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Ist Glaube in Zahlen faßbar';
Am fragwürdigsten sind Statistiken zur Religiosität in Europa (FURCHE 47/1994) punkto Ex-Jugoslawien und Baltikum. Was ergeben neue Recherchen?
Am fragwürdigsten sind Statistiken zur Religiosität in Europa (FURCHE 47/1994) punkto Ex-Jugoslawien und Baltikum. Was ergeben neue Recherchen?
Mit Jugoslawien zerfiel ein Vielvölkerstaat in einige neue Vielvölkerstaaten. Da in Südosteuropa die Zugehörigkeit zu einer Nation vielfach auch mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession verbunden ist, sind die meisten Nachfolgestaaten Jugoslawiens auch Staaten mit mehreren Konfessionen, nur Slowenien ist relativ homogen (furche 47/1994).
Am buntesten ist (Rest-)Jugosla-wien. Dort leben zwischen 65 und 70 Prozent orthodoxe Serben und Montenegriner. Seit dem Ausbruch des Krieges bezeichnet sich eine wachsende Gruppe unter den Serben als orthodox, ohne jedoch am Glauben interessiert, manchmal auch ohne getauft zu sein. Die Zahl derer, die sich als konfessionslos bezeichnen, geht zurück. Daneben gibt es zwei große Minderheiten: Im Norden, der Vojvodina, leben viele Katholiken, meist kroatischer oder ungarischer Sprache, ferner gibt es eine evangelische Minderheit. Nach Auskunft des Rischofs von Subotica, Jänos Penzes, sind die Kontakte zur serbischen Partnerdiözese in Ordnung.
Hingegen ist der Süden Serbiens, der Kosovo, zum Großteil von muslimischen Albanern bewohnt, die (zumindest vor dem Krieg) keine Neigung zum islamischen Fundamentalismus zeigten. Die Probleme sind bekannt. Führende Serben sehen den Kosovo als Heimat Serbiens, die wieder mehrheitlich serbisch werden soll. Ruhiger ist es in der zweiten, mehrheitlich von Moslems bewohnten Region, dem Sandjak, dem Landstück zwischen dem Kosovo und Montenegro, bewohnt von serbokroatischsprachigen Moslems. Allerdings gibt es nach Zeitungsberichten große Ängste in der Bevölkerung, daß Konflikte auch in diesem Bereich beginnen könnten.
In Montenegro leben zu etwa 70 Prozent orthodoxe Montenegriner, 20 Prozent Moslems und knapp unter fünf Prozent Katholiken.
Für Makedonien gilt ähnliches wie für Restjugoslawien. Die Make-donier (ihre Sprache ist am engsten mit dem Bulgarischen verwandt) sind zum größten Teil orthodox. Ihre Kirche hat sich 1967 von der serbisch-orthodoxen gelöst, ihre Unabhängigkeit wurde bisher aber noch von keiner anderen orthodoxen Kirche anerkannt. In letzter Zeit hat sich die bulgarische Kirche in diesem Konflikt zu Wort gemeldet. Die 21 Prozent Albaner und knapp fünf Prozent Türken sind mehrheitlich sunnitische Moslems. Zwischen Albanern und Madeko-niern gibt es verhältnismäßig starke Spannungen, die bisher aber nicht konfessionelle Züge tragen.
Unabsehbar ist die Lage im kriegsgeschüttelten Bosnien. Etwa 2,6 der 4,4 Millionen Einwohner sind seit Ausbruch des Krieges aus ihrer Heimat geflohen, etwa die Hälfte davon ins Ausland. Unter den verbleibenden Bewohnern ist das statistische Verhältnis zwischen den Konfessionen etwa gleichgeblieben.
Kroatiens Katholiken stellen 78 Prozent der Bevölkerung. Ähnlich wie in Serbien sind nationale und kirchliche Zugehörigkeit miteinander verbunden. Gerade in Zeiten der nationalen Bedrohung spielt dies eine besondere Rolle, was in den letzten Jahren zu einer stärkeren Betonung des Religionsbekenntnisses in der Öffentlichkeit führte. In letzter Zeit wurden Übertritte von Orthodoxen berichtet. Kardinal Franjo Kuharic gab bekannt, daß in einigen Fällen noch untersucht wird, ob die Übertritte auf Grund von katholisehen Abwerbungsbemühungen, auf Grund von politischem Druck oder tatsächlich aus innerer Überzeugung erfolgt seien.
Kaum in einem anderen Teil Europas unterscheiden sich die Zahlenangaben über die Konfessionszugehörigkeit so stark wie in den baltischen Staaten. Vor dem Zweiten Weltkrieg galt Litauen als vorwiegend katholisch, Estland als fast rein protestantisch und Lettland als vorwiegend protestantisch mit großer katholischer Minderheit. Einige Details über Religiosität im Raltikum verrät die Tabelle. Durch den Zuzug zahlreicher Russen und anderer Slawen in der Sowjet-Zeit entstand eine orthodoxe Minderheit.
Nach Auskunft der Rotschaft Lettlands bekennen sich nicht ganz 30 Prozent der 2,565.000 Einwohner zu einer Glaubensgemeinschaft, je zirka 300.000 zur evangelisch-lutherischen Kirche und zur römisch-katholischen Kirche, 100.000 zur orthodoxen Kirche und an die 70.000 zu einer Abspaltung von der orthodoxen Kirche (Pomora-Altgläubige). Diesen Zahlen entsprechen etwa die kirchlichen Trauungen und Regräbnisse. Anders sieht es bei den Taufen aus: 1992 wurden 92 Prozent der Neugeborenen getauft. Anscheinend lassen auch Eltern, die selbst keiner Kirche zugehören, ihre Kinder taufen.
Ähnlich ist die Situation in Estland: Etwa 200.000 Esten (20 Prozent der Esten) sind getauft und gehören der evangelischen Kirche an, 70.000 nehmen aktiv am Gemeindeleben teil. Estlands evangelische Kirche hat in den letzten Jahren einen gewaltigen Aufschwung genommen: 1980 waren 172 Taufen und 546 Konfirmationen registriert worden, zwischen 1988 und Mitte 1992 wurden 49.049 Kinder getauft und 31.041 konfirmiert. Eine finnische Umfrage ergab, daß sich etwa 60 Prozent der Esten (die knapp zwei Drittel der Bevölkerung stellen) der evangelischen Kirche zugehörig fühlen, und zwar etwa 400.000 ohne registrierte Taufe. Über die Zahl der Orthodoxen (fast ein Drittel der 1,5 Millionen Einwohner ist russisch) fehlen Angaben. Die Katholiken sind nur eine kleine Minderheit.
Am klarsten ist die Situation in Litauen: Etwa 80 Prozent der Litauer und Polen zählen sich der katholischen Kirche zu, somit sind etwa zwei Drittel der etwa 3,7 Millionen Einwohner katholisch. Daneben existiert eine orthodoxe und eine kleine protestantische Minderheit.
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