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Ist Sport ein Ventil für Nationalismus?

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Dieser Beitrag hat nicht den Ehrgeiz, die Ideologie des Sports zu untersuchen und die gesamten verschwiegenen negativen Aspekte, die teils in einzelnen Sparten, teils im gesamten Sport soziologisch stecken, zu beleuchten. Immerhin sei vermerkt, daß der mit dem Sport vermischte Geschäftsbetrieb (Fremdenverkehrswerbung, Sport- und Modewerbung) eine Analyse verdienen würde. Auch wäre die Frage der Gesundheit (Rekordsportler sterben oft früher) und körperlichen Verschönerung (Boxer? Stemmer?) in den einzelnen Sparten zu untersuchen. Ebenso der Jahrmarkt der Statussymbole, der arrogante und infantile Kasten- und Klassenbetrieb. Hier jedoch soll der Blick auf die politischen Aspekte gerichtet werden. Denn gemäß einer sogenannten Sportideologie ist er „völkerverbindend“.

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Dieser Beitrag hat nicht den Ehrgeiz, die Ideologie des Sports zu untersuchen und die gesamten verschwiegenen negativen Aspekte, die teils in einzelnen Sparten, teils im gesamten Sport soziologisch stecken, zu beleuchten. Immerhin sei vermerkt, daß der mit dem Sport vermischte Geschäftsbetrieb (Fremdenverkehrswerbung, Sport- und Modewerbung) eine Analyse verdienen würde. Auch wäre die Frage der Gesundheit (Rekordsportler sterben oft früher) und körperlichen Verschönerung (Boxer? Stemmer?) in den einzelnen Sparten zu untersuchen. Ebenso der Jahrmarkt der Statussymbole, der arrogante und infantile Kasten- und Klassenbetrieb. Hier jedoch soll der Blick auf die politischen Aspekte gerichtet werden. Denn gemäß einer sogenannten Sportideologie ist er „völkerverbindend“.

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Wenn an einem Meeresstrand Angehörige verschiedener Nationen im Sommer schwimmen, ohne einander konkurrenzieren zu wollen, so mag dies sogar zutreffen. Es mag auch sein, daß Sportler so gutmütig sind, anderen Konkurrenten einen Sieg zu gönnen, obwohl hiezu schon einige moralische Kraft gehört. Dabei mag es vergleichsweise leichter sein, Neid und Aggressionen bei Konkurrenzen zu unterdrücken, in denen kein direkter Angriff auf andere Sportler verlangt wird. Denn Boxen, Ringen, Tennis und Fußball erfordern die direkte Bekämpfung des anderen, während dies beim Skilauf oder beim Eislauf nicht der Fall ist. Theoretisch wäre es möglich, bei den letzteren Sportarten jeden Sportler für sich allein zu prüfen.

Ein Typus des Kampfes erwies sich historisch in besonderer Weise geeignet, nationalistische Leidenschaften anzuheizen, Aggressionen zu erzeugen und genau das Gegenteil von dem, was die Sportideologie vom Sport behauptet, nämlich „Völkerfreundschaft“. Es handelt sich um jenen Typus, bei dem zunächst immer zwei Parteien einander bekämpfen.

Schließlich ist allen diesem Typus angehörenden Sportarten gemeinsam, daß eine mehr oder weniger große Öffnung vorhanden ist, die jeweils die eine Partei vor der Absicht der jeweils anderen Partei, in diese Öffnung einen Gegenstand hineinzuplacieren, zu „verteidigen“ hat. — Und umgekehrt. Die Öffnung ist verschieden groß. Besonders klein ist sie beim Korbball, größer beim Eishockey, am größten beim Fuß- und Handball. Auch die Objekte, die in die jeweilige Öffnung einzudringen haben, sind verschieden groß. Am kleinsten beim Eishockey, relativ groß beim Fußball. „Sieger im Kampf“ um die Ehre einer Mannschaft — und nehmen wir es vorweg, der ganzen Nation, (die von jener Mannschaft vertreten wird) — ist die Partei, die es vermochte, öfter das umkämpfte Objekt in die gegnerische Öffnung zu placieren.

