Werbung
Werbung
Werbung

Südafrika plagen derzeit größere Sorgen, als Fußballweltmeister zu werden. Die Apartheid ist allgegenwärtig, Korruption, Armut und Kriminalität behindern den Fortschritt des Landes.

Jedes Jahr am 16. Dezember pilgern Zehntausende weiße Südafrikaner zu einem riesenhaften aus braunen Steinquadern gefügten Dom am Ufer des Blood-River im Nordwesten der Provinz Kwazulu-Natal. In dem Dom wird an diesem „Tag des Schwurs“ aus Tausenden Kehlen das Kriegslied der Buren angestimmt: „Wir liegen im Dunkeln und waten in Schlamm und Blut. Aber das Feuer brennt tief in uns.“

400 weiße Siedler hatten in der Schlacht am Blood River am 16. Dezember 1838 ein 10.000 Mann starkes Zulu-Heer niedergemacht. Die Zulus hatten sich unverwundbar geglaubt und waren nah an das Lager der Buren herangezogen. Doch gegen Kanonen und Gewehre kamen Speere und Lederschilde nicht an. 3000 Zulus wurden getötet.

Auf der anderen Seite des Blood River, den die Zulus Ncome nennen, besuchen jeden 16. Dezember Tausende schwarze Südafrikaner das „Ncome River Memorial“ zum Gedenken an die damals gefallenen Krieger und besingen den heldenhaften Kampf der Zulu-Nation. 1996, nach dem Ende des Apartheids-Regimes plante man die beiden Gedenkstätten mit einer Brücke über den Fluss zu verbinden, die Jahrestage der Schlacht sollten „Tage der Versöhnung“ heißen. Doch die Jahre verstrichen und nichts geschah, es gab keine gemeinsame Feier, die Brücke wurde nie gebaut. Nun ist ihr Fehlen das eigentliche Mahnmal am Blood River.

Südafrika feiert sich in diesen Tagen als Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft, als vor Lebenslust strotzende „Regenbogennation“, als führende Wirtschaftsmacht Afrikas. Unterfüttert wird das Selbstbild mit schönen Zahlen: Dass sich etwa das Durchschnittseinkommen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit seit 1994 verdreifacht hat. Dass drei Viertel aller Südafrikaner in Häusern mit Strom- und Wasseranschluss leben. Dass die Regierung unter enormen Aufwendungen einen Sozialstaat aus dem Boden stampfte, dessen Leistungen heute ein Drittel der Bevölkerung, 15 Millionen Menschen, über dem Existenzminimum hält. Das ist viel für ein Land, dessen Bevölkerungsmehrheit bis vor 16 Jahren von Bildung und Politik völlig ausgeschlossen war, in dem mehr als 20 Ethnien mit 16 Religionen und elf Amtssprachen nebeneinander leben. Aber reicht der Fortschritt angesichts sich türmender Probleme?

Die Apartheid ist jedenfalls in mehrfacher Hinsicht nicht bewältigt. Das zeigte sich im April, als Hunderte weißer Apartheid-Anhänger den ermordeten Rechtsradikalen Eugène Terre’Blanche mit zum Hiltergruß gerecktem Arm zu Grabe trugen. Wann immer sich Reporter im Vorfeld der Weltmeisterschaft in die Nähe der weniger gut beleumundeten Vororte der großen Städte wagten, bekamen Sie freimütigste Tiraden gegen „dreckige Kaffer“ zu hören. Umgekehrt trällert der Jugendführer der Staatspartei ANC, Julius Malema, gerne ein Liedchen mit folgendem Text: „Tötet den weißen Farmer, tötet den Boeren.“

Einkommens-Ungerechtigkeit

Auch wirtschaftlich erweist sich die Apartheid als äußerst zählebig. Weiße verdienen im Schnitt immer noch sieben mal mehr als Schwarze. Noch immer gehören mehr als 75 Prozent des fruchtbaren Landes weißen Farmern, 80 Prozent der reichen Minengesellschaften sind im Besitz Weißer.

Andererseits haben einige schwarze Unternehmer, die gute Beziehungen zum allmächtigen African National Congress unterhalten, Milliarden verdient. Südafrikas Medien sprechen von den „schwarzen Oligarchen“. Allein die Familie des Präsidenten Jacob Zuma gründete in den vergangenen Jahren nicht weniger als 134 Firmen.

Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte haben einschneidende Folgen: Südafrika zählt heute zu den Ländern mit der größten Einkommens-Ungerechtigkeit der Welt. Im Human-Development-Index der UNO, der den Entwicklungsstand eines Staates in Bildung, Gesundheit und Lebensstandard misst, belegt Südafrika den 129. Platz von 182 Staaten. Dazu kommt noch eine weitgespanntes Netz von Korruption. Der Chef der Antikorruptionsbehörde Südafrikas, Willie Hofmeyr, spricht von 400.000 Offiziellen, die sich Staatsleistungen zuschanzen, die ihnen eigentlich nicht zustehen. Und es sind nicht nur die niederen Chargen, die sich bereichern. Ein Drittel der 83-köpfigen ANC-Führung war in Korruptionsverfahren involviert. Zuletzt wurde ruchbar, dass aus einem Drei-Milliarden-Dollar-Kredit der Weltbank 100 Millionen in die Taschen von ANC -Mitgliedern geflossen sind.

Während wenige Schwarze und Weiße die Revenuen einstreifen, zeigt sich in den Townships der großen Städte das hässliche Gesicht Südafrikas. Dort leben die Menschen, zunehmend auch weiße Südafrikaner von weniger als zwei Dollar pro Tag. Arbeit gibt es kaum. Bis zu 35 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos, 12 Prozent der Südafrikaner können weder lesen noch schreiben. Der Chancenlosigkeit folgt die Kriminalität auf den Fuß: Pro Tag gibt es in Südafrika 50 Morde, 100 Vergewaltigungen und 330 bewaffnete Raubüberfälle. Gemäß einer Umfrage fühlen sich zwei Drittel der Südafrikaner nachts „sehr unsicher“. Aids tut sein Übriges: Es hat die Lebenserwartung in den vergangenen 20 Jahren um 13 Jahre sinken lassen. John Kane-Berman, der Direktor des staatlichen Instituts für Rassenbeziehungen, sieht gefährliche Entwicklungen auf das Land zukommen: „Wir sind auf dem Weg zu einer gescheiterten Gesellschaft. Hier geht so viel gleichzeitig schief, dass sich die Probleme gegenseitig verstärken.“

Die WM der Reichen

Die Fußballweltmeisterschaft hat diese Probleme noch weiter zugespitzt. Um die Gesichter des Elends von den internationalen Berichten fernzuhalten, haben sich etwa Johannesburg und Kapstadt zur „Absiedelung“ von Tausenden Armenfamilien entschlossen. Wer nicht freiwillig geht, kann es schon auch mit Schlägertrupps zu tun bekommen. Begründung eines Sprechers der Stadt Johannesburg: „Bevor Gäste kommen, muss man sein Haus aufräumen.“ Die Regierung hilft dabei mit 44.000 neuen Polizisten mit. Die WM als Geschäft für das Land? Wohl kaum. Nach jüngsten Berechnungen dürften drei Milliarden Dollar Minus aufseiten Südafrikas zu Buche schlagen. Und das bei einer Neuverschuldung von 7,3 Prozent des BIP. Dem Milliarden-Verlust Südafrikas steht ein 2,5-Milliarden-Gewinn des Weltfußballverbandes FIFA gegenüber. Das Großkapital fordert Opfer: Um ihre Lizenzpartner (Coca-Cola, Budweiser etc.) zu schützen, lässt die FIFA am Existenzminimum lebende Eisverkäufer und Getränkehändler von den Plätzen vor den Stadien vertreiben.

In einem Monat wird ein neuer Fußballweltmeister gekürt sein. Dann wird Südafrika die bunten Fahnen einrollen. Die eigens eingesetzten Schnellgerichte gegen Kriminelle werden ihre Tätigkeit einstellen. Die delogierten Slumbewohner werden in ihre Townships zurückkehren. Und jenseits des Regenbogens, am Blood River werden sie wieder Kriegslieder singen, Weiß und Schwarz getrennt und gegeneinander über das „Waten in Schlamm und Blut“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung