Jakarta - © iqbal nuril anwar / Pixabay

Jakarta: Leben im Sumpf von "Jabodetabek"

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Indonesiens Ex-Machthaber Suharto trimmte den Großraum um Jakarta mit seiner Politik der "Neuen Ordnung" einst in Richtung Moderne. Auf die soziale und ökologische Verträglichkeit wurde dabei vergessen.

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Indonesiens Ex-Machthaber Suharto trimmte den Großraum um Jakarta mit seiner Politik der "Neuen Ordnung" einst in Richtung Moderne. Auf die soziale und ökologische Verträglichkeit wurde dabei vergessen.

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Malaria, Piraten und vernichtende Fluten: Was thematisch an einen Katastrophenfilm erinnert, bestimmte einst den Lebensalltag niederländischer Siedler in den Sümpfen Westjavas. "Batavia" nannten sie ihre bescheidene, 1619 gegründete Niederlassung der vereinigten Ostindischen Handelskompagnie. Seit der Unabhängigkeit Indonesiens heißt das Häusermeer Jakarta und wächst unaufhörlich - von 435.000 in den 1930ern auf derzeit offiziell knapp zehn Millionen Menschen, darunter viele Migranten. Im Sog der jungen Megastadt, die so gerne trendy sein will, lebt es sich aber nur für wenige tatsächlich so. Die Prognosen für den aus den Städten Jakarta, Bogor, Depok, Tangerang und Bekasi bestehenden Großraum Jabodetabek erwarten bis 2014 eine Verdopplung der Einwohner auf bis zu über 30 Millionen Menschen. Metro-Jakarta würde damit weltweit die siebentgrößte Agglomeration aufweisen. Unregierbar ist die Stadt infolge des bedingungslosen Industrialisierungsboom der 1990er Jahre schon jetzt.

Behälter für die Notdurft

Als Steuerzentrale und Wachstumsmotor des indonesischen Wirtschaftswachstums kämpft Jakarta heute mit den Geistern, die es rief. Lange Zeit galten Raumplanung und Infrastrukturkonzepte bestenfalls als lästige Anhängsel einer von Nepotismus und Korruption durchsetzten Stadtentwicklung, bei der politische Günstlinge Kanäle versetzen ließen und so lange phantastische Neustadtgründungen im labilen Küstenbereich der Jakarta Bay planten, bis die Wirtschaftskrise von 1998 die Seifenblase einer Global City unsanft zerplatzen ließ. Etwa zur selben Zeit fand auch die 32 Jahre andauernde Autokratie unter General Suharto ein rüdes Ende.

Auf den Hügeln südlich der Megastadt schufen private Investoren mit bewachten Wohngebieten für neue Mittelschichten und Globalisierungsgewinner in Allrad-Geländewägen semi-autarke Satellitenstädtchen. Die Armen sind in Kota und Umgebung geblieben - jenem alten Zentrum beim Segelfrachthafen Sunda Kelapa, wo nur mehr ein paar koloniale Amtsgebäude an Batavia erinnern. Auch wenn Malaria mittlerweile Vergangenheit ist, so sind die sanitären Verhältnisse der indonesischen Hauptstadt prekär: Ein Viertel der Einwohner benutzt bei der Verrichtung der Notdurft septische Behälter, der Rest Latrinen und Gräben an den Straßenrändern. Ein Drittel der Stadtbevölkerung ist gezwungen, die kontaminierten Entwässerungskanäle zur Reinigung von Kleidung und Körper zu nutzen. Jeder Zweite hat keinen Leitungswasser-Zugang. Eine Marginalisierung breiter Bevölkerungsgruppen ist nicht mehr zu leugnen, massive Segregations-Tendenzen sind unübersehbar: Bewahrheiten sich die jährlichen, mit sechs bis acht Prozent prognostizierten Zuwachsraten des Straßenverkehrs, werden sich Benzinverbrauch und Blei-Emissionen bis 2020 verneunfachen. Da U-Bahn-Pläne nie realisiert wurden, bleibt den meisten der rund 620.000 Pendler nur der tägliche Stau auf dem Flickwerk aus topmodernen Mautautobahnen und einspurigen Umfahrungen von Golfplätzen.