Dieser Zweck wird erreicht durch die Geschicklichkeit, die Verteidigung des Aufnahmeraumes zu überwinden, durch die Fähigkeit, die Gegner daran zu hindern, in den eigenen Hohlraum einzuschießen. Wem das gelingt, der zeigt seine „Überlegenheit“ gegenüber dem „Feind“. Er ist „stärker“, potenter. Die Identifikation der Zuschauer mit „ihrer“ Mannschaft, und damit die Gleichsetzung von Mannschaft und Nation wird besonders gut

■ dadurch ermöglicht, daß hier eben eine „Mannschaft“ und nicht bloß einzelne kämpfen und

■ dadurch, daß nur jeweils ein Feind existiert. Während Skiläufer gleichsam immer gegen Angehörige aller Skiniaitionen kämpfen, ja sogar gegen Angehörige der eigenen, kämpft das Nationalteam der Fußballer gegen das Team eines anderen Landes. Die Identifikation einer „Nation“ mit einem Team, liegt also denkbar nahe.

Es kämpfen gleichsam, ohne daß die Angehörigen der jeweiligen Nationen gefragt werden, Repräsentanten einer Nation gegen die Repräsentanten einer anderen. Selbstverständlich halten diese Identifikationen keiner rationalen Prüfung stand, sie sind vielmehr kompletter Unsinn. Wo kämen wir hin, wann „Ehre“ und „Würde“ einer Nation von elf Fußballspielern abhinge? Sie verteidigen in Wirklichkeit ihre „Ehre“, die „Ehre“ ihrer Trainer und eventuell Geldgeber, worunter sich natürlich auch ein Ministerium befinden kann. Hierzu kommt, daß in vielen Mannschaften geradezu „Landsknechte“ spielen, „eingekaufte“ Sportler anderer Nationalität. Die jeweilige Zielsetzung bei allen diesen Sportarten ist, wie schon gesagt, die möglichst häufige Placierung eines Gegenstandes in die „feindliche“ Öffnung, und die möglichst häufige Verhinderung des analogen Vorganges durch den Gegner.

„Umkämpft“ ist also immer die Öffnung, das „Tor“ (beim Fußball), der Korb oder der Schlauch (beim Korbball), die sich allesamt zwanglos als weibliche Symbole erweisen. Wer öfter da „hineintrifft“, demonstriert seine größere „männliche“ Potenz. Die Konkurrenz wiederum wird in der Kindheit in zwei Dimensionen erlebt: Zunächst als Vergleich zwischen dem Kind und dem jeweils gleichgeschlechtlichen Elternteil (Sohn mit Vater im Kampf um die Mutter) und als Konkurrenz der Kinder untereinander. Nun sind mehr als alle anderen Sportarten die eben genannten die „männlichsten“. Ganz im Gegensatz zu Kunsteislauf, Schwimmen oder Skilaufen, gibt es ein weibliches Fußball-Team nur ansatzweise. Der Kampf zwischen Vater und Sohn um die Mutter ist nun das klassische ödipalmotiv. Und das Investment der ödipalaggressionen (Kastration und Liquidation) ist dann am leichtesten möglich, wenn eine Mannschaft eine besonders große, die andere eine relativ kleine Nation und damit auch „kleine“ politische Macht repräsentiert. Die eigene Frau wird im eigenen Tor „verteidigt“, die des anderen zu „erreichen“ getrachtet. Natürlich läßt sich nicht das gesamte Spiel damit erklären, jedoch sein wesentlicher und entscheidender Zug. Abgesehen davon, daß schon mit der Investition der ödipalaggressionen die gefährlichsten Affekte mobilisiert werden, ist der Ubertragungs-vorgang noch zusätzlich gefährlich. Er illusioniert durch Generalisierung. Denn es ist natürlich durchaus möglich, daß die Mannschaft eines kleinen Landes jene eines großen in irgendeiner Sportdisziplin besiegt. So könnte Österreich die USA oder die Sowjetunion theoretisch im Handball besiegen. Wenn man jedoch aus einem solchen „Sieg“ die Fähigkeit des österreichischen Bundesheeres ableiten wollte, sich mit einer der beiden Armeen zu „messen“, wäre dies kompletter Unsinn. So kann Sieg oder Niederlage in einem Spiel zu nationalen Überoder Minderwertigkeitsgefühlen beitragen. Ein nationaler „Triumph“ oder eine nationale „Katastrophe“ kann eintreten, wobei man hoffen muß, daß es keine ärgeren Katastrophen gibt.

Die historischen Beispiele widerlegen im übrigen die These, daß Aggressionen durch Ersatzhandlungen einfach „abreagierbar“ sind. Denn sie zeigen, daß Aggressionen durch Symbolhandlungen sogar mobilisiert werden können. So einfach steht es also keineswegs mit den Möglichkeiten der Aggressionsverarbeitung.

In Österreich gab es — abgesehen von Ereignissen im Jahre 1945 — während der deutschen Besetzung nur zwei öffentliche antinazistische Kundgebungen:

•LDie erste, wirklich eiinstzuneh-mende Demonstration erfolgte im Herbst 1938, als Kardinal Inniteer im Stephansdom feierlich seinen Irrtum zugab: „Auch ein Bischof kann irren.“ Damals (der Verfasser befand sich als 15jähriger unter dem Volk) — kam es auf dem Stephansplafcz zu echten antinazistischen Kundgebungen. Es herrschte Begeisterung und Jubel. Nun besteht sicherlich aller Grund für Katholiken, in Jubel auszubrechen, wenn ein Kardinal öffentlich zugibt, Fehler gemacht zu haben. (Ein kirchenhistorisch sehr seltener Fall.) Der latente Antinazismus bekam wieder seine offizielle Bestätigung und diese befreite viele vom Gewissensdruck, soweit sie nämlich nicht einfach gegen die Ansichten des Episkopats ihr Christentum gewahrt hatten. Diese Demonstration war also nicht nur verständlich, sie hatte tiefe und echte Gründe.

• Demgegenüber muß die zweite Demonstration — sie hatte keine weltanschaulichen, sondern nationale Gründe — als höchst zweifelhaft determiniert gesehen werden. Hatten die deutschen Okkupanten auch mit unverfrorener Arroganz Österreich national gedemütigt, (was selbst manchem „Illegalen“ zu dumm wurde), so war nun dieser Anlaß

denn doch zu billig. Österreichs Mannschaft Rapid kämpfte im Stadion gegen den deutschen Meister Schalke 04. In Anwesenheit des — gemessen an dem ersten Wiener Gauleiter Bürkel — fast aristokratisch kultivierten Baidur von Schirach, kam es zu echten antideutschen Kundeebuneen.

Als die NS-Schergen Österreicher (Juden, Zigeuner und mißliebige Personen jeglicher Art) verhafteten, fand sich keine Masse zum Protest bereit. Als jedoch Rapid siegte, gab es eine echte österreichische Nationalkundgebung.

Eine unglückliche politische Rolle spielte auch 1956 ein Fußballmatch Ungarn—UdSSR, bei dem die Ungarn gewannen. Dieser Sieg stimulierte einen nationalistischen Rausch, der es den Ungarn unmöglich machte, rational die Grenzen zu erkennen, die ihrer Politik gesteckt waren. Die ungarische Rebeilion gebar sogar einen Mythos: denn im Ungarn des Jahres 1956 gab es, wie ja in anderen Ostblock-Ländern auch, Pseudo-amateursportler, also getarnte Profis. Die Ungarn tarnten sie auf die Weise, daß die Spieler Offiziersränge erhielten. So war der sehr prominente Fußballstar Puskäs „Major“, wobei es zweifelhaft ist, ob er jemals eine Kaserne von innen gesehen hat.

