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Im Schatten der AufrUstung

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Zu denen gehörig, die als letzte am Tische der Weltwirtschaft Platz nehmen, vermag sich Österreich immer erst spät in einen allgemeinen konjunkturbedingten Aufschwung einzuschalten, bekommt aber meist an erster Stelle die Auswirkungen weltweiter Rückschläge zu spüren. Die wirtschaftliche Szenerie der Welt hat sich nicht weniger schnell und grundlegend geändert als die politische, und Probleme, an die vor einem Jahr niemand gedacht hat, harren heute der Lösung. Was gestern noch eine . wirtschaftspolitische Tugend war, ist heute ein Fehler, und umgekehrt.

Die Hauptaufgaben, denen sich die europäischen Volkswirtschaften bis zur Koreakrise gegenübersahen, waren, nachdem die erste Nachkriegsperiode der Erholung; und des improvisierten ■ Wiederaufbaues vorüber war, Ausgleich der Zahlungsbilanz durch Steigerung von Produktion, Produktivität und Export (vorwiegend in Dollargebiete), Vermeidung eines zu starken Druckes auf den Lebensstandard und Sicherung der Vollbeschäftigung. Die erzielten Ergebnisse waren, alles in allem, befriedigend, und der Gedanke einer europäischen Zusammenarbeit gewann auf wirtschaftlichem Gebiet trotz mancher Hinderhisse langsam an Boden.

Die Aufrüstung der westlichen Welt 6eit dem letzten Sommer .bringt, da den mit steigender Produktion steigenden Lohneinkommen keine entsprechende Vermehrung der Konsumgüter gegenübersteht, für alle beteiligten Länder die Gefahr der Inflation, mit der man durch entsprechende — vorbereitete oder schon eingesetzte — Kontrollen fertig zu werden versucht. Die Probleme der Arbeitslosigkeit und „Dollarknappheit“ sind über Nacht verschwunden, doch bereitet nunmehr — neben der Inflationsgefahr — die weltweite Rohstoffknappheit die größte Sorge. Die Knappheit scheint „echt“, das heißt nicht so sehr durch spekulative Hortungskäufe hervorgerufen zu sein, als vielmehr durch eine der unerhörten Ausdehnung der modernen Industriewirtschaft nicht schritthaltende Entwicklung der Rohstoffquellen, so daß mit einem Rückgang der stark gestiegenen Preise auf kurze Sicht kaum gerechnet werden kann. Welche Bedeutung die Vereinigten Staaten dem Rohstoffproblem beimessen, zeigt sich darin, daß sie mit England und Frankreich zusammen eine eigene Verteilungsbehörde geschaffen haben, ohne sich der schon bestehenden Organisation zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu bedienen.

Österreich gehört weder dem Verteidigungssystem der Atlantikpaktmächte an, noch ist es an der Aufrüstung beteiligt! es kann sich gleichwohl den von dieser ausstrahlenden Wirkungen nicht völlig entziehen. Wenn wichtige Rohstoffe — bei Lebensmitteln scheint die Lage vorläufig nidit so bedrohlich zu sein wie etwa bei Kohle, Buntmetallen und Wolle — audi zu hohen Preisen nicht zu haben sein werden, sondern nur von der erwähnten Rohstoffbehörde zugeteilt werden, dann droht unserer Industrie Unterbeschäftigung, falls die Quoten nicht ausreichend sein sollten.

Diese hier in grobem Umriß angedeutete Situation hat sich seit Monaten herausgebildet, ohne daß man ihr vorsorgend Rechnung getragen hätte. Da sich schon Jetzt die ersten Wirkungen zeigen, ist man nun doch alarmiert, und Ministerreden wie Zeitungsstimmen verbfeiten seit Wochen das Gefühl: Es muß etwas geschehen!

Nun birgt die Entwicklung nicht nur Gefahren für uns, sondern'bietet auch einige Vorteile: Wenn statt des Käufers nun wieder'der Verkäufer auf den Märkten regieren soll, so wird Uns künftig der Export erheblich weniger Sorge machen als bisher. Und da Österreich nicht nur Rohstoffe verbraucht, sondern selbst auch begehrte Rohwaren und Halbzeuge anzubieten hat, wie Holz, Papierzeug, Roheisen und Magnesit, sollte es klugem handelspolitischem Verhandeln gelingen, diese Lage kräftig zu unseren Gunsten zu nützen; dabei wird sich freilich eine — wie immer geartete — Kontrolle der Ausfuhr dieser Güter nicht umgehen lassen.

