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„Islamisten an die Macht!”

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Doppelmoral in Sachen Islamismus wirft Ex-CIA-Mitarbeiter Füller dem Westen vor. Er hofft auf eine Ende der Gewalt -dank der Islamisten.

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Doppelmoral in Sachen Islamismus wirft Ex-CIA-Mitarbeiter Füller dem Westen vor. Er hofft auf eine Ende der Gewalt -dank der Islamisten.

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DIEFURCHE: Algerien hat mit den jüngsten Provinz- und Kommunalwahlen, denen sogar die legalen Oppositionsparteien Betrug nachsagen, eine Beihe von Urnengängen abgeschlossen. Hat das Algerien dem Frieden nähergebracht?

Graham Füller: Das hätte einen kleinen Fortschritt zur Legitimierung des algerischen Regimes bringen sollen, seit die Demokratie 1992 gestrichen wurde (Damals wurden die Parlamentswahlen vor dem zweiten Durchgang und einem sicheren Wahlsieg der Islamischen Heilsfront FIS abgebrochen. Anm. d. Verfassers). Aber die wichtigste Voraussetzung, die größte islamistische Partei FIS in die Machtaufteilung einzubeziehen, wurde nicht erfüllt. Solange die FIS oder ihr politischer Nachfolger nicht einbezogen sein wird, wird es wohl keinen politischen Frieden in Algerien geben.

DIEFURCHE: Das gespannte Verhältnis zwischen den bewaffneten Gruppen GIA („Groupes Islamiques Armes”) und der FIS ist bekannt Wieso sollte denn eine FIS an der Macht die Gewalttäter besänfiigen? Füller: Der Armee ist es jedenfalls nicht gelungen, die GIA zu kontrollieren. Die hat einfach nur das Morden im Land gesteigert und die politische Lage polarisiert. Ich würde sagen, die Islamisten selbst sind besser in der Lage, radikale bewaffnete Elemente zu kontrollieren, als jede andere politische Organisation. Aber selbst wenn FIS ein wichtiger Teil einer neuen Regierung wäre, würde sie das nicht sofort schaffen. FIS könnte den GIA aber ihre islamistische Legitimität streitig machen, indem sie auf gewisse islamistische Programme hinweist.

DIEFURCHE: Haben Sie Beweise dafür, daß die Armee an Massakern beteiligt war, die später den Islamisten in die Schuhe geschoben wurden? In Paris forderte Anfang der Woche eine Demonstration restlose Aufklärung. Fui.T.KR: Hier herrscht viel Geheimnistuerei. Aber es wird immer klarer, daß Teile der Armee und der Sicherheitskräfte oft mitverantwortlich sind für das Töten, das immer noch weitergeht. Wie Sie wissen, gibt es hier viele Faktoren, die Armee, von ihr bewaffnete Rürgerwehren, der nationale Befreiungskampf aus den sechziger Jahren zwischen pro-fran-zösischen und nationalistischen Kräften lebt auf, es gibt kriminelle Elemente und reine Terroristen. Wenn in Gegenden, die im wesentlichen der FIS zugerechnet werden, Massaker stattfinden oder Autobomben hochgehen, kann das nicht alles von den GIA kommen. Das wäre nicht logisch. Schon allein deswegen bin ich überzeugt, daß der Staat darin stark involviert ist. In einem Fall ist es wohlbekannt, daß in drei Gehminuten von einer Armeekaserne gemordet wurde. Und die haben stundenlang nichts getan. Das ist doch sehr verdächtig und wohl Teil der Bemühungen, alles und jedes, was mit der islamistischen Bewegung zu tun hat, zu diskreditieren.

DIEFURCHE: Islamist oder Fundamentalist klingt für europäische und nordamerikanische Ohren schon heute wie ein Schimpfwort Was ist so falsch an einem islamischen Konzept von Staat und Politik, wenn es grundlegende Menschenrechte respektiert und nicht gewalttätig ist?

FÜLLER: Der politische Islam stellt eine sehr mächtige Kraft in der politischen Szene des Mittleren Ostens dar. Und er wird nicht einfach wieder irgendwie verschwinden. Ob wir das nun gut finden oder nicht, die Frage ist, wie wir damit umgehen. Der Fall Algerien ist ein Paradebeispiel dafür, wie das Problem nicht zu behandeln ist. Wie schlimm hätte die FIS an der Macht sein müssen, um an den bis zu 120.000 Todesfällen in den letzten fünf Jahren beteiligt gewesen zu sein? Es ist sehr unwahrscheinlich, daß es (nach dem hochwahrscheinlichen Sieg bei den abgebrochenen Parlamentswahlen 1992, Anm. d. Verfassers) so arg gekommen wäre.

