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Juan Boschs Demokratie

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vonnen, die Konservativen hingegen 566 verloren. Nach den Worten von Mr. Len Williams, dem Generalsