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In diesem Land und zu dieser Zeit...

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Katholiken und Österreicher hätten erwartet, daß von der Aktualität des Offenbarungsglaubens in diesem Land und in dieser unserer Zeit die Rede sein würde; von der Verkündung des Wortes; von der Resonanz der Wortverkündung außerhalb der Mauem der Kirche, in einer Gesellschaft, in der die alten chinesischen Mauern des Antiklerikalismus da und dort eingestürzt sind; von der Präsenz des Katholischen laut Geschichte und Notwendigkeit; von dem Kriterium, das der Glauben hierzulande angesichts politischer Entscheidungen im öffentlichen Leben war (oder ist oder sein soll).

Wer weiß hierzulande noch, daß der Stoßseufzer JESUS MARIA! einmal das Feldgeschrei unserer Vorväter gewesen ist, wenn diese unter der Fahne mit dem Muttergottesbild angegriffen und verteidigt haben: Gegen die mohammedanischen Türken und gegen die evangelischen Schweden; „wider das freisinnige Italien, hinter dem die Tochter der Revolution, Frankreich, gestanden war, gegen das protestantische Preußen und gegen das orthodoxe Serbien, welches das byzantinische Rußland vorgeschickt hatte“. So hat es einmal Bruno Brehm gesehen, immerhin kein Kirchengeher oder Verkünder der österreichischen Nation.

Man wird einwenden: Liegt das nicht ein wenig weit zurück? Nicht weiter, so sage ich, als die schönen Histörchen von den Österreichern, die auf Hochzeiten tanzen, wenn andere ins Feld müssen, oder die überhaupt nur tanzen und geigen und nichtstuerisch Berge von Mehlspeisen vertilgen, wie das unlängst eine Schwester unseres Fernsehens, das amerikanische, „dokumentarisch“ geschildert hat. Das Lächeln wird vergehen, wenn wir uns zuweilen die Tatsache vor Augen halten, daß heute Millionen Waffen tragen müssen und noch mehr Millionen Steuern zahlen müssen, damit die Balance der Machtverteilung zwischen den Großmächten so intakt bleibt, wie es eine der Voraussetzungen der Existenz des neutralen Österreich ist. Diese Millionen von Menschen schließen nicht wenige denkende Menschen ein, die sich zuweilen fragen: Und wieviel trägt Österreich selbst?

Man hätte aber vor allem dem jungen Volk aus viel näher liegenden geschichtlichen Epochen beweisen können, daß hier in Österreich eine christliche soziale Volksbewegung entstanden ist und daß sie noch lebt. Als Italiens Katholiken noch betreten schwiegen und die Sozialenzykliken Leos XIII. noch nicht richtungweisend gewesen sind, haben hier in Österreich Karl von Vogelsang und Karl Lueger christlichsozial gedacht,geredet und gehandelt. Heute ist Frankreichs Katholizismus hochgeachtet und in aller Munde wegen der progressiven und nonkonformistischen Aktivitäten, die ihn durchpulsen. Dieser Katholizismus hat nur zögernd und für Augenblicke den Durchbruch zur Masse erstrebt, jenen Durchbruch, der hier in Wien das Um und Auf des Handelns christlich und sozial denkender Politiker mitten in der Dürre des politischen Liberalismus und des Hochwassers auf der Linken gewesen ist — und noch ist.

Der Jugend — nein, allen — hätte es gut getan, zu hören, daß es in Österreich seit fast drei Generationen eine katholische Volksbewegung gibt, ohne die jene starke, staatstragende politische Ordnungsmacht, die dem Traum vom sozialistischen Österreich bisher erfolgreich widerstehen konnte, gar nicht denkbar wäre. Diese Volksbewegung war und ist etwas ganz anderes als die frühere im Deutschen Reich im Zentrum honoratiorenmäßig organisierte konfessionelle Minderheit und ihre Nachfolger in der heutigen Bundesrepublik.

