In Ungarn begann das Ende des Eisernen Vorhangs

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19894

Bilder können eine enorme Wirkungsmächtigkeit entfalten. So auch jenes vom Durchschneiden des Eisernen Vorhanges durch die Außenminister Alois Mock und Gyula Horn im Juni 1989. Nachher gab es kein Halten mehr: Tausende Ostdeutsche kamen über Ungarn nach Österreich und damit in die Freiheit. Im November fiel die Berliner Mauer. Gyula Horn, Ungarns Außenminister des dramatischen, ereignisreichen Jahres 1989, widmet dem Durchschneiden des Eisernen Vorhangs mit seinem österreichischen Ressortkollegen Alois Mock am 27. Juni 1989 ein eigenes Kapitel seines Buches „Freiheit, die ich meine“. Dieser Eiserne Vorhang war, aus heutiger Sicht unverständlich, eine in der Tiefe gestaffelte technische Sperre zwischen West- und Osteuropa, die als unüberwindbar galt und an der Flüchtlinge erschossen oder verhaftet wurden. Das von niemandem erwartete Wunder, dass der Eiserne Vorhang fallen würde, hatte allerdings eine Reihe politischer Wendungen und diskreter Gespräche zur Voraussetzung. Strategen und Politiker hatten die Weichen für den Umbruch gestellt. Ihre Pläne wurden von den Geheimdiensten noch ausspioniert und gemeldet.

Friedensnobelpreis für Michail Gorbatschow

Es war Michail Gorbatschow, der als Staatspräsident der Sowjetunion im Dezember 1988 die Wende einleitete und dann den Friedensnobelpreis erhielt. Er distanzierte sich von der Breschnjew-Doktrin: Die Länder Osteuropas sollten künftig ihre Staatsform selbst bestimmen. Im Klartext: Anders als 1956 und 1968 würde die Sowjetunion friedliche Revolutionen in angrenzenden, verbündeten Ländern nicht mehr mit Invasion beantworten, sondern gewähren lassen. Die friedlichen Revolutionen waren die Folge.

In Polen führte Lech WalDe¸sa das Bürgerkomitee des Vorsitzenden der Gewerkschaft Solidarnos´c´. Der streikerprobte WalDe¸sa leitete damit eigentlich eine Partei, welche bei den Wahlen 1989 exakt 99 Prozent der Stimmen erhalten hatte, doch aufgrund eines politischen Kompromisses am Runden Tisch erhielten die Kommunisten 65 Prozent der Parlamentsmandate. Aber die Weichen für Demokratie und Reform waren gestellt. Ebenso in der ehemaligen DDR.

Hunderttausende Bürger waren im Frühjahr 1989 aus der „Deutschen Demokratischen Republik“ nach Ungarn, Yugoslawien und in die Tschechoslowakei gereist. Sie wollten keinesfalls zurück. Gyula Horn, der am 27. Juni 1989 bei einem Österreich-Besuch mit Mock den westlichen, vorgelagerten Teil des Eisernen Vorhanges durchschnitt, setzte in geheimer Absprache mit Deutschlands Kanzler Kohl und in offener Konfrontation mit der DDR-Führung ein Reiseabkommen mitsamt seinen vertraulichen Protokollen außer Kraft. Ein äußerst mutiger und richtiger Schritt.

Die Zusage war da: Es wird nicht geschossen

Diesem Abkommen zufolge hätte Ungarn die Ostdeutschen an der Ausreise zu hindern gehabt. Das unterblieb. Denn Horn hatte die Frage des Moskauer Außenministers Edward Schewardnadse, wie viele Ostdeutsche denn in östlichen Nachbarländern seien und ausreisen wollten, mit „zwei Millionen“ beantwortet. Das waren einfach zu viele. Schewardnadse meinte, man dürfe die Leute nicht mit Gewalt zurückhalten. Kohl hatte von Gorbatschow schon die Zusage, die Grenzposten würden nicht schießen, sollten sich die Trabis in Bewegung setzen.

Die Führung der Tschechoslowakei setzte noch auf Repression und staatliche Gewalt gegen Dissidenten. Der Schriftsteller Václav Havel hatte seit 1968 Aufführungs- und Publikationsverbot. Im Jänner 1989 wurde er wegen der Teilnahme an einer Gedenkveranstaltung zum 20. Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach verhaftet. Das Urteil lautete: neun Monate verschärfter Arrest wegen Rowdytums. Seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels verlas in Frankfurt a. M. Maximilian Schell. Wenige Monate später, im November 1989, erfolgte die Revolution. Václav Havel wurde aus der Haft heraus zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt. Die Demokratie hatte gesiegt.

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