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Indochina - die leichte Beute

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Kambodscha, Laos und Thailand haben heute eine fatale Ähnlichkeit mit äußerlich schönen, innen von Fäulnis ergriffenen Äpfeln. Die Angst ihrer Regierungen, vom Kommunismus überrannt zu werden, ist nicht nur auf den Druck von außen, sondern mindestens so sehr auf eine ebenso realistische wie skeptische Einschätzung der eigenen Widerstandskraft zurückzuführen. Seit der letzten großen Aufteilung der Welt in Jalta ist kein Land dem Kommunismus verfallen, ohne daß diesem ungerechte soziale Verhältnisse, Korruption und Verfall der politischen Strukturen den Weg gebahnt hätten. In Indochina sind alle drei Voraussetzungen gegeben.

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Kambodscha, Laos und Thailand haben heute eine fatale Ähnlichkeit mit äußerlich schönen, innen von Fäulnis ergriffenen Äpfeln. Die Angst ihrer Regierungen, vom Kommunismus überrannt zu werden, ist nicht nur auf den Druck von außen, sondern mindestens so sehr auf eine ebenso realistische wie skeptische Einschätzung der eigenen Widerstandskraft zurückzuführen. Seit der letzten großen Aufteilung der Welt in Jalta ist kein Land dem Kommunismus verfallen, ohne daß diesem ungerechte soziale Verhältnisse, Korruption und Verfall der politischen Strukturen den Weg gebahnt hätten. In Indochina sind alle drei Voraussetzungen gegeben.

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Allgemeine Armut fördert die Ansprechbarkeit für revolutionäre Parolen weniger als die Ausbeutung vieler Armer durch wenige Reiche. In Kambodscha, Laos und Thailand hat die Oberschicht alles unternommen, um die Bauern für einen Agrarkommunismus maoistischer Prägung reif zu machen. In allen drei Ländern stellen die Bauern — wie vor hundert Jahren in Europa — rund 80 Prozent der Gesamtbevölke-rung. Vor allem in Thailand und Laos ist der größte Teil des besten Bodens in der Hand der meist aristokratischen Großgrundbesitzer. Grundbesitz ist die Haupteinnahmequelle der thailändischen Prinzen und Prinzessinnen, deren Zahl in die Tausende geht, denn als Prinzen und Prinzessinnen gelten nicht nur die Nachkommen der Könige, sondern auch deren Kinder und Kindeskinder und mancher Vorfahr des heutigen Königs hatte an die hundert Frauen. Der thailändische und kambodschanische Bauer ist daher sehr oft nicht Besitzer, sondern nur Pächter des Bodens, den er bearbeitet. In Laos liegen die Dinge vor allem im Süden ähnlich, also ausgerechnet im roten Einflußgebiet.

In allen drei Ländern sitzt dem Bauern neben dem Gutsverwalter aber vor allem der chinesische Geldverleiher im Genick. Das staatliche Kreditsystem in Thailand sieht Präferenzen für sichere Schuldner vor, das bedeutet billiges Geld für die Großen. Kreditgenossenschaften und landwirtschaftliche Banken sind erst langsam im Kommen, sie geben Kredite zu einem Zinssatz von 12 Prozent, aber das Kreditvolumen, das sie zur Verfügung stellen können, ist noch sehr gering. Die Masse der kleinen Bauern und Pächter ist — jeder Bauer gerät einmal in einen Engpaß — darauf angewiesen, den bitteren Gang zum chinesischen Geldverleiher anzutreten. Die chinesischen Geldverleiher Indo-chinas repräsentieren den nacktesten, schrankenlosesten, klassischen Kapitalismus, und niemand konnte sich bisher dazu aufraffen, ihnen Zügel anzulegen. Sie werden gehaßt, verachtet, aber sie haben Einfluß, ja Macht. Sie gehen mit äußerster Rücksichtslosigkeit gegen ihre Schuldner vor. Zinssätze bis zu 60 Prozent im Jahr werden verlangt und akzeptiert. Die Annahme eines solchen Kredites bedeutet fast immer Verlust des letzten Restes von Selbständigkeit. Zinssätze dieser Größenordnung bedingen steigende Verschuldung bis in alle Ewigkeit, denn die überwiegende Zahl der Kreditnehmer ist nicht einmal in der Lage, die laufenden Zinsen zu zahlen.

Die durchschnittliche thailändische Bauernfamilie ist heute mit knapp 10.000 Schilling verschuldet, bei der Bettelarmut dieser Bauern ein horrender Betrag. Der verschuldete Bauer wird vorerst nicht vertrieben. Der Geldverleiher nimmt ihm lediglich alles, was ein auch nach thailändischen Verhältnissen bescheiden angesetztes Existenzminimum übersteigt. Die Verschuldung bedeutet lebenslange Arbeit für den Gläubiger.

Die Stunde der Vertreibung vom eigenen oder gepachteten Boden schlägt, sobald ein Gebiet für die Bewirtschaftung im größeren Rahmen (Gutswirtschaft mit Landarbeitern) interessant wird. Die Entwicklung neuer Qualitätsreissorten hat diesen Prozeß in Zentralthailand, der Kornkammer des Königreiches, vehement in Gang gesetzt. 50 Prozent der Bauern dieses Gebietes sind bereits landlos, vermehren die Masse des Landproletariats oder strömen in die Millionenstadt Bangkok, wo die Slums zwischen den Hotelpalästen wuchern. Aber die Slums stehen nicht auf dem Besichtigungsprogramm der Touristen, die Bangkok zu einem fernöstlichen Venedig der oberen Zehntausend gemacht haben.

Die Oberschicht Indochinas setzt alle Mittel gegen den Kommunismus ein — mit Ausnahme jener, die langfristigen Erfolg versprechen. Denn man ist unfähig oder nicht bereit, sich zu den strukturellen Reformen, die notwendig wären, aus eigenem aufzuschwingen, und die USA haben die Chance verpaßt, ihren Einfluß in dieser Richtung geltend zu machen. Ein Haupthemmnis aller Reformen ist die allgegenwärtige Korruption, die in den oberen Regionen der Gesellschaft wurzelt und deren Würgegriff nach unten immer härter wird. Es hieße, die Vielschichtigkeit der Probleme verkennen, wollte man leugnen, daß die Anklagen, die Kambodschas neue Herren gegen die Korruptionswirtschaft des Prinzen Sihanouk vorbrachten, ihnen im Land viele Sympathien eingebracht haben.

In Thailand fühlt sich die Beamtenschaft als Elite der Bevölkerung. Selbst der kleinste Beamte blickt hochmütig auf den „Kapitalisten“ herab. Herabblicken auf den Reichen ist fast immer gleichbedeutend mit einem Herabblicken auf den Chinesen. Das chinesische Bevölkerungselement ist vor allem in Bangkok, und dort vor allem wiederum in der Geschäftswelt, außerordentlich stark, trotzdem waren bis in die sechziger Jahre zahlreiche Berufe für Ausländer oder „von Ausländern abstammende Personen“ gesperrt, eine fast ausschließlich gegen die Chinesen gerichtete Bestimmung. Wahrscheinlich haben diese Restriktionen nw die allgemeine Korruption gefördert, denn die Betroffenen sahen sich gezwungen, nach Wegen zu suchen, die Vorschriften zu umgehen. Heute wird der Druck auf die gefährlichen Fremdlinge subtiler ausgeübt, wahrscheinlich mit der gleichen Wirkung. So benötigt jede Firma offiziell einen Thai als Direktor. Die Wahl des „richtigen“ thailändischen Direktors wird von den chinesischen Unternehmern sehr ernstgenommen. Dem Vernehmen nach sind die Direktoren vieler Firmen zufällig nahe Verwandte von Beamten, deren Entscheidungen für die betreffende Firma wichtig sind.

In Nordthailand, um nur ein Beispiel zu nennen, hatte ein Verband der Reismühlenbesitzer größte Schwierigkeiten, von der Bahnverwaltung die notwendige Anzahl von Güterwaggons gestellt zu bekommen. Die Reismühlenbesitzer lösten das Problem, indem eise den örtlichen Vete-ranenverein an ihren Gewinnen beteiligten — Vorsitzender der Veteranen ist ein ehemaliger General, die Transaktion behob schlagartig alle Schwierigkeiten mit der Bahnverwaltung.

Opium war lange Zeit der Schlüssel zum Verständnis der politischen Probleme des Gebietes und ist es in einem gewissen Maß noch heute. Es ist ein offenes Geheimnis, daß schon die Franzosen ihren Krieg in Indochina teilweise mit Hilfe des Opiums finanzierten und daß es sich bei den umkämpften Städten in manchen Fällen nicht zufällig um Zentren des Opiumgeschäftes gehandelt hat. In Laos ist der Opiumhandel Monopol der Armee. Als ein laotischer Oberst den Opiumhandel in seinem Gebiet auf eigene Rechnung betreiben wollte, wurde sein Stützpunkt zum „kommunistischen Ausbildungslager“ erklärt und von der amerikanischen Luftwaffe weggebombt. In Thailand ist das Rauschgift ebenso verboten wie die Prostitution. Aber Thailand hat bei einer Gesamtbevölkerung von 30 Millionen zugegebene 250.000, auf Grund allgemeiner Annahme aber rund 600.000 Prostituierte. Und das vor einigen Jahren erlassene Opiumverbot hat die politischen und sozialen Zentrifugalkräfte, welche die Kontrolle des nördlichen Berglandes schon immer sehr schwierig gestalteten, potenziert.

Mit dem traditionellen Gegensatz zwischen Bergstämmen und Flachlandbewohnern müssen alle Regierungen in Indochina rechnen. In Thailand wird die Sprache der Bergstämme offiziell als „Norddialekt“ bezeichnet, um zu verschleiern, daß 40 bis 45 Prozent der thailändischen Bevölkerung ein waschechtes Lao sprechen (eine dem Thai recht ähnliche Sprache).

