Im Land, wo die OhrfeIgen bLühen

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Im syrischen Manbij könnten einander bald Truppen der Nato-Partner Türkei und USA im Kampf gegenüberstehen.

Mit der Niederlage des IS hat auch Ankara einen Krieg verloren, den es als Kulissenschieber gegen die Kurden und als sunnitische Schutzmacht gewinnen wollte.

Wenn man an schwarze Pädagogik denkt, fühlt man sich gewöhnlich in die Tiefen und Untiefen der heimischen Bildung debatte versetzt. Aber es gibt schwarze Pädagogik auch in der Weltpolitik -und man möchte meinen, sie sei hier sogar häufiger anzutreffen als im Bildungsleben. Denn in der Rethorik scheint derzeit auf diesem Feld vieles erlaubt, mit nach oben offener Möglichkeitenskala. So trat der türkische Staatschef vor einer Woche an die Öffentlichkeit und drohte seinem NATO-Bündnispartner, den USA, eine "osmanische Ohrfeige" an. Das sind dann doch neue Umgangsformen innerhalb desstärksten Militärbündnisses der Welt. Der Humorist Wilhelm Busch hätte jedenfalls seine Freude mit einer globalpolitischen Analyse.

Hier strotzt die Backe voller Saft; / Da hängt die Hand, gefüllt mit Kraft. / Die Kraft, infolge der Erregung, / Verwandelt sich in Schwungbewegung. / Bewegung, die in schnellem Blitze / Zur Backe eilt, wird hier zu Hitze. / Die Hitze aber, durch Entzündung /Der Nerven, brennt als Schmerzempfindung / Bis in den tiefsten Seelenkern, / Und dies Gefühl hat keiner gern. / Ohrfeige heißt man diese Handlung, / Der Forscher nennt es Kraftverwandlung.

So in etwa muss man sich Konfliktbewältigung im 21. Jahrhundert vorstellen. Und entsprechend war am vergangenen Wochenende bei der Sicherheitskonferenz in München die nervliche Anspannung zu spüren. US-Außenminister Rex Tillerson war davor eigens nach Ankara gereist, aus Sorge um den entgleisenden Partner. Er tat dies allerdings ohne Erfolg. Denn nach Tagen der Bemühungen von Seiten der Amerikaner rief der türkische Außenminister Mevlüt Cavu¸soglu immer noch "Skandal" und er meinte damit nicht sich und seinen Präsidenten, sondern den alten Verbündeten.

Der Abfall der Türkei

Dabei ließe sich der Konflikt der beiden Staaten ganz einfach darstellen und -nach alter Sitte - viel weniger emotional. Es handelt sich um Spannungen, entstanden aus dem sich beschleunigenden Abfall der Türkei von der NATO und vom Westen insgesamt. Die USA kämpfen seit mehr als zwei Jahren sehr erfolgreich gemeinsam mit kurdischen Milizen (YPG) im Nordirak gegen den Islamischen Staat. In diesem Konflikt stand die Türkei immer im Zwielicht. Denn nicht nur ließen sie den IS bei seinem Feldzug in Sichtweite der türkischen Grenze gewähren. Es gibt auch zahlreiche Indizien für die Unterstützung der Terrormiliz durch die Türkei.

Dieser Support ist laut einer Studie der Columbus University zumindest bis 2015 evident und beinhaltet Waffen, freies Geleit für IS-Kämpfer, logistische Hilfe bei der Abwicklung von IS-Öltransporten sowie geheimdienstliche Informationen und militärische Satelliten-Aufklärung.

Das Kalkül der Türkei, sich über den IS und andere radikal sunnitische Gruppen wie die al-Nusra Achtung in der sunnitischen Sphäre zu schaffen, ging allerdings nicht auf. Die kurdischen Milizen und die syrischen, von Russland unterstützten Truppen gewannen die Oberhand und auch die Kontrolle über das von den Radikalen regierte Gebiet.

Diese Niederlage ist letztlich das syrische Vorspiel für den türkischen Zorn: Ankara hat einen Krieg verloren, den es als Zaungast und Kulissenschieber gewinnen wollte. Nun, nach der Niederlage des IS, muss die Türkei selbst gegen die Kurden vorgehen. Eine Armee, die im Häuserkampf in den kurdischen Provinzen der Türkei erfahren ist, soll es in der Grenzregion richten. Nur sind die Kurden in diesen Kämpfen eben auch geschult.

