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Ins neue Jahr

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Wenn wir an der Schwelle des neuen Jahres 1962 einen Blick auf die Probleme werfen, die es mit sich bringen wird, dann bleiben uns die dunklen Schatten über der Weltpolitik und damit auch über unserem Vaterland Österreich nicht verborgen. Wohl leben wir nach wie vor in Zufriedenheit und genießen nicht nur das Notwendige, sondern auch die Annehmlichkeiten des modernen Lebens, die wir durch unseren Fleiß und durch unsere Arbeit errungen haben. Trotzdem müssen wir uns, ohne die Zukunft erschließen zu können, die mehr oder minder bange Frage stellen, unter welchen Auspizien die

Weltentwicklung im Jahre 1962 vor sich gehen wird.

Angesichts der Bedrohung der gesamten Menschheit durch eine mögliche Entfesselung der Atomwaffen kommt der aktuellen Wirtschaftspolitik vielleicht nicht mehr wie früher die Rolle eines Seismographen zu, doch steht die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung in enger Verflechtung mit der Lebensführung im Staatshaushalt wie in unserem Privatleben.

So sollen als erster eherner Grundsatz für das Jahr 1962 an der Spitze unseres Programms die Stabilität der Währung und die Kaufkraft des Schillings stehen, die für uns einen Garanten für Ruhe, Ordnung und Fortschritt in unserem Lande überhaupt darstellen. Mit den Begriffen der Stabilität und des Wohlstandes, aber auch mit der Forderung nach Maßhalten und Sparsamkeit, wie es einem ordentlichen Sachwalter geziemt, muß untrennbar der Name der Österreichischen Volkspartei verbunden bleiben.

Damit ist ein Appell sowohl an die Unselbständigen wie an die Selbständigen gerichtet, durch Maßhalten den erworbenen Wohlstand zu vergrößern, weil jede Lohnerhöhung auch die Produktionskosten erhöht und die Wirtschaft nicht mehr imstande ist. Lohnerhöhungen aufzufangen. Dies gilt besonders für jene zehntausende gewerblichen und kaufmännischen Klein- und Mittelbetriebe, denen im Zeitalter der hochindustrialisierten Gesellschaft und der modernen Technik schon so oft die letzte Agonie vorausgesagt worden ist. Von Böswilligen wurde immer wieder behauptet, daß diezweite Hälfte des 20. Jahrhunderts für die mittelständische Wirtschaft, das Handwerk, für die alten Formen des Vertriebes und den mittelständischen Handel keinen Platz mehr habe. Dazu möchte ich aber von verantwortlichem Posten aus feststellen:

Jene, die im Geiste eines falsch verstandenen Fortschrittes den Weg zur nivellierten Massengesellschaft bahnen, treiben unsere gesamte Wirtschaft, also auch die großen und mittleren Industriebetriebe, dem Kollektivismus, der Unfreiheit und dem kommunistischen Zwang in die Arme. Die freie und selbständige Existenz unserer Klein- und Mittelbetriebe zu bewahren, heißt für uns die Freiheit schützen, was uns auch im Jahre 1962 höchste Verpflichtung und Aufgabe bleiben wird. Darüber hinaus aber gilt es, bei Bewahrung der Selbständigkeit unserer Handels- und Gewerbetreibenden, unserer Dienstleistungsgewerbe und unserer Fremdenverkehrswirtschaft ein gutes Stück europäische Tradition zu wahren, von der gesagt wird, daß sie — wirtschaftlich gesprochen — in erster Linie eine handwerkliche und gewerbliche Tradition darstellt.

Unsere besondere Sorge wird daher sowohl im Wirtschaftsbund als auch in der Kammer auch im kommenden Jahr den kleinen Gewerbetreibenden und Kaufleuten gewidmet sein müssen. Wie viel leisten doch gerade diese Berufsschichten unseres Standes für den Staat I Wieviel Arbeit und welche ungeheure Mehrbelastung nehmen doch gerade die kleinen Unternehmer dem Staate ab, wenn sie für ihn und an seiner Stelle die Steuergelder von ihren Arbeitnehmern einheben. Diese kleinen und mittleren Gewerbetreibenden sind primär an der Stabilität unserer Währung interessiert, die vielfach neben ihren gesunden Händen ihr einziges Kapital darstellt. Ihre relativ nur in geringem Umfang vorhandenen Ersparnisse und schwache soziale Absicherung verpflichten uns, ihre Selbständigkeit sowie den Schutz ihres Eigentums in besonderem Maße zu pflegen. Letzten Endes baut die Existenz der Gewerbetreibenden doch auf ihren eigenen Ersparnissen auf, die sie auf die Seite legen können, solange sie gesund und kräftig genug sind, um in ihrem Betrieb zu arbeiten. Jede Steuererhöhung ist ein Schlag gegen ihre Existenz, ja eine konsequente Politik der Steuererhöhung käme sogar ihrem Todesurteil gleich. Besonders bei Schwierigkeiten in der Lohnverrechnung und Krankenkassenabrechnung müssen wir diesen kleinen Leuten unter den Selbständigen im Wirtschaftsbund hilfreich zur Seite stehen.

