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In die Schule der Bibel gehen

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Österreichs Ökumene ist vergleichsweise vorbildlich. Der (gemeinsame) Weg scheint dennoch lang. Ein ökumenisches Gipfelgespräch.

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Österreichs Ökumene ist vergleichsweise vorbildlich. Der (gemeinsame) Weg scheint dennoch lang. Ein ökumenisches Gipfelgespräch.

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DIEFURCHE Das Verhältnis der Kirchenspitzen ist von Streit geprägt — insbesondere seit der Absage des Besuches von Patriarch Bartholomaios. Wie soll Ökumene da weitergehen? MICHAEL SlAJKOS: Patriarch Bartholomaios wollte zeigen, daß gewisse Vorgangsweisen heute nicht den Vorstellungen entsprechen, die man von Ökumene hat, insbesondere in bezug auf den Bespekt vor der eigenen Geschichte, Tradition und Vorstellung des Amtes. Die Delegation des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel wird in Graz teilnehmen. Allerdings sind wir als orthodoxe Kirche uns dessen bewußt geworden, daß wir einiges zu überdenken haben.

DIEFURCHE: Und zwar? Staikos: Daß vieles, was wir als selbstverständlich betrachtet haben, nicht selbstverständlich ist. Vielleicht haben wir nicht klar genug erkennen lassen, wie wir uns auf Tradition und die kirchliche Ordnung stützen.

DIEFURCHE: Insbesondere Rom wird im Zusammenhang der nun nicht stattfindenden Gipfelgespräche kritisiert Wie kann man da Ökumene leben? Christine Geeixner: Ich muß zur Kenntnis nehmen, daß es sich hierbei um weltweite Vorgänge handelt. Auf österreichischer Ebene tun wir alles dazu, den vertrauensvollen Umgang der Kirchen nicht zu behindern.

DIEFURCHE: In der Diskussion der letzten Wochen kommen die protestantischen Kirchen eigentlich nicht vor. Johannes Pantine: Das ist der heikle Punkt. Aus meiner Sicht hat es so angefangen, daß die beiden Patriarchen von Konstantinopel und von Moskau ihren Besuch in Graz zu einer Begegnung verwenden wollten. In diese Entwicklungen und Vorbereitungen hinein ist die Ankündigung des Treffens mit dem Papst gekommen, wo die Ankündigungen sehr einseitig waren: Hier wird ein Konzept von Ökumene vertreten, welches nicht das Konzept von Graz ist, einer ökumenischen Versammlung, wo das ganze Volk Gottes von E,uropa zusammenkommen soll. Unserer Wahrnehmung nach wurde der evangelische Teil einfach ausgetrickst.

DIEFURCHE: Von wem? pantine: Die Nachricht ist offenbar von Bom gekommen. Auch die Tatsache, daß wir alles aus den Zeitungen entnehmen mußten, zeigt, daß „Ökumene” hier nicht so verstanden wurde, wie wir sie sehen.

DIEFURCHE: In Österreich ist der ökumenische Umgang ein anderer als auf der obersten Ebene ... STAIKOS: ... und wir werden uns bemühen, nicht zuzulassen, daß diese Ebene in unsere eingreift. Das haben wir nicht verdient: wir haben als christliche Kirchen in Österreich ein so gutes Zeugnis abgelegt, daß die Zweite Europäische Versammlung in Graz stattfinden kann.

GLEIXNER: Wir müssen eben wahrnehmen, wie stark Unversöhntheit immer noch vorhanden ist, und wie stark Geschichte prägt. pantine: Gerade im Hinblick auf Graz muß man das betonen. Es ist ja viel netter, am grünen Tisch Projekte der Zusammenarbeit zu konzipieren. Es gibt da eine Art „ökumenische Diplomatie”, die nur eine Redaktionsarbeit ist: alle heiklen Punkte streicht man heraus. Das bringt die Ökumene aber nicht weiter. Notwendig ist jedoch die Wahrnehmung des anderen in seiner Andersartigkeit - und erst dann die Wahrnehmung des Gemeinsamen. Welche Stellung hat beispielsweise der Patriarch von Konstantinopel innerhalb der Ökumene? Das kann man nicht vernachlässigen. Gleiches gilt, wenn wir Evangelische uns in Österreich positionieren. Auch wir haben eine Geschichte, in deren Verlauf Österreich einmal evangelisch war und re-katholisiert wurde. Graz war ja der Ort des Ausspruchs: „Wir werden euch schon noch katholisch machen.” stajkos: Es ist ein Kreuz, sich zu versöhnen in diesem chaotischen Fluropa, politisch wie kirchlich. Als Kirchen erlegen wir dieses Kreuz den Menschen auf, aber wir selbst sind nicht imstande, es zu tragen.

DIEFURCHE: Erst seit zwei Jahren gehört auch die katholische Kirche dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich an Was hat das verändert? Pantine: Nicht die Ökumene hat sich verändert, vieles ist zuvor ja schon „inoffiziell” geschehen. Aber es ist beachtlich, in welcher Weise die große katholische Kirche jene Verzichtsleistungen auf sich nimmt, die einfach dazugehören, wenn man zusammen ist - finanzielle oder logistische Kapazitäten, die die katholische Kirche zur Verfügung stellt. Von da her ist die Ökumene in Österreich eine außerordentlich erfreuliche Angelegenheit. difturciie: Die derzeitige Konstellation des Ökumenischen Rates in Oesterreich ist durch ungleiche Partner gekennzeichnet- die katholische Kirche -ein Riese —, die Evangelischen - eine Minderheit-undeinige sehr kleine Gemeinschaften sitzen da zusammen Wie funktioniert das?

Staikos: Was hier in Österreich geschieht, ist auf europäischer Ebene keine Selbstverständlichkeit. Wir agieren nicht unter der Voraussetzung, daß jemand wichtig ist, weil er groß ist, und jemand nichts ist, weil er wenig Mitglieder hat. In der österreichischen Atmosphäre hat niemand das Gefühl, groß oder klein zu sein.

DIEFURCHE: Ist dieser „österreichische Wzg” ein Beispiel für Europa? staikos: Man soll vermeiden, Rezepte zu geben. Unsere Situation ist nicht auf unsere Fähigkeiten zurückzuführen, sondern auf die Geschichte der Koexistenz der Kirchen in Österreich, die zwar - wie jede Geschichte auch - I dunkle Seiten hat, aus denen jeder gelernt hat. Fs ist aber nicht zweckmäßig, das anderen vorzuschreiben. GLEIXNER: Zur Sensibilität gehört auch, die Ungleichzeitigkeit der Ökumene in den verschiedenen Ländern wahrzunehmen und einzubekennen. Das Kräftespiel in anderen Teilen Europas ist ganz verschieden. Was ich mir erwarte, ist Ermutigung: Ich habe mit Freuden festgestellt, daß die Tschechen oder Ungarn sagen, wenn den Österreichern dieser Weg möglich war, versuchen wir es auch. stajkos: Man muß auch dazu sagen, daß der Ökumenische Rat der Kirchen nicht die Plattform war, wo wir ökumenisch zu denken gelernt haben. Da gibt es eine ganze Reihe von ökumenischen Einrichtungen in Österreich - die Ökumenische Morgenfeier im Radio, die Stiftung Pro Oriente, Kardinal König, der den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils ökumenisch auslegen konnte ... dantine: Man muß die konkrete ökumenische Geschichte sehen. Etwa in Tschechien: Da war die Situation nicht einfach, aber es hat einen Ort gegeben, wo Ökumene funktioniert hat, nämlich bei der Bibelübersetzung. Es entstand eine gemeinsame Bibelübersetzung; offenbar war dort das die Herausforderung Nummer eins.

DIEFURCHE: Ökumene ist aber nicht nur eine Frage des Zusammenlebens, sondern bedarf auch der theoretischen A us-einandersetzung, der t/ieologischen Basis. dantine: Das Problem der Ökumene heute ist, daß die einfachen Punkte abgehakt sind. Aber es bleiben natürlich wirklich harte Punkte. Daneben gibt es die Gefahr, zu viel zu leichte Kompromißformeln zu kommen. Jetzt spreche ich als Theologe: Es gibt zuviele Einigungsformeln, die nichts sagen und viel zu wenig Wahrnehmung des anderen und seiner Sicht sind; wenn ich den anderen wirklich ernst nehme, muß ich in sein Denken hineinkriechen können.

DIEFURCHE: Was bedeutet das konkret ? PANTINE: Eines der wichtigsten Themen ist das Verständnis des Herrenmahls: Mit den Katholiken ist das einfach; denn wir haben eine gemeinsame Lehr- und Streitentwicklung seit Augustin, also seit dem fünften Jahrhundert, da wissen wir, was wir meinen, wenn wir ejn bestimmtes Wort verwenden. Bei der Orthodoxie ist das ganz anders: Da fehlt die gemeinsame Geschichte, und wenn wir versuchen, das orthodoxe Verständnis für uns zurechtzubiegen, dann werden wir sehr schnell zurechtgewiesen; zum Beispiel, wenn wir über Liturgie sprechen, entdecken wir, daß Liturgie bei den Orthodoxen ein Begriff für das gesamte Mysterium des Herrenmahls ist. Wir brauchen also eine ökumenische Hermeneutik, das heißt das Verstehenlernen des anderen.

Ein anderes Beispiel ist die gemeinsame Erklärung zur Bechtfertigungs-lehre zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund: Wir beschäftigen uns damit, ob diese

Erklärung wirklich auf theologisch verantwortbare Weise widerspiegelt, was als Konsens bereits erreicht worden ist. l)It:Fl HCl Ii:: Was wäre also das Ziel von Ökumene?

DANTINE: Ich bin bescheiden geworden. Wir sollten einmal miteinander in die Schule der Heiligen Schrift gehen. Mit dem gemeinsamen Lesen der Bibel hat ja die ökumenische Arbeit begonnen. Ich glaube nicht, daß Theologen die Herzen der Menschen wirklich treffen können; der Heiligen Schrift traue ich das hingegen zu. Weiters hoffe ich, daß es in absehbarer Zeit wirklich möglich ist, gemeinsam am Tisch des Herrn zu feiern. staikos: Mehr als ein Jahrtausend haben wir christlichen Kirchen uns verschieden entwickelt. Wir sollten daher nicht ein Ziel nennen, sondern es offen lassen. Es ist sinnlos, Ökumene auf einer Ebene zu betreiben, die nicht dem Bedürfnis der Christen heute entspricht und uns dem Vorwurf aussetzt, wir wären nur imstande, theoretisch zu sprechen und nicht konkret zu handeln. Das gilt besonders für die Orthodoxie, die in diesem Jahrhundert eine wesentliche Rolle für die Ökumene gespielt hat, aber sie trotzdem noch immer nicht begreift.

GLEIXNER: Ich hoffe, daß wir endlich die Verbundenheit in der Taufe und in dem einen Herrn wahrnehmen und leben. Daß wir bereit werden, die Konsequenzen daraus zu ziehen, eben gerade im Hören auf die Schrift. Und daß wir uns von dort her ermutigen lassen, hinauszugehen in die Welt und Verantwortung tragen für den ganz konkreten Menschen.

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