Gefährliche Perspektiven

Und der Ausblick, so gefährlich für die Region wie für die Stabilität der Region insgesamt: Eine neue Front im syrischen Gemetzel, dem bisher 350.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Diesmal in der Grenzstadt Afrin und im syrischen Manbij. Dort könnten einander bald Truppen der beiden Nato-Partner Türkei und USA gegenüberstehen.

Doch wie alle Politik in der Region hat auch diese Geschichte viele doppelte Böden und perverse Verwerfungen. Denn plötzlich kämpfen die US-unterstützten Kurden mit der von Putin unterstützten Syrischen Armee gegen Truppen aus Ankara, während die Türkei immer wieder mit Russland als neuem Bündnispartner liebäugelt, das gerade tatkräftig bei der Vernichtung der sunnitischen Anti-Assad Milizen hilft.

Um die Verwirrung komplett zu machen: Die kurdische YPG strebt zwar nach eigenen Angaben bloß nach Selbstverwaltung für die Kurden im Osten Syriens. Aber in einem neuen Bericht der US-Geheimdienste heißt es, die YPG sei die "syrische Miliz" der PKK. Und die wird nicht nur von der Türkei, sondern auch von den USA als Terrororganisation eingestuft.

Wie soll es also weitergehen? Die zentrale Figur dieses Konflikts bleibt Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seit dem Putschversuch in der Türkei 2016 mit Dekreten und Ausnahmezustand regiert. Das ändert auch außenpoltisch sehr viel, weil Erdogan sukzessive die politischen Kontrollorgane des Staates aushebelt. Das betrifft nicht nur das Parlament. Auch das Verfassungsgericht wird bei Bedarf ignoriert und als Institution lächerlich gemacht. Im Jänner etwa ordnet es die Freilassung mehrerer inhaftierter Journalisten an. Im Februar werden dieselben Journalisten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Es ist diese innenpolitische Machtanmaßung und -anhäufung, welche die Türkei nach außen hin zu einem uneinschätzbaren Partner machen. Denn Erdogan scheint die Welt wirklich nur nach einem Gesichtspunkt zu betrachten, für den er als Oppositioneller schon einmal ins Gefängnis ging: "Die Moscheen sind unsere Kasernen und die Gläubigen unsere Soldaten." Genau mit dieser General-Mobilmachung für das Volk hat er den Putsch gegen sich abgewehrt, indem er die Bürger zu Soldaten und die Moscheen zu Sammelplätzen umfunktioniert hat. Und in dieser Weise hat sich die Vorgehensweise nicht geändert.

Zynismus für das Volk

Sie ist freilich martialischer und in diesem Sinn auch zynischer geworden, denn die Massenbasis braucht zur Anleitung Demagogie und die Demütigung der Außenfeinde. Das funktioniert auch über relativ platten Zynismus. Indem etwa die Belagerung einer Stadt in einem Nachbarstaat "Operation Olivenzweig" genannt wird. Und wer würde auf die Idee kommen, jene Straße in Ankara, an der die US-Botschaft liegt, in "Olivenzweigstraße" umzubenennen?

Es ist nicht zu erwarten, dass Erdogan sein Vorgehen ändert. Er wird weiter die Opposition knebeln und Feinde suchen. Diese Instabilität der Außenbeziehungen und die Unterdrückung der Kritik stabilisieren seine Herrschaft. Zu einem ähnlichen Schluss kommen Experten, die vom "Carnegie-Institute" eingeladen wurden, ihre Erwartungen zu skizzieren. Man müsse mit einem längeren Ausnahmezustand rechnen, vermutlich sogar so lange, bis Erdogan aus dem Amt scheidet.

Ob das die NATO aushalten wird, ist eine andere Sache. Seit neuestem gefällt sich die Türkei darin, Waffensysteme in Russland und China zu ordern. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Stanley Weiss vom "Berggruen Institute", einem Thinktank für Zukunftsfragen in Los Angeles, hat darauf hingewiesen, dass die Nato laut ihrer Satzungen zur Beistandsverpflichtung im Konfliktfall verpflichtet ist. Was, wenn die Türkei selbstverschuldet in einen Krieg mit Syrien oder Iran schlittert? Muss ihr dann militärisch geholfen werden? Von osmanisch Geohrfeigten gar?

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