"Indischer Gedenktag" in den Niederlanden: Über selektive Erinnerung
Die Niederlande zelebrieren dieser Tage den „indischen Gedenktag“ zum Ende der japanischen Besetzung von Indonesien – einst „Niederländisch-Indien“. Die eigene koloniale Schuld spielt dabei keine Rolle.
Die Niederlande zelebrieren dieser Tage den „indischen Gedenktag“ zum Ende der japanischen Besetzung von Indonesien – einst „Niederländisch-Indien“. Die eigene koloniale Schuld spielt dabei keine Rolle.
Wenn sich Niederländerinnen und Niederländer – vielfach mit sogenannten indischen Wurzeln – kommenden Montag wie an jedem 15. August beim „Indischen Monument“ in Den Haag versammeln, geschieht das erstmals abends. Die Live-Übertragung im Fernsehen wird damit einem wesentlich größeren Publikum zugänglich, und damit auch das Schicksal der „Opfer des Kriegs gegen Japan und der japanischen Besetzung Niederländisch-Indiens“, die 1945 zu Ende ging.
Angesichts von knapp zwei Millionen Bewohnern des Landes (insgesamt 17 Millionen Einwohner), die eine familiäre Verbindung mit diesem Teil der Geschichte haben, eine angemessene Entscheidung. Auf der offiziellen Website, 15augustus1945.nl, heißt es zudem, dass die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs im heutigen Indonesien auch gesamtgesellschaftlich eine tragende Rolle spielt.
Über ein anderes historisches Datum, das eng mit dem Kriegsende verknüpft ist, schweigt man sich hingegen aus: Am 17. August 1945 erklärte sich Indonesien für unabhängig. Das freilich war nicht im Sinne des niederländischen „Mutterlands“, das seinem Inselreich umgehend wieder die kolonialen Daumenschrauben anzog. In der darauf folgenden blutigen Auseinandersetzung verloren 100.000 Indonesier sowie 5000 niederländische Militärs das Leben. Erst 1949 und unter Druck der USA (Kabinett Truman) unterzeichnete die Regierung unter Ministerpräsident Willem Drees im Dezember 1949 die Übertragung der Souveränität an die Republik.
Lückenhafte Aufarbeitung
Inzwischen beschäftigt man sich in den Niederlanden durchaus mit diesem Teil der eigenen Historie. So gab es in der ersten Jahreshälfte im Amsterdamer Rijksmuseum eine vielbeachtete Ausstellung mit dem Titel „Revolusi! Indonesië onafhankelijk“ („Indonesien unabhängig“). Hier wurde der Versuch unternommen, den Unabhängigkeitskrieg aus den unterschiedlichsten Perspektiven darzustellen – jener von Freiheitskämpfern, Zivilisten, Journalisten, Künstlern, aber auch Kolonisten und der „indoniederländischen“ Bevölkerung.
Eine grundsätzliche Kritik am Kolonialsystem vor dem Krieg kam allerdings eher zaghaft zum Ausdruck. Und doch wich „Revolusi“ von der bisherigen Lesart ab, vor allem Kolonialisten und die privilegierte, gemischte „indischniederländische“ Bevölkerung als Opfer zu sehen, weil diese zuerst unter japanischer Besatzung interniert wurden und danach ins Visier der Unabhängigkeitskämpfer gerieten. Neben der Ausstellung rückte auch ein Report mit dem Titel „Unabhängigkeit, Dekolonisierung, Gewalt und Krieg in Indonesien, 1945–1950“, der im Februar veröffentlicht wurde, die Causa in den Fokus. Um den indonesischen Unabhängigkeitskampf zu unterdrücken, so das Fazit, wendeten niederländische Militärs „systematisch extreme Gewalt“ an, deren Ausmaß jahrzehntelang verschwiegen wurde. Dazu gehörten außergerichtliche Hinrichtungen, Folter, etwa durch Stromschläge und Scheinexekutionen, willkürliche Massenverhaftungen und in Brand gesteckte Dörfer.
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