In diesem Land hat es Arbeiterpriester gegeben; lange bevor der journalistische Sensationalismus dieses Phänomen neuerdings wieder in Frankreich festgestellt und in Szene gesetzt hat. Davon und von vielem anderen wäre zu reden gewesen.

Vielleicht wäre man auf die Frage gekommen: Wie stark ist in Österreich heute, wenige Jahre nach MATER ET MAGISTRA, der Glaube, der es möglich macht, im Sinne der christlichen Gebote eine Ordnung des sozialen Lebens in der Gegenwart aufzurichten? Eine gefährliche Frage, denn sie provoziert die Zusatzfrage: Wer soll die Aktualität solcher gesellschaftlicher und politisier Zielsetzung in Österreich tragen? Etwa die „fortschrittlichen Kräfte“, von denen die sogenannten Linkskatholiken sagen, daß nur bei ihnen der Fortschritt stattfinde? Oder die armseligen Stümper, die man als „gebildeter Mensch“ nur bemitleiden kann, die nicht nur sagen, daß sie christliche Demokraten sind, sondern es sogar glauben? Oder die Politiker (wie es ein Diskutant formulierte), die erst in ihrer Christianität ausfindig gemacht werden müßten, bevor man sie ins politische Leben einschleusen kann?

Martin Buber, der jüdische Denker, der auf dem Boden Altösterreichs groß geworden ist, hat dem (christlichen) Abendland den Spiegel vorgehalten: Das moderne Abendland steht auf der sanktionierten Entzweiung von Politik und Religion. Man höre nur, wie der Politiker das Wort „Ethik“ und wie der Theologe das Wort „Aktion“ ausspricht. Die Politik ist unverklärt, aber mächtig; die Religion ist Gegenstand abgestufter Weihegefühle, aber unverbindlich.

Diese Entzweiung wird nicht, so meine ich wenigstens, durch eine Verpolitisierung der Kirche oder durch eine Konfessionalisierung der Politik überwunden. Die Vereinigung nach der Entzweiung hat im Menschen stattzufinden.

Im Menschen, der Österreicher und Christ ist, Mensch mit Leib und Seele, Angehöriger seiner Familie, seiner Kirche, seines Volkes, seines Berufsstandes. Der Mensch, wie er wirklich ist, ist nicht einfach nur Staatsbürger, so wenig er nur karitativer Christ sein kann.

Solche Menschen erwarten keinen Katholizismus, der ein Gummiball ist. Unzählige Menschen akzeptieren für sich den Katholizismus keineswegs ohne weiteres, sie erwarten aber von ihm, daß er so fest, so klar im Umriß, so homogen im Gefüge sei, wie es notwendig ist, daß diese Welt, ich meine die freie Welt, die rechts von links existiert, nicht im Schlammeer der Entideologisierung untergeht.

Joseph Roth, nach wie vor wenig gelesen aber ausgiebig mißbraucht (so bei der Fernsehbearbeitung seines „Radetzkymarsches“), hat einer neugierigen Ausländerin also die Frage nach dem Rezept unseres berühmten Apfelstrudels beantwortet: ... Dazu gehören 1000 Jahre. Katholi-, zismus und das Haus Österreich.

Wichtiger als der Katholizismus im Apfelstrudel und der Apfelstrudel im Österreicher ist die vermenschlichte Präsenz des Katholizismus und unseres österreichertums im Österreicher. Dazu bedarf es auch einer Kirche, die selbst präsent sein will Und nicht in jenem Neutralismus verharren möchte, an dem scheinbar vielen Zeitgenossen in unserem Lande viel mehr liegt als am Katholizismus und an Österreich.

In uns sind manche Fragen an die Kirche und an Österreich lebendig geworden in diesem Frühjahr der Erinnerungen und der Jubiläen des Jahres 1965. Hoffen wir, daß unter uns Katholiken in Österreich die Antwort darauf fällig wird, ehe die beginnende itio in partes, die Entzweiung der Katholiken, in Regionen dringt, die tief unter der heutigen Oberflächlichkeit der Polemik Linkskatholizismus—Rechtskatholizismus liegen.

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