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Islamische Revolution: Stunden der Wahrheit

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Wer immer noch meinte, Kultur sei eine realitätsferne Sphäre schöner Phantasien, wird seit einiger Zeit durch die harten Tatsachen der Weltpolitik einer Umschulung unterzogen. Ist man nicht für historische Lehren der Gegenwart blind Und taub, muß man sogar bei größtem Widerstreben zur Kenntnis nehmen, daß hinter den internationalen politischen Vorgängen kulturelle Gegebenheiten sichtbar werden.

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Wer immer noch meinte, Kultur sei eine realitätsferne Sphäre schöner Phantasien, wird seit einiger Zeit durch die harten Tatsachen der Weltpolitik einer Umschulung unterzogen. Ist man nicht für historische Lehren der Gegenwart blind Und taub, muß man sogar bei größtem Widerstreben zur Kenntnis nehmen, daß hinter den internationalen politischen Vorgängen kulturelle Gegebenheiten sichtbar werden.

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Wer hätte es noch vor einem halben Jahr für möglich gehalten, daß der überaus modernisierte Iran von einer Welle der Re-Islamisierung erfaßt werde? Als ich im vergangenen Jahr den Iran besuchte, hatte ich den Eindruck, von der Türkei und Ägypten nicht nach Osten, sondern nach Westen gekommen zu sein.

Teheran war besser organisiert als Istanbul und Kairo, überall meinte man westlichen Elan, technischen Aufbauwillen, großzügige Zukunftspläne und erhebliche zivilisatorische Leistungen zu sehen. Natürlich wußte man, daß die westliche Zivilisation mit islamischen und kommunistischen Tendenzen im Wettlauf der Zeit standen, doch schien die Entwicklung den westlichen Beobachter zuversichtlich zu stimmen.

Inzwischen zeigte sich mit unüberbietbarer Deutlichkeit, daß der zivilisatorische Glanz, das technische Fortschrittstempo und auch die Versuche, die Wohlstandsbasis durch diesen Fortschritt nach unten hin zu erweitern, bloß Nebel und Illusion waren. Geblieben ist die Grundlage der islamischen Kultur.

Der Aufstand gegen die westliche Kultur und Zivilisation außerhalb des unmittelbaren „Westens“ ist weltweit. Am deutlichsten streben die islamischen Länder zurück zu ihren traditionellen Gesetzen und ihrer eigenen Lebensform. Aber auch die nicht islamischen Staaten Afrikas und einige asiatische Bereiche besinnen sich mit ihrer nationalen ., Selbständigkeit auf ihre eigenen religiösen und kulturellen Grundlagen. , Man kann ohne weiteres in dieser , Richtung Prognosen riskieren: Hinduismus, Buddhismus, Schamanentum - auch wenn dort die kirchliche Organisation nur wenig oder gar nicht ausgebildet ist - sehen ihrer emotionalen Erneuerung entgegen. Die Zeit dafür ist reif.

Man kann geradezu von einer zweiten Phase der Entkolonialisierung sprechen. Nachdem die nationale Selbständigkeit errungen war, wurde noch eine Zeitlang an den westlichen Gesetzen und Organisationsformen festgehalten. Erst nach einer gewissen Trennungsgewohnheit erwachten aufs neue die Bindungen an die eigene Vergangenheit.

Der Islam etwa hatte in den eigenen Ländern die Erinnerung an die einstige Bedeutung verloren. Die Gelehrten dieser Länder reisten nach Oxford, Paris oder Boston, um die Geschichte ihrer Kultur zu studieren. . Von Europa und den USA aus wurde das kulturelle Bewußtsein der ägyptischen und iranischen Universitäten, der islamischen Glaubenszentren reimportiert. Die im eigenen Bereich spärlich gewordene Tradition hätte allein nicht ausgereicht, zu einer Renaissance heranzureifen.

Die Auseinandersetzung mit dem Westen, der gewaltige Anreiz und gleichzeitig die Provokation durch die westliche Zivilisation und Technik, sie gaben den mächtigen Impuls, daß immer mehr außereuropäische Länder sich auf ihre eigenen Grundlagen besinnen.

Nach der ersten Faszination hatten sich natürlich die Gefahren des technischen Fortschritts herausgestellt, und es wurde vielen maßgebenden Persönlichkeiten bewußt, daß sie sich niemals aus dem westlichen Einfluß und seiner Politik würden befreien können, wenn sie dies nicht aus gestärktem eigenem kulturellem Selbstbewußtsein zu tun imstande seien.

Man kritisiert in Frankreich US-Präsident Carter hart, weil seine Menschenrechts-Politik ihn schließlich gehindert habe, die Stabilität des Iran zu bewahren. Er selbst habe sich dadurch von vornherein die Möglichkeit zu härteren Maßnahmen verstellt. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach der ersten Phase der Entkolonialisierung auf die Dauer auch die zweite nicht mehr zu verhindern ist.