Die Meos stellen einen kleinen, aber politisch besonders ungebärdigen Teil der nördlichen Bergbewohner. Man kann die Meos als die Kurden Indochinas bezeichnen. Sie wandern, ohne sich um Grenzen zu kümmern, freilich langsamer als die Kurden, da sie nicht Viehzüchter sind, sondern Ackerbauern, die ein Stück Urwald abbrennen und gemeinsam bewirtschaften, um nach einiger Zeit zur nächsten Hügelkette weiterzuziehen und ein neues Dorf zu bauen. Das Meo-Land umfaßt Teile von Nordvietnam, Laos, Thailand, Südchina und Burma.

Vom Reis allein können oder wollen die Bergstämme nicht leben. Daher bauen sie Opium an. Unverläßliche Untertanen waren sie immer schon. Seit dem Opiumverbot betrachten die Bergstämme, in erster Linie die Meos, die Regierung als ihren Todfeind. Sie verbünden sich mit jedem, der ihnen den Opiumanbau ermöglicht, und bekämpfen jeden, der sie daran hindern will. Sie haben den Straßenbau im Gebiet von Tak mit allen Mitteln bekämpft, und sie verhindern Straßenbauten, wo immer es ihnen möglich ist, denn sie haben erkannt, daß Straßen Kontrolle bedeuten und damit Gefahr. Die thailändische Regierung hat (die Amerikaner betonen: gegen ihren Rat) zu sehr unklugen Methoden gegriffen, um die Aufstände der Meos zu unterdrücken. Sir Arthur Harris, im zweiten Weltkrieg die Graue Eminenz des Städtebombardements, hat das Rezept nach dem ersten Weltkrieg in Mesopotamien als erster ausprobiert: Flugzeuge (in Thailand wurden Hubschrauber dafür eingesetzt) werfen über einem ungebärdigen Dorf Flugzettel ab — das Dorf werde in 24 Stunden vernichtet, die Bewohner mögen es verlassen. Lautsprecher wiederholen die Drohung.

Nun gibt es kaum genaue Karten des nördlichen Berglandes, und die Hubschrauber erschienen oft über harmlosen, loyalen Dörfern. Oft konnten die Bewohner die Flugzettel nicht lesen und verstanden auch die Durchsagen der unter den Hubschraubern aufgehängten Lautsprecher nicht. Die Vernichtung zahlreicher Meo-Dörfer erzeugte eine Welle von Haß und führte zu einem Meo-Aufstand, der ein Jahr dauerte und niemals ganz aufgehört hat, weitei-zuschwelen. Gegenwärtig operieren die Aufständischen in Kompaniestärke. Während ursprünglich die nördlichen, kommunistischen Aufständischen und die einstweilen weniger gefährlichen, im Süden operierenden mohammedanischen Rebellen getrennt vorgingen, soll in letzter Zeit eine Zusammenarbeit der beiden Gruppen eingeleitet worden sein. Armee und Polizei konnten bisher kein Einvernehmen darüber erzielen, in wessen Kompetenzbereich die Guerillabekämpfung fällt. Der König finanzierte aus seiner Privatschatulle die Anschaffung von 10.000 Gewehren für die örtlichen Selbstschutzeinheiten. Die Regierung soll kürzlich wieder einmal die Festlegung einer „free-strike-zone“ erwogen haben, eines Gebietes, in dem auf alles geschossen wird, was sich bewegt.

Längst wird auch auf thailändischem Boden ein „geheimer Krieg“ geführt. Das „Dreieck von Pitsanu-lok“ wurde zum strategischen Schlüsselpunkt für die Beherrschung des laotischen Berglandes, der ehemalige französische Sergeant Van Po etablierte sich in Long Cheng als General von 10.000 bis 14.000 Mann antikommunistischer Guerillas unter amerikanischer Patronanz. Sie bilden heute die Elite des Antikommunis-mus in Indochina.

Alle Beobachter sind sich darüber einig, daß die Kommunisten in Thailand vorerst höchstens mit halber, vielleicht auch nur mit einem Viertel ihrer Kraft vorgehen. Verstärkter Druck auf Van Po und seine Getreuen würde wahrscheinlich eine weitere Eskalation des Krieges und dessen Übergreifen auf Thailand bedeuten, denn die Amerikaner können es sich nicht leisten, Long Cheng zu verlieren.

Sieht man von unmittelbaren militärischen Maßnahmen ab, bilden religiöse Bindungen in Thailand den letzten Damm gegen den Kommunismus. In Kambodscha ist das Herrscherhaus und damit das Oberhaupt der Kirche entthront, niemand weiß, wie die buddhistische Führerschaft darauf reagieren wird. Die Laoten sehen ihre Stammväter eher auf der roten Seite, seit die in Dien Bien Phu beheimateten Erdgeister den Sieg des Vietminh über die Franzosen geschehen ließen — solche Erwägungen spielen gerade in Laos, wo als Intellektueller gilt, wer vier Jahre Grundschule absolviert hat, eine große Rolle. Nur in Thailand sind die religiösen Bindungen nach wie vor gleichbedeutend mit der Bindung an den König, an den Westen, an den Antikommunismus. Noch hält dieser Damm. Noch ist er keinem schweren Druck ausgesetzt. Wie fest er ist, wird sich zeigen, sobald der Druck zunimmt.

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