"Jetzt wäre die Zeit für Kontakte"

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Die Debatte. Zu Recht in der Isolation?

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Die Debatte. Zu Recht in der Isolation?

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ZUM THEMA Zum Paria geworden?

Damit hat wohl kaum jemand gerechnet. Die scharfe Mißbilligung der ÖVP-FPÖ-Regierung durch die 14 EU-Partnerländer traf Österreich wie ein Keulenschlag. Prosteste aus Israel und den USA wiegen genauso schwer, waren aufgrund vorangegangener Drohungen jedoch eher absehbar. Die EU-Schelte kam hingegen unvermittelt und macht aus dem europäischen Musterschüler einen Außenseiter. Beide Perspektiven, die weltweite und die europäische, sind Thema dieser Furche-Debatte: Der gebürtige Wiener und 1938 von Österreich nach Palästina geflüchtete Journalist Ari Rath erklärt - mit sozusagen zwei Herzen in seiner Brust - die resolute Haltung Israels, und der Linzer Völkerrechtler Heribert F. Köck fragt nach der Legitimität der EU-Sanktionen.

WM Zwischen dem Tadel an das offizielle Österreich und den aufrechten Demokraten im Land ist klar zu unterscheiden.

Von Ari Rath Nur wenige Tage nach der Angelobung von Österreichs neuer ÖVP-FPÖ Regierung ist es vollkommen klar, wer die Zügel dieser rechtskonservativen Koalition wirklich in der Hand hält. In allen öffentlichen Auftritten und Funksendungen richten sich die Scheinwerfer nur auf einen Mann: Jörg Haider.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel versucht zwar auch, die Aufmerksamkeit Europas und der Welt mit seinen Beteuerungen für Toleranz und Menschenrechte zu gewinnen, doch es gelten Haiders Worte. Und diese klingen klar und laut, auch wenn Herr Haider sich bemüht, die Maske eines angeblichen Demokraten zu tragen.

So erklärte er letzten Sonntag in Berlin, daß die vertriebenen Sudentendeutschen dieselbe Entschädigung bekommen sollten, wie die von den Nazis verfolgten Juden. Derselbe Vergleich gilt in Haiders Auffassung auch für österreichische Wehrmachts-Kriegsgefangene in der Sowjetunion.

Es gab kaum jemals den Fall in einer Demokratie, daß ein führender Politiker einer Partei, der selbst nicht in der Regierung sitzt, derjenige ist, der sämtliche Koalitionsvereinbarungen unterschreibt. Doch das ist der beste Beweis, daß die Macht der neuen Regierung bei Haider liegt, und daß Wien jetzt von Klagenfurt aus regiert werden wird. Die Bildung dieser neuen Regierung selbst ist eigentlich eine Usurpation der üblichen Vorgänge, eine Art von Papierputsch hinter dem Rücken von Bundespräsident und SPÖ, von der bis jetzt sehr wenig zu hören ist.

Doch jetzt muß sich die Welt mit Österreichs neuer politischer Realität auseinandersetzen, und das bedeutet den Versuch, zwischen den wahren demokratischen Gruppen und Elementen des Landes und der Haider-Regierung zu unterscheiden. In einer offiziellen Erklärung beteuert die israelische Regierung, daß solche Phänomene nicht akzeptabel sind: "Diese haben keine Rechtfertigung, und wir sollen versöhnenden Worten nicht glauben, die eine Ideologie, die Haß und Rassismus befürwortet, decken. Das ist ein schwarzer Tag für Österreichs Demokratie, die erleuchteten Nationen der Welt sind aufgerufen, gegen dieses Phänomen zu handeln und es zu denunzieren."

In der Tat schwerwiegende und außergewöhnliche Worte, mit denen sich der Staat Israel kein Blatt vor den Mund nimmt. Doch auch die heutige politische Lage in Österreich ist höchst außergwöhnlich. Denn die Beteiligung und eigentlich führende Rolle einer rechtsradikalen Partei an der Regierung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union könnte schlimme Folgen auch für andere Staaten haben.

Es ist sicherlich kein Zufall, daß gerade aus Berlin so strenge Worte gegen Haider und die neue Regierung in Wien kommen, denn die deutsche Bundesrepublik hat sich schon seit Jahrzehnten bemüht, sich auf verschiedenen Wegen mit ihrer Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Das ist der große Unterschied zwischen Deutschland und Österreich, und Haiders steigende Popularität ist das direkte Resultat dieser jahrelangen Verdrängung der eigenen Vergangenheit.

Israels Minister für Beziehungen mit der Diaspora, Rabbiner Michael Melchior, hat die Wichtigkeit betont, zwischen dem Tadel an das heutige offizielle Österreich und den wahren demokratischen Elementen klar zu unterscheiden. Gerade jetzt wäre die Zeit, Kontakte mit Jugendgruppen und Gewerkschaften zu vertiefen, um sie von den Gefahren des wachsenden Rassismus und Fremdenhasses zu warnen.