Man könnte sagen: die Stunde der kulturellen Wahrheit ist gekommen. Die zivilisatorischen Masken fällen, und deutlich wird erkennbar, wohin nicht nur die westliche Technik, sondern auch die westliche Lebensform, die westliche Ordnung der Werte, die westliehe Kultur dringen konnten. Der Iran, so stellte sich jedenfalls heraus, gehörte ebensowenig dazu wie Libyen, der Irak, Äthiopien, andere Teile Afrikas und enorm große Gebiete der übrigen Welt, die einst durchaus im Besitz oder Einflußgebiet des Westens gelegen waren.

Heute zeigt sich in aller Klarheit, daß der gigantische Warenumsatz, der durch das Geschäft mit den Kolonien und später ehemaligen Kolonien für den Westen erzielt wurde, nur zu einem gefährlichen Scheinerfolg geführt hatte, da man sich der Verantwortung für alles, was man damit bewirkte, in keiner Weise bewußt war.

Im Westen selbst war die Zivilisation (die technische Entwicklung, der Fortschritt, die Explosion aller materiellen Errungenschaften) der Kultur (der gewachsenen, gelehrten und reflektierten Ordnung der Werte) davongelaufen. Mit dieser unbewältigten Zivilisation wurden aber auch alle Probleme, die sie mit sich bringt und die im eigenen Bereich nicht annähernd gelöst waren, mit exportiert.

Konnten diese Probleme dort, wo sie entstanden waren, immerhin noch einigermaßen ertragen werden, so mußten sie in völlig fremden Milieus jedoch zu schwersten Störungen führen: Computer und Fernsehen stießen auf mittelalterliche oder archaiische Lebensformen und konnten nur psychische Katastrophen herbeiführen.

Aus der heutigen Situation läßt sich leicht ablesen: viel mehr als dies damals geschehen ist, hätten die Regierungen der westlichen Ländern in diese geistige Vorbereitung für die westliche Zivilisation investieren müssen. Eine Anlage der gigantischen Gewinne wäre auf diese Weise für die Zukunft eine weitaus bessere Gewähr gewesen als die Verschleuderung im eigenen Luxus. Allerdings wird niemals festzustellen sein, ob solche Bemühungen tatsächlich eine für den Westen günstigere Entwicklung hervorgerufen hätten.

Niemand im Westen sollte vergessen, daß die chaotischen Zustände, in die orientalische Länder nach unserem Urteil zurücksinken, von den Bewohnern dort keineswegs immer als chaotisch empfunden werden. Wenn die Elektrizität zusammenbricht, in Riesenstädten von Verkehr oft kaum gesprochen werden kann, wenn Schießereien, Raubüberfälle, politische Attentate täglich auf den Straßen der dortigen Metropolen geschehen, so entspricht dies eben jenem Zustand, den man seit einigen tausend Jahren gewohnt war.

Nun befindet sich die westliche Kultur selbst in einer schweren Krise, da das Bewußtsein der eigenen Kontinuität gefährdet ist. Ob man -will oder nicht, und auch wenn es manchen überhaupt nicht paßt: Die westliche Kultur entwickelte sich auf christlicher Grundlage, und diese Grundlage läßt sich bis in die Errungenschaften der Technik, des sozialen Lebens, bis in die Künste, in die Philosophie, die Gesetze, die Ordnung der Werte nachweisen.

Dieses Bewußtsein ist teilweise verlorengegangen. Ein psychischer Gleichgewichtsverlust brachte die westliche Kultur gerade dann am meisten ins Wanken, als sie ihre stärksten Kräfte benötigt hätte - und dieser Zustand scheint sich noch zu steigern. Der Marxismus bot sich als eine Art Ersatzreligion, als neues Wertsystem an, das manche christlich-jüdischen Elemente übernahm, jedoch Europa zutiefst spaltete.

Auch damit kam auf beinahe unheimliche Weise eine alte kulturelle Gegebenheit wieder an den Tag: die Spaltung in West-Rom und Ost-Rom, die einmal schon eine große Kultur um ihre Einheit gebracht und nach manchen Phasen - in die ein Großteil der damaligen Welt einbezogen wurde - in den Zusammenbruch geführt hatte.

Mit verblüffender Deutlichkeit können wir heute wahrnehmen, daß die politischen und wirtschaftlichen Krisen die Außenseite der hinter ihnen wirksamen kulturellen Krisen Sind. Alle technischen und politischen Einflüsse haben das langsam gewachsene Denken und Verhalten des Menschen in der ihn umgebenden und von ihm geschaffenen jeweiligen Kultur nicht ändern können.

Kulturen entstehen in Jahrhunderten und Jahrtausenden, sie sind nicht in Jahrzehnten umzubauen. Nur ein paar technische Kulissen lassen sich rasch aufstellen, die ein trügerisches Bild suggerieren. Der Koran und die Bibel oder das Alte Testament tauchen unvermutet wieder auf - und dies sieht man nicht nur in den Fällen Libanon und Israel.

Allerdings kann der eben stattfindende weltpolitische Anschauungsunterricht über kulturelle Grundlagen im Westen spät genug vielleicht auch die Notwendigkeit klarmachen, eben diese eigenen kulturellen Grundlagen ernster zu nehmen, als dies bisher geschah.

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