Gerade im kleinen Betrieb kennt der Arbeitnehmer die Sorgen und Nöte seines Meisters und steht dort eher auf dem Boden der wirtschaftlichen Tatsachen als in einem großen Betrieb. Dieser Umstand wird sich für die Verständnisbereitschaft in der kommenden Lohn- und Preispolitik zugunsten von vernünftigen Übereinkommen segensreich auswirken müssen.

Schon im Ständestaat der dreißiger Jahre gab es „Sozialpolitische Ausschüsse“, die von beiden Sozialpartnern beschickt worden sind und in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch vertreten waren. Ihr heutiger Nachkomme ist die Paritätische Lohn- und Preiskommission, die auf freiwilliger Basis Zusammentritt, bisher eine sehr rege und vernünftige Tätigkeit entfaltet hat und unseres Erachtens weiterhin auf dieser freiwilligen Basis bestehen soll. Eine Umwandlung der Paritätischen Lohn- und Preiskommission in ein Wirtschaftsdirektorium auf gesetzlicher Basis wäre der erste Schritt zu einem wirtschaftlichen Zwangssystem und würde den LIntergang der freien Wirtschaft in Österreich bedeuten.

Wieso entstand also die überall spürbare Unruhe auf dem Preis- und Lohnsektor? Gewiß nicht allein wegen des überforderten Budgets. Bestimmend dafür war auch der Umstand, daß die Lohnerhöhungen den echten Zuwachs an Produktivität in der Wirtschaft übertroffen haben. In diesem Zusammenhang begrüßen wir es, daß auch von Gewerkschaftsseite Feststel lungen vorliegen, wonach Lohnerhöhungen nur dann zu einer wirklichen Steigerung des Realeinkommens führen, wenn siesičh im Nahmen des Produktivitätszuwachses halten.

Die Hauptlast, die auf den Schultern unserer Gewerbe- und Handeltreibenden liegt, ist nach wie vor die Steuergesetzgebung. Gerade auf diesem Gebiet werden wir uns mit allem Nachdruck für vernünftige Reformen einsetzen. Obwohl durch eine expansive Wirtschaftspolitik das Sozialprodukt ständig wächst, kommt dies vornehmlich den Unselbständigen, aber in geringstem Maße den kleinen Unternehmern zu. Um eine Entlastung der Wirtschaft von unproduktiver Arbeit vorzunehmen, verlangen wir auch eine dringende Vereinfachung der gesamten Lohnverrechnung. In größtmöglichem Umfang muß auch die Steuerpauschalierung ausgearbeitet werden.

Die seit langem verlangte Generalreform der Umsatzsteuer ist noch immer keiner endgültigen Regelung zugeführt, wenn auch durch die Einführung gewisser Freibeträge die krassesten Härten beseitigt werden konnten. Auch auf diesem Sektor werden wir im Jahre 1962 alle unsere Bemühungen intensivieren.

Eines unserer Hauptanliegen aber stellt eine baldige Regelung der Hereinnahme von Fremdarbeitern in die österreichische Wirtschaft dar. Wir hoffen, daß eine solche Regelung im Jahre 1962 endgültigen und definitiven Charakter erhält. Die Chance für die Beschäftigung fremder Arbeitskräfte, insbesondere im Baugewerbe und in den Gaststättenbetrieben, scheint vertan, wenn diesbezügliche Verhandlungen im bisherigen schleppenden Tempo weitergeführt werden. Das Tempo aller Straßen- und Hochbauten würde auch durch den Mangelan Arbeitskräften weiter absinken, und das Hotel- und Gaststättengewerbe hätte im zweiten Fremdenverkehrsland Europas bei der Versorgung in- und ausländischer Gäste mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Wenn im Verlauf dieses Jahres unermüdlich bis zum Überdruß sich wiederholend die Freigabe der blockierten ERP-Mittel urgiert wurde, dann nicht aus einer wirtschaftlichen Laune heraus, sondern aus dem dringenden Bedürfnis aller Wirtschaftszweige, Industrie wie Gewerbe, Handel wie Fremdenverkehr, um notwendige Investitionen bzw. Rationalisierungs- und Modernisierungsarbeiten durchzuführen. Eherner Grundsatz dabei bleibt: Jede Zweckentfremdung und jede politische Einflußnahme muß bei der Vergabe dieser Mittel verhindert werden. Eine weitere wirksame Hilfe zur Existenzsicherung unserer Klein- und Mittelbetriebe stellen die Maßnahmen der Wirtschafts- und Exportförderung sowie der Kreditgebarung dar. Wir werden uns im Österreichischen Wirtschaftsbund bemühen, überall dort zu helfen, wo Hilfe nötig ist.