Noch in der Kolonialzeit konnte im Bereich des heutigen Zentralhafens Tanjung Priok Trinkwasser gewonnen werden. Heute sieht es anders aus: 2010 befand sich die Süßwassergrenze bereits 25 Kilometer landeinwärts. Die wasserführenden Schichten unter Jakarta sind vielfach salzwasserhältig, was auch die Statik der Downtown-Skyline zu untergraben droht. Halbfertige Wolkenkratzer drückten das ehemalige Sumpfland weiter nach unten, was den gesunkenen Grundwasserspiegel zunehmend neutralisiert. Hydranten- und Leitungswasser ist zudem fast ausnahmslos von Koli-Bakterien belastet. In den nördlichen Vierteln ohne adäquate Infrastruktur an der Jakarta Bay, den Kampungs, ist die Trinkwasserversorgung auch heute noch in Händen fahrender Händler. Städtische Kläranlagen vermochten vor knapp zehn Jahren lediglich 290 der täglich anfallenden 280.000 Kubikmeter Schmutzwasser wiederaufzubereiten. Heute sind zwar die Entsorgungskapazitäten höher, aber auch das Müllaufkommen der zunehmend globalisierten indonesischen Gesellschaft. Die Industrie ist nur zögernd zum Einbau von Filter-und Kläranlagen zu bewegen - warum auch, vielfach waren es ja gerade die international bescheidenen Umweltauflagen, die die Standortentscheidung zugunsten von Jabodetabek begünstigt hatten. Die Hochwässer der letzten Winter haben die lokalen Giftbrühen jedenfalls gerecht verteilt: Arm und Reich wateten gleichermaßen durch die trüben Kloaken.

Jakarta ist nicht zufällig, wie es ist: Die Attraktivierung Westjavas für umweltschädliche Produktionsprozesse hat die ökologische Degradierung so drastisch vorangetrieben, dass in der dicken Luft auch ein ökonomischer Bumerang hängt. Eine überdurchschnittlich hohe Kindersterblichkeit und enorme Anfälligkeit für virenbedingte, oft tödliche Verdauungs- und Kreislaufkrankheiten sind der Preis für das Leben in der Stadt. Tödliche Lungenerkrankungen stellen mehr als zehn Prozent der Todesursache, jeder achte stirbt an Durchfall und den Folgen.

Vom Boulevard zur Brühe

Aus den Penthäusern der funkelnden Glaspaläste internationaler Konzerne an der Jalan Sudirman lassen sich prächtige Fotos schießen vom Überlebenskampf unten in der braunen Brühe, die einst ein achtspuriger Boulevard war. Ganz allgemein ist die Attraktivität Jabodetabeks als internationaler Industriestandort gefährdeter denn je -auch ohne chinesische Konkurrenz. Die Kosten von Luftund Wasserverschmutzung überstiegen im Jahr 2006 bereits eine Milliarde US-Dollar.

Mehr Menschen bedeuten mehr Konsum, neue Begehrlichkeiten und alte Armut. Latente soziale Spannungen nähren die Fundamentalisierung im größten Moslemstaat der Welt, wo die Kluft zwischen einigen wenigen Siegern und sehr vielen Verlierern der neoliberalen Internationalisierung immer größer wird. Ohne bessere Lebensqualität für alle, kommunale Kooperation und transparentere Raumplanung droht ein traumatisches Erwachen. Der Stadtregierung steht das Wasser bis zum Hals. Reagiert sie künftig nicht effizienter, sind die sozialen Schleusen noch schwieriger zu schließen. Vor allem dann, wenn der gestaute Unmut einmal in Fluss geraten und das nächste Hochwasser damit vorprogrammiert ist.

Der Autor ist Geograph und Regionalforscher an der Uni Wien

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