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Im nahostlichen Spannungsfeld

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Weltpolitisch gesehen ist die Türkei neben Ägypten der entscheidende Faktor im nahöstlicfhen Spannungsfeld. Ihr Einfluß ist noch gewachsen, seit sich Ankara im Vorjahr aus seiner kemaiistischen Distanz zur islamischen Welt löste und klare Sympathien für den Nassers Panarabismus entgegentretenden Panislamismus Saudi-Arabiens, Jordaniens und Libyens bekundete. Dadurch gewann aber auch die seit dem Austritt des Irak ihres Herzstücks beraubte CENTO ideologischen Rückhalt, der neutralen islamischen Staaten wie Afghanistan die Annäherung erleichtert und der der Sowjetunion, infolge seiner Ausstrahlungskraft auf die islamische Bevölkerung Turkestans und Transkau-kasiens, zusätzliches Kopfzerbrechen bereitet.

Ist die zentrale Bedeutung der Türkei für die freie Welt und ihre Führerrolle in der CENTO heute unumstritten, so hat sich die europäische Position des Nachfolgestaates des Osmanischen Reiches gleichfalls noch nicht ganz geklärt. Zwar hat momentan die Aufrichtung der Diktatur in Griechenland viele dort gebundene Sympathien für Ankara freigemacht, doch schwankt das Türkeibild des Mitteleuropäers zwischen den sentimentalen Zerrbildern der Türkennot und der Waffenbrüderschaft an Dardanellen und Palästina-Front. Daß die Türkei heute, nach dem endgültigen Niedergang des Kemalismus, den in diesen Tagen der Zerfall der von Atatürk gegründeten Republikanischen Volkspartei besiegelte, um eine neue Sinngebung ihrer politischen Existenz ringt, die mehr sein soll als Nationalismus und Laizismus, ist nur wenigen bewußt. Die Epoche der alten Kämpfer ist, wie Ismet Pascha Inönüs unrühmlicher Abgang vom Parteitag in Ankara beweist, unwiderruflich vorbei.

Im Grunde stehen wir in der Türkei vor derselben Problemartlik wie to Griechenland, mit dem Unterschied, daß die Türken ihre Revolution schon glücklich hinter sich gebracht haben. Aber in beiden Ländern versuchten oder versuchen autoritäre Kräfte dem liberalen Demokratisierungsprozeß mit dem zweifelhaften Endeffekt Einhalt zu gebieten, daß die Gemäßigten ausgeschaltet oder der radikalen Linken zugetrieben werden, die allein ungebrochen überdauert. So ist der zukunftsträchtige Widersacher Demireis keineswegs mehr die in Auflösung befindliche kemalistische Opposition, sondern das bedrohliche Anschwellen der parlamentarischen und propagandistischen Präsenz der Linksextremisten, die vor dem Staatsstreich überhaupt nicht in Erscheinung getreten waren.

Der von Ministerpräsident Demirel in Bonn ausgesprochene Wunsch nach der Aufnahme der bisher nur assoziierten Türkei als Vollmitglied der EWG entspricht vollends den Bedürfnissen eines Landes, das weder Marken- noch international konkurrenzfähige Produkte zu schützen, sondern im Gegenteil seine landwirtschaftlichen Überschußgüter möglichst einfach an den Mann zu bringen hat. Den hochindustrialisierten EWG-Staaten hingegen eröffnet die volle Mitgliedschaft der Türkei einen gewichtigen Absatz-raum, dessen Bedürfnisse mit steigendem Lebensstandard noch wachsen werden. Uber die strategische Unentbehrlichkeit der Türkei für Europa braucht wohl kaum ein Wort verloren werden.

Was ist aber über Wirtschaft und Militär hinaus der spezifische Beitrag, den die Türkei zu einem größeren Europa beizusteuern hat, und den Ministerpräsident Demirel in Bonn so bereitwillig anbot? Es würde sowohl der geographischen wie der kulturellen Position der Türkei widersprechen, wenn sie sich als unentbehrlichen Eckstein des werdenden Europas anpriese, und selbst in dessen südöstlichem Groß-raüm wird trotz türkischer Millionen und Divisionen immer das kleine Griechenland den Vortritt haben. Als Bindeglied zur islamischen und asiatischen Welt jedoch, von der sich auch ein vereintes Europa nicht wird abkapseln können, ist die Türkei unersetzlich,

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