Das Hauptproblem, das heute die österreichische Außenhandelspolitik bewegt, ist die Teilnahme an einem gemeinsamen europäischen Markt. Soll der bisher erreichte Lebensstandard der österreichischen Bevölkerung gehoben oder zumindest auf seinem Niveau gehalten werden, dann kann dies nur geschehen, wenn der österreichische Export auch für die Zukunft garantiert wird. Die Bundeswirtschaftskammer hat in seit Monaten mit größter Sorgfalt geführten Untersuchungen wertvolle Arbeiten geleistet, um ein genaues Bild darüber zu bekommen, wie sich die innerhalb der EWG geltenden Zoll- und Handelsvorschriften, der notwendig werdende Abbau des österreichischen Zollniveaus und die Übernahme der sonstigen Vereinbarungen desRom-Vertrages auf die einzelnen Branchen der österreichischen Wirtschaft auswirken würden.

Leider mußten wir feststellen, daß die Frage „EFTA und EWG" bzw. die in Betracht kommende Assoziation an die EWG oftmals als ein hochtrabendes politisches Problem auf gefühlsmäßiger oder weltanschaulicher Basis dargestellt wird. In Wirklichkeit kann es für Österreich nur darum gehen, durch ein sorgfältig abwägendes Studium eine gemeinsame Zollpolitik zwischen der EWG und Österreich einer sachlichen Prüfung zu unterziehen. Freilich wird man dabei unseren Osthandel akzeptieren und seine ungehinderte Beibehaltung garantieren müssen. Dabei ist der Neutralitätsgedanke unbedingt zu wahren.

Ich habe bereits zum „Tag der Fahne" im Jahre 1955 festgestellt, daß unsere Neutralität keineswegs als ein äußerst unfreiwilliges und durch Zwang auf uns genommenes Übel zu verstehen ist, sondern als die Basis für eine selbständige, auf Integrität und Souveränität ausgerichtete Außenpolitik bezeichnet werden kann. Österreichs Weg ins kommende Jahr soll auch von dieser Feststellung begleitet sein.

Ein wertvolles Gut für das innenpolitische Klima unseres Landes ist der soziale Friede und die Zusammenarbeit der beiden Koalitionspartner, die nahezu das gesamte österreichische Volk im öffentlichen Leben repräsentieren. Jedes Experiment zuungunsten dieser bisher so fruchtbaren Zusammenarbeit müssen wir im Sinne der Stabilität und Ruhe, des Fortschrittes und Wohlstandes ablehnen.

Von Gewerkschaftsseite wurde kürzlich die Feststellung getroffen, daß politische und soziale Gegensätze in den Jahren 1961 und 1962 nicht mehr auf der Straße ausgetragen werden. Das ist ein begrüßenswertes Wort. Dazu sei aber ergänzend festgestellt, daß es nicht genügt, das politische Leben durch die bloße Anwesenheit am Verhandlungstisch zu gestalten. Es geht nicht länger an, daß die Sozialistische Partei Partner und Opposition zugleich spielen will. Wir im Österreichischen Wirtschaftsbund verlangen, daß man dem guten Willen der Österreichischen Volkspartei von sozialistischer Seite zumindest ein ebenso großes Maß an Ehrlichkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit entgegenbringt, wie wir es bisher an den Tag gelegt haben. Wenn alle Zusammenarbeiten, wird uns auch das Jahre 1962 den einmal errungenen Wohlstand erhalten und weiteres Wachstum unserer Wirtschaft bescheren. Wenn wir alle Wunden der Vergangenheit vergessen, wird schließlich dem sozialen Frieden auch der politische Friede beschert sein: zu unser aller Wohl, zum Wohle unseres Vaterlandes.

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