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Jaruzelski - der rote Diktator

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Die Lage in und um Polen hat sich nach der Ausrufung des Kriegsrechts in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt. Blut floß, es gab Tote und Massenverhaftungen. Die Verantwortung dafür trägt zuvorderst der oberste Kriegsrechtverwalter des Landes, General Jaruzelski, der neue Diktator Polens. Wer ist dieser Mann?

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Die Lage in und um Polen hat sich nach der Ausrufung des Kriegsrechts in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt. Blut floß, es gab Tote und Massenverhaftungen. Die Verantwortung dafür trägt zuvorderst der oberste Kriegsrechtverwalter des Landes, General Jaruzelski, der neue Diktator Polens. Wer ist dieser Mann?

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Rätsel und Gerüchte umgeben die Lage in Polen, zumal die verhängte Nachrichtensperre es nicht zuläßt, sich ein genaues Bild über die Vorgänge im Land zu machen. Sicher ist, daß die Arbeiter in verschiedenen industriellen Zentren des Landes Widerstand leisten und daß Miliz und Armee mit äußerster Härte gegen diesen Protest vorgehen. Daneben haben sich auch die Gerüchte verdichtet, daß die im Lande stationierten rund 30.000 Sowjetsoldaten aktiv bei der Durchsetzung des Kriegsrechts mitwirken.

Rätsel umgeben indes auch den Lebenslauf jenes Mannes, der zur Zeit in Polen Geschichte macht: jenen General, der am 13. Dezember die Verhängung des Kriegsrechts über das Land bekanntgab. Geboren wurde der heutige Armeegeneral und Diktator von Polen Wojciech Jaruzelski, im Jahre 1923 in Kurow im Landkreis Pulawy nicht weit von Lublin. Seine Familie war streng katholisch: der Vater ein glühender Patriot, Schuldirektor im Ort und Mitglied der ländlichen Intelligenz.

Als die Truppen Hitlers und Stalins im September 1939 Polen überrannten und nach dem Sieg das Land aufteilten, fiel die Stadt Kurow in die sowjetische Besatzungszone. Auf Stalins Geheiß begann der sowjetische Staatssicherheitsdienst sofort mit der systematischen „Aussiedlung“ der polnischen Intelligenz, denn Moskau beeilte sich nach dem Sieg Ost-Polen als Teil von Weißrußland zu annektieren.

Der 19jährige Jaruzelski wurde, kaum daß er die Matura bestand, mit Zehntausenden von Landsleuten nach Sibirien deportiert. Seine Eltern kamen bei diesem Exodus um. In der Sowjetunion lebten die jungen Polen in Arbeitslagern und kamen erst frei, als Hitler die Sowjetunion angriff und Stalin die polnischen Deportierten infolge einer internationalen Abmachung für den Militärdienst in einer Polnischen Armee auf dem Territorium der UdSSR bereitstellte.

Jaruzelski erreichte diese Truppe erst 1943 und wurde, da es an geeigneten Offiziersanwärtern mangelte, sofort in eine Offiziersschule geschickt. Er war 21 Jahre alt als er in der polnischen Division „Dabwowski“ an den Kämpfen um die Befreiung Polens von den Deutschen teilnahm.

Nach dem Krieg verblieb er in der Polnischen Volksarmee. In die Kommunistische Partei trat er jedoch erst 1947 ein und bekleidete zwischen 1947 und 1960 verschiedene leitende Dienststellungen, darunter als Verwaltungschef in Militärakademien, Offiziersschulen und Kursen.

Bis in die oberste Armeehierarchie

Er war jedoch auch kurze Zeit als Divisionskommandeur tätig, und absolvierte die polnische Generalstabsakademie „Karol Swierczewski“ in Warschau. Von einem längeren Aufenthalt in einer Moskauer Militärakademie ist bei Jaruzelski nichts bekannt.

Es schien jedoch, daß seine Militärkarriere im Zenit der Gomulka-Ära (als man die Polnische Volksarmee von allen Generälen sowjetischer Herkunft säuberte) einen neuen Anlauf bekam. Jaruzelski wurde im für Osteuropa so schicksalhaften Jahr 1956 Generalmajor und 1960 betraute man ihn mit einer der wichtigsten politischen Aufgabe in der Volksarmee: der 37jährige wurde Chef der Politischen Hauptverwaltung im Verteidigungsministerium, mit anderen Worten: der Oberste Politoffizier der Polnischen Volksarmee!

Von diesem Zeitpunkt an waren die Weichen für den General bis in die oberste Armeehierarchie gestellt: 1965 gab er seine bisherige Dienststelle zu Gunsten des Postens des Generalstabschefs der Volksarmee ab, wurde gleichzeitig stellvertretender Verteidigungsminister und 1968 - nach den Unruhen in Warschau - Verteidigungsminister.

Jaruzelskis Parteikarriere sollte auch nicht unerwähnt werden. 1964 bekam er die Mitgliedschaft im Zentralkomitee der Polnischen Kommunistischen Partei und 1970 wurde er Kandidat des Politbüros, um ein Jahr später als Vollmitglied in das höchste Parteigremium des Landes, ins Politbüro einziehen zu können.

Zehn Jahre später übernahm Armeegeneral Jaruzelski nacheinander das Amt des Ministerpräsidenten und dann des Generalsekretärs der Polnischen Kommunistischen Partei — gewiß auf Geheiß Moskaus, wo man auf den jetzt zum Diktator von Polen auserkorenen Militär große politische Hoffnung setzt.

Er, der einstige Zögling einer katholischen Schule und Deportierte der Russen, soll den Sozialismus sowjetischer Prägung in Polen für die Sowjets retten. Genau so, wie dies vor ihm Walter Ulbricht (1953), Wladyslaw Gomulka (1956), Jänos Kädär (1956), Gustav Husak (1968) in der jedweiligen Schicksalsstunde der osteuropäischen Nationen - wiederum im Aufträge des Kremls - getan haben.

Die nahe Zukunft wird es zeigen, ob Armeegeneral Wojciech Jaruzelski, der keineswegs auf eigene Initiative und Überzeugung am 13. Dezember 1981 den Belagerungszustand über Polen verhängte und mit seinen ersten Maßnahmen bereits Marschall Pilsudskis Diktatur der spät- zwanziger Jahren übertrumpfte, die Hoffnung Moskaus zur Befriedung Polens in ihrem Sinne erreichen — oder, im Sog der Ereignisse, untergehen wird ...

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