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Italien-links oder…?

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Gegen den Rat ihres politischen erfahrenen Chefs Pietro Nenni haben die leitenden Organe der vereinigten Sozialistischen Partei Italiens eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung abgelehnt. Nach der Enttäuschung über den Wahlausgang vom 19. Mai war diese Haltung zu erwarten, ob sie auch den Regeln der politischen Klugheit entspricht, ist eine andere Frage. Der alte Nenni, der in seiner langen politischen Karriere genügend Erfahrungen sammeln konnte, hat richtig erkannt, daß nur eine rasche Regierungsbildung und eine Fortsetzung der im Jahr 1964 ins Leben gerufenen Mitte-Links-Koalition dem Lande unnötig Krisen ersparen könne und einzig und alleine in der Lage wäre, notwendige Reformen rasch durchzuführen. Aber gewisse Manager, unter ihnen der aus der Aktionspartei stammende Riccardo Lombardi, möchten andere Wege gehen. Die in der Zeit des Partisanenkampfes gegen die deutschen Truppen gegründete Aktionspartei (der Name stammt von Mazzinis Anhängern im Risorgimento) verteilt sich heute auf verschiedene Linksparteien. Diese nur aus Intellektuellen bestehende Gruppe plante eine enge Verbindung von dirigistischer Planwirtschaft mit politischem Liberalismus. Der bindende Kitt für eine Pantei mit so auseinanderstrebenden Zielen war leidenschaftliche Feindschaft gegen die katholische Kirche und — auf Mazzinis Spuren — ein nicht eingestandener Nationalismus. Man hoffte aus den ersten Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung als Massenpartei hervorzugehen. Scheinbar war man sich nicht bewußt, daß in Europa nur ein mal eine Partei mit so diffusem Programm ungeahnte Wahlerfolge erzielen konnte; der Führer jener Partei wußte eben die Massen anzusprechen, eine Kunst, die den Intellektuellen des Partito d’Azione versagt geblieben war. In die Nationalversammlung des Jahres 1946 konnte die Partei nur sieben Abgeordnete entsenden. Kurz nachher löste sie sich auf. Aber heute haben die damaligen Politiker gewisse Ressentiments nicht überwunden. Lombardi möchte nun die Democra- zia Cristiana zwingen, völlig isoliert eine Alleinregierung zu bilden, der bei der geringsten Abweichung vom gewünschten Kurs der Linksparteien das Vertrauen entzogen werden sollte. Alleine verfügt die DC über keine Mehrheit im Parlament. Lombardi möchte so erreichen, daß die DC vor ihren Anhängern und Wählern restlos jedes Ansehen verliert und daß so auch eine große Linke entstehen kann, von den Kommunisten und „Chinesen“ bis zu den extremen Linkskatholiken der De- mocrazia Cristiana. Lombardi und seine politischen Freunde scheinen nicht zu erkennen, daß sich die DC auch ohne „Strafzeit der Alleinregierung“ mit den Kommunisten verständigen könnte, und zwar über die geschlagenen Sozialisten hinweg. Daß die Kommunisten für „nützliche Idioten“ keine besondere Zärtlichkeit hegen, falls diese nicht mehr gebraucht werden, sollte bekannt sein. Neben Lombardi gibt es natürlich auch gemäßigtere Stimmen im italienischen Sozialismus. Man möchte wohl der DC die Verantwortung für eine Alleinregierung aufbürden, aber man wäre gewillt, diese parlamentarisch zu stützen oder zu dulden. Aber warum möchten die Sozialisten dann nicht einer solchen Regierung beitreten? Gelingt einer solchen Regierung die Realisierung eines gewissen Programmes, bleibt der Ruhm für den Erfolg bei der DC und den Republikanern. Versagt diese Regierung wegen ihrer schwachen Basis, so würde auch die Sozialisten ein Teil der Verantwortung treffen. Gerade aus diesen Gründen war Nenni und mit ihm ein bedeutender Teil der Vereinigten Sozialisten für eine Fortsetzung der Koalition; zum Beispiel die überwiegende Mehrheit der Mailänder Lokalorganisation entschied sich im Sinne Nennis.

Vor Neuwahlen?

Während im sozialistischen Lager alle möglichen Projekteschmiede an der Arbeit sind, die ihre Pläne auch der Öffentlichkeit unentwegt be- kanntgeben, befleißigt man sich in der Democrazia Cristiana großer Zurückhaltung. Allerdings ist ein bekannter Notabel der Partei zum Senatspräsidenten auserkoren worden: niemand anderer als der bisherige Außenminister und oftmalige Premier Amintore Fanfani. Der Senatspräsident ist laut Protokoll der zweite Mann im Staate und vertritt im Notfall den Staatspräsidenten, aber eine politische Karriere läßt sich von diesem Posten aus nicht mehr oder nur schwer verfolgen. Wer immer auf den Posten des Premierministers zustrebt, hätte mit dieser Wahl Fanfanis einen ernsten Konkurrenten aus dem Felde geräumt. Die Democrazia Cristiana hat zur Zeit zwei Eisen im Feuer: Entweder Verständigung mit den Kommunisten oder Blockierung der Regierungsbildung und Neuwahlen. Letztere würden wohl den Kommunisten noch weitere Stimmen bringen und die Sozialisten noch mehr schwächen, aber ebenso würden in der Stunde der Gefahr die Wähler der italienischen Rechtsparteien der DC eine absolute Mehrheit einbringen. Dann würde nicht die DC, sondern der ehrgeizige Lombardi im politischen Winkeri stehen müssen. Nenni, der seine politische Laufbahn begann, als er mit seinem Parteifreund Benito Mussolini 1914 die offizielle sozialistische Partei verließ, um für die Intervention Italiens in den ersten Weltkrieg zu agitieren, scheint diese schwierigen Verwicklungen der italienischen Innenpolitik gut zu durchschauen. Schade, daß ihm seine Partei nicht gefolgt ist.

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