Als nun der Aufstand in Ungarn ausbrach, erzählte man sich eine wunderliche Mär: Puskäs — das Fußballidol — sei „an der Spitze seines Regimentes“ im Kampf gegen die Sowjets gefallen. Wie sich herausstellte, schlief zu dieser Zeit jedoch Puskäs in seinem Bett und setzte sich dann nach dem Westen ab, wo er von westlichen Vereinen gerne empfangen wurde und Millionen als Fußballprofi verdiente. Was diesen Fall so interessant macht, ist die Möglichkeit, die Entstehung eines Mythos an seinem Ursprung zu beobachten. Puskäs, der Fußballer, war ein Nationalheros: gelang es ihm doch, Bälle in das russische Tor — und nicht nur in vier — zu placieren. Er hatte im Sport den Russen gegenüber die größere ungarische Potenz demonstriert. War es da nicht nach der Logik des Affektes gleichsam selbstverständlich, daß er auch im Kampf der Nation „seinen Mann stellte“ und heroisch starb?

Das letzte Beispiel ist das Eis-hockeyspiel CSSR—UdSSR. Politisch konnten die Tschechen sinnvoll nur versuchen, sich nach dem August 1968 in die von den Sowjets gesteckten Grenzen einzuordnen. Hiebei hätte sich sicherlich eine Menge Freiheiten retten lassen, die nicht zu retten waren, wenn man den russischen Bären andauernd in den Schwanz stach. Die Vorstellung jedoch, daß ein« Nation, deren Mannschaft eine andere 4:3 im Eishockey besiegen kann, auch notwendig stärker ist als die Verlierer, entspricht zwar der „Logik“ der Affekte, ist jedoch ansonsten kompletter Unisinn. Nun haben die Tschechen und Slowaken, gemessen an der Tatsache, daß ihr gewaltloser Widerstand gegen die sowjetische Okkupation weder rational durchdacht, noch vorbereitet war, sicherlich eine erstaunliche Widerstandsleistung vollbracht.

Sie ist nur erklärlich aus der Tatsache, daß diese Art des Widerstandes im der CSSR eine bemerkenswerte Tradition hat. Trotzdem ist es abzulehnen, daß dieser Widerstand immer mehr in ein nationalistisches Fahrwasser geriet, eine Überbewertung der Tschechen und Slowaken provozierte und gleichzeitig eine Russenverachtung erzeugte. Solche Reaktionen sind verständlich, trotzdem sie Fehlreaktionen sind.

Der Eishockeysieg brachte den schwelenden Nationalismus zum Überkochen. Und die Vorstellung, daß die Russen selbst die Provokateure gegen das Aeroflotbüro stellten, ist wohl glatter Unsinn. Daß die Russen nämlich, entgegen ihrem sonst maximal unpsychologischen Verhalten (dümmer als die sowjetische Propaganda in Hinblick auf den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen im August 1968 konnte eine politische Propaganda gar nicht sein) nun plötzlich eine psychologische Raffinesse erster Ordnung entwik-keln sollten, wäre eine überspannte Annahme.

Zunächst konnten die Sowjets erwarten, daß ihre Mannschaft verlieren werde; immerhin hätten sie gleichsam befehlsgemäß verlieren können. Dann hätten sie wissen müssen, daß man die „Volksseele“ nach solch einem sportlichen Sieg leicht anheizen kann. Psychologische Subtilitäten sind jedoch dogmatischen Marxisten fremd, weil sich dabei weit und breit kein „ökonomischer Faktor“ zeigt. Und ohne solche ökonomische Faktoren ist ein „wahrer“ Marxist nicht recht zufrieden zu stellen. Deshalb kann er den Affekt-Nationalismus — im Sport auch nicht deuten.

Aber all der nationalistische Unsinn, den der Sport im allgemeinen und den bestimmte Sportarten im besonderen anzuheizen vermögen, sollte zu denken geben. Der gesamte Sportbetrieb wäre rationaler zu gestalten und die Irrationalen, affektiven Dummheiten wären zumindest entscheidend zu verringern. Und all den Unsinn „wertfrei“ zu betrachten, also vor der Unvernunft zu kapitulieren, ist antihuman, Ist eine Entscheidung gegen den Menschen.

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