Was die Kritik der Islamisten anbelangt, so trifft sie bei vielen Problemen der Gesellschaften ziemlich ins Schwarze. Aber ich bin nicht so sicher, ob sie viele gute Antworten haben. Allgemein ziehen sie sich auf die vage Formel zurück, Islam sei die Antwort. Vielleicht bietet er für die Politik ja wirklich einige Ideen oder Philosophien, aber für Bildungs-, Landwirtschafts- oder Standortfragen liefert er keine spezifischen Antworten.

Ich glaube, man muß die Islamisten ins politische System einbinden, um sie in den Griff zu bekommen. Sie sollten gezwungen werden, sich der Bealität zu stellen, sich mit anderen, ungeliebten, politischen Parteien auseinanderzusetzen, um über die Beschäftigung mit neuen Ideen in eine Art demokratischen Bahmen gezwängt zu werden.

DIEFURCHE: Sprechen Sie von Demokratie, wie wir sie meinen? Oder können Sie sich eine Art politisches System vorstellen, das demokratisch und zugleich angepaßt an die islamische Zivilisation ist?

FÜLLER: Sicher! Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit für den Islam. Zum ersten Mal in den 1.400 Jahren seiner Geschichte diskutieren Moslems, vor allem im Westen, wie man islamische Praxis mit den Bedingungen der Welt zusammenbringen kann. Es ist viel besser, wenn der Islam Demokratie und Menschenrechte aus seiner eigenen Tradition ableitet ~ und das geht. Keine Religion ist im Grunde demokratisch, aber andere haben das auch geschafft.

DIEFURCHE: Gibt es Anzeichen, daß westliche Begierungen Islamisten an der Macht akzeptieren könnten? FüLLER: Lange war das nicht so, weil Islamisten sehr sensibel für westlichen Imperialismus sind, für vergangenen und bestehenden. Für die Ungleichheit an kultureller Macht, in Wirtschaft, Militär und Politik. Ich versichere Ihnen daher: Die islamistischen Parteien werden unangenehmere Zeitgenossen sein als so manche gegenwärtige Diktatur oder autoritäre Regierung. Wir sprechen nicht darüber, wie wir mit den Islamisten zu-randekommen, weil wir sie lieben oder weil wir mit ihnen in altem einverstanden sind. Sie sind eine politische Realität, die man nicht leugnen kann. Fünf Jahre nach der Streichung der Demokratie in Algerien erkennen Franzosen, mehr noch Spanier und Italiener, daß die Staatsmacht mit dem Problem nicht fertiggeworden ist, daß es einen neuen Ansatz zur Schadensbegrenzung braucht.

DIEFURCHE: ... also eine Chance auf ein OK des Westens für ein Experiment mit Islamisten?

FÜLLER: Ich glaube, wir im Westen messen manchmal mit zweierlei Maß. Natürlich glauben wir an Demokratie. Und Washington sah den Staatsstreich 1992 mit Unbehagen, aber zog ihn den Islamisten an der Macht vor. Das war jedoch ein Irrtum. Langsam machen wir Erfahrungen mit dem neuen Phänomen des politischen Islam und müssen ein reiferes Denken entwickeln. Wie stehen die Dinge denn derzeit? Der Iran gilt als typisches Reispiel und wurde zu so etwas wie ein Trauma für die US-Regierung. Sie hat die vielen schlechten Seiten des Regimes übertrieben. Dieses ist nicht toll, aber offener als viele andere Regime. Die letzten Wahlen waren zwar nicht ganz offen, aber sie brachten eine überraschende Wendung. Die parlamentarische Debatte ist im Iran viel lebendiger als etwa im Irak, Saudi-Arabien, Syrien, Ägypten, Algerien oder Tunesien, einem an sich offeneren System.

Die Türkei ist ein anderes Beispiel. Hier kamen Islamisten überhaupt erstmals durch Wahlen an die Macht. Ich wünschte, es wäre ihnen ermöglicht worden, auch wieder durch Wahlen von der Macht getrennt zu werden. Aber das Militär zog es vor, sie zu verdrängen - kein Staatsstreich, aber doch etwas Ähnliches. Und Washington, das die Politik der Islamisten nicht guthieß, kam drauf, daß es weder schrecklich noch ein Desaster war.

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