätsommer-Wochenende das "Windbergfest" stattfindet. Hüpfburgen für Kinder, Fahrgeräte, Würstelbuden, und weit und breit kein Zeichen grassierender Xenophobie -oder? Unter einem Baum stehen drei Stellwände, darauf sind bunte Zettel befestigt: ein Ideenwettbewerb des "Umweltzentrums Freital" mit Vorschlägen der Bewohner zur Frage: "Wie wollen wir Freital inklusiv, sicher, widerstandsfähig, nachhaltig für die Zukunft machen?" Gewünscht werden: Freizeitparks, Kino, Shoppingcenter, mehr Grün sowie mehrfach eine Shisha-Bar. Vereinzelt finden sich aber auch Anregungen, das "rechte Problem" zu lösen, "Keine Gewalt" oder: "Das Image der Stadt hat sich zu verbessern."

Fragt man Saskia Zeising, Mitarbeiterin des Umweltzentrums, nach der Stimmung in der Stadt, erzählt sie von "sehr großer Unzufriedenheit" und Lethargie. "Es ist schwer für die Leute, hier selbst aktiv zu werden. Spreche sie sie an, höre sie oft, das habe doch keinen Sinn, hier ist nichts mehr zu holen. Deshalb sieht sie dringend Handlungsbedarf. "Wir sollten Menschen abholen, bevor sie total eskalieren." Der Ruhe in Freital traut sie höchstens bedingt: "Ich frage mich, was passieren würde, wenn wieder eine große Gruppe Menschen aus anderen Ländern hierhin käme, denen man das auch ansieht. Die Stimmung war richtig krass hier, doch viele sagten, das würde alles von den Medien hochgespielt. Jetzt wird das Ganze weggeschwiegen statt aufgearbeitet."

Auf Schweigen stößt jedenfalls, wer sich auf dem Fest über die Bundestagswahl unterhalten will. Ein Paar, das auf einer Bank am Sportplatz sitzt, will nicht darüber sprechen. Ebensowenig die beiden Frauen am Kaffeestand. Michael Seifert aber, der Trainer der ersten Mannschaft der SG Motor Freital, der mit einer Flasche Pils am Rande des Flohmarkts steht, gibt widerwillig Auskunft. "Wird wohl eher 'ne Protestwahl", beginnt er. "Was für ein Protest?" - "AfD. Weil ich von den anderen enttäuscht bin." Früher wählte Michael Seifert mal CDU. Heute hat er von der Kanzlerin die Nase voll. "Merkel, das bedeutet den Amis den Kopf in den Hintern stecken und sich mit Putin zu verfeinden. Dabei wäre das der bessere Verbündete!"

Griechen und Migranten

Die Worte des Trainers erinnern an die Redner auf dem Marktplatz von Waldheim. Auch er fürchtet sich vor einem Familiennachzug für Flüchtlinge, "dabei sind die Rentenkassen leer, und trotzdem sollen wir finanzieren, dass die Griechen mit 55 in Rente gehen können." Straffällige Migranten will er gleich abschieben, "mit Familie". Teile seiner Ideen könnten im Wahlkampf auch aus dem Mund von Unions-oder FDP-Politikern stammen. Auch dass "die Wirtschaft die Politik bestimmt", stört Michael Seifert, und dass "die Hälfte der Schulkinder nicht aus Deutschland kommt".

Seine Ansichten sind in Deutschland bis weit ins bürgerliche Milieu hinein konsensfähig geworden. Zugleich aber redet er von einem "Interesse, Deutschland kaputt zu machen", und zwar durch "Vermischung" seiner Bevölkerung. Blogger wie Michael Mannheimer und Jürgen Elsässer verbreiten diese Thesen, und auch in Michael Seiferts Umfeld gibt es "zwei, drei Leute, die sich damit beschäftigen".

Bei Pegida ist der Trainer übrigens nie mitgelaufen. Ihm ist, als sei diese Bewegung "von den regierenden Parteien installiert". Warum? "Dann können die Leute mal Dampf ablassen und denken, sie hätten etwas bewirkt." Eine Sache will Michael Seifert übrigens noch klarstellen. "Ich bin kein Nazi, aber die Politik, die die anderen betreiben, drängt einen in die rechte Richtung."

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