Bei seinem Staatsbesuch in Israel vor bald sechs Jahren hat der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem den folgenden Spruch eingetragen: "Die Gefahr ist noch nicht gebannt, wir müssen wachsam sein." Leider war Österreich nicht wachsam genug.

Der Autor ist Publizist und Friedensaktivist in Jerusalem. Rath, 1925 in Wien geboren, ist 1938 nach Palästina emigriert und war von 1975-89 Chefredakteur der Jerusalem Post.

Die EU ist zu wechselseitiger politischer Verantwortung legitimiert. Abzulehnen ist nur ein ungerechtfertigtes Exempel.

Von Heribert Franz Köck Wer in einem Staat regiert, war der internationalen Gemeinschaft nie völlig gleichgültig; daher kennt das Völkerrecht neben der Anerkennung von Staaten auch jene von Regierungen. Unstrittiges Kriterium dafür ist deren Effektivität und die Bereitschaft, die völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Inwieweit die Regierung einer weiteren Legitimierung bedarf, ist umstritten. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens scheint die Tendenz dahin zu gehen, nur noch Staaten und Regierungen anzuerkennen, die eine demokratische Grundlage haben und rechtsstaatliche Mindestgarantien (Achtung der Menschenrechte) geben. Auch die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas müssen sich hier bewähren, bevor sie mit einer Aufnahme in die EU rechnen können. Diese beruht nach Artikel 6 Europäischer Vertrag (Amsterdamer Fassung von 1997) auf den Grundsätzen von Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Der Umstand, daß die EU also (auch) eine Wertegemeinschaft und jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates gleichzeitig EU-Bürger ist, begründet ein legitimes Interesse aller EU-Staaten an den inneren Verhältnissen jedes einzelnen von ihnen.

Die Verhängung von Sanktionen seitens der Gemeinschaft ist nach Artikel 7 EUV nur bei Verletzung der genannten Grundsätze vorgesehen. Für sonstige Gemeinschaftsrechtsverstöße gibt es die Vertragsverletzungsklage beim Europäischen Gerichtshof samt möglicher Verhängung eines Zwangsgeldes. Auf nicht rechtswidrige, sondern bloß politisch unerwünschte Vorgänge können nur die Mitgliedstaaten als solche mit der Anwendung von politischem Druck reagieren. Dies setzt nach dem Geist des EUV voraus, daß zuvor in einer Haltung gegenseitiger Loyalität gemeinsam mit dem betreffenden Staat eine einvernehmliche Lösung gesucht wurde. Allfällige Pressionen können daher nur die ultima ratio bilden; sie müssen von ihrem Anliegen (Abwendung eines alle bedrohenden politischen Schadens) her gerechtfertigt und für den angestrebten Zweck verhältnismäßig sein. Eine solche Wahrnehmung wechselseitiger politischer Verantwortung kann in einer Wertegemeinschaft wie der EU nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates angesehen werden, wenn die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Ist dies beim Vorgehen der übrigen EU-Staaten gegen Österreich wegen einer Regierungsbeteiligung der FPÖ der Fall? Ob die FPÖ eine rechtsextreme oder bloß eine rechtspopulistische Partei und wieweit es gerechtfertigt ist, sie nicht an ihren zukünftigen Regierungstaten, sondern an vergangenen Verbalentgleisungen ihrer Exponenten zu beurteilen, kann hier nicht ausdiskutiert werden. Nicht bestreiten läßt sich aber, daß die Regierungsbeteiligung extremer Parteien in anderen EU-Staaten (Neofaschisten in Italien, Kommunisten in Frankreich) bisher keine vergleichbaren Reaktionen hervorgerufen hat. Dieses Messen mit zweierlei Maß nährt die Vermutung, die angedrohten Sanktionen könnten noch andere Gründe haben (etwa Schützenhilfe für die von der Macht verdrängte SPÖ; es wird Historikern vorbehalten sein, zu beurteilen, wieviel von der angedrohten Isolierung Österreichs hausgemacht ist).

Die (Über-)Eile, mit der die Erklärung der Vierzehn zustande gekommen ist, ohne daß Österreich oder dessen neue Regierung die Möglichkeit zur Darlegung des eigenen Standpunktes gegeben wurde, ist mit dem Begriff der guten Partnerschaft unvereinbar. Nur wer mit dem anderen redet, kann ihn überzeugen. Gelingt dies nicht, und verbreitet sich hierzulande die Überzeugung, daß an Österreich bloß ein Exempel statuiert, das Land zur Bewältigung von Problemen, die es (auch) anderswo gibt, instrumentalisiert werden sollte, so wäre dem Gedanken der europäischen Zusammengehörigkeit in solidarischer Verantwortung schwerer Schaden zugefügt.

Der Autor lehrt Völker- und Europarecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz. O.Univ.Prof. Dr. Heribert Franz Köck M.C.L. lehrt Völkerrecht und Europarecht an der Johannes Kepler Universität Linz.

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