Was die „Kontrolle“ des Binnenmarktes anlangt, so wird es zweckmäßig sein, den Verheißungen der Lenkungsromantiker und ihren probaten Lösungen zunächst einmal zu widerstehen. Nicht nur, weil die Bevölkerung mit dem künstlich Mangel schaffenden, bürokratischen Leerlauf der Konsumbewirtschaftung genügend trübe Erfahrungen gemacht hat, auch auf dem Produktionssektor hat das System der „gelenkten Marktwirtschaft“, wie es in Deutschland während des Krieges, unter vergleichsweise günstigen Voraussetzungen angewandt wurde, nach d e m nahezu einhelligen Urteil berufener neutraler und deutscher Beurteiler völlig versagt. Wie eine Bewirtschaftung auf der Stufe des Letztverbrauchers in Österreich beim 'F eh-1 e n ' n a h e z u all er-hiefür notwend ig e n Vor a us-setzungen aussehen würde, läßt sich leicht-ausrechnn.

Solange Produktionsapparat und Produktion erhalten bleiben, lassen sich die erforderlichen Anpassungen und Umstellungen auch in der Preisbildung am einfachsten und am schmerzlosesten bewerkstelligen. Wenn schon Opfer gebracht werden müssen, so sind sie leichter zu.ertragen, wenn sie Schritt für Schritt und in

Wie verlautet, hat das Ministerkomitee für Rohstofflenkung Vorkehrungen auf diesem Sektor in Aussicht genommen.

Die Red.kleinen Dosen gebracht werden, als wenn die inflationistischen Stöße aufgestaut werden und eines Tages als ungehemmte Flut über uns,hereinbrechen. D i e d i r e k-ten Kontrollen des Binnenmarktes sind der Weisheit letzter Schluß und sollten es bleiben; sie sollten, wie eine Blockade, nur dann angewendet werden, wenn sie „effektiv“ sind, das heißt, wenn man die M a c h t m i t t el h a t, sie durchzusetzen.

Was immer man auch tun möge — eines steht fest, daß den vor uns liegenden Schwierigkeiten nicht mit da und dort angesetzten Teilbehelfen, sondern nur mit einem durchdachten und geschlossenen Konzept 'beizukommen ist. Damit soll weder den „orthodoxen“ noch den „progressiven“ Doktrinären das Wort geredet werden. Es versteht sich von selbst, daß die Blaupausen der Theoretiker nicht die geeignete Rezepte für eine wendige Wirtschaftspolitik abgeben können. Nichtsdestoweniger muß verhütet werden, daß Maßnahmen getroffen werden, denen der logische Zusammenhang fehlt. Es ist nur richtig, daß in einer Demokratie und von einer Koalition auch wirtschaftspolitische Entscheidungen im Kompromißwege gefällt werden. Ein Kompromiß aber, das sich zu ökonomisch miteinander unvereinbaren Zielen, zum Beispiel Vollbeschäf-tigungs- und restriktiver Kreditpolitik, bekennt, ist entweder sinnlos oder von vornherein nicht mit aufrichtigen Absichten geschlossen worden. Es kann als allgemein angenommen gelten, daß sich durch das Zusammenspiel verschiedenartiger, systemfremder Stücke nur die Nachteile der Einzelsysteme häufen, alle ihre Vorzüge aber verlorengehen. Konsequent oder inkonsequent, aber nicht beides!

Bei allem, was geschehen muß, sollte man wissen, daß die Bevölkerung nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der Wirtschaftspolitik ist. Begänne „man“ allgemein mit einer Inflation zu rechnen, so würde sie beinahe unvermeidlich, weil durch die einer solchen Erwartung entsprechenden Handlungen der inflationistische Ablauf hervorgerufen oder gefährlich beschleunigt wird. Es scheint, daß die Führungsstellen der Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit bei der psychologischen Vorbereitung notwendiger Mäßnahmen nicht immer die glücklichste Hand gehabt haben. Eine pflegliche Behandlung des Kapitals an Vertrauen, das — trotz aller Anschläge auf Sparbücher und guten Willen — in der Bevölkerung vorhanden ist. ist allerdings etwas ganz anderes als das Setzen von sogenannten .optischen“ Handlungen, die nuT ein Kartenhaus von Fiktionen i aufbauen, das früher oder später einstürzen und ganz gewiß eine Vertrauenseinbuße mit sieh bringen muß. Wenn einmal beruhigende amtliche Erklärungen von der Öffentlichkeit als Alarmzeichen aufgefaßt und mit Augurenlächeln entsprechend kommentiert werden, dann ist der Punkt erreicht, wo mit unpopulärer Offenheit mehr zu erreichen ist wie mit gewundener Diplomatie. Dann ist es aber auch höchste Zeit, Ich und der Öffentlichkeit über den .einzuschlagenden Weg Rechenschaft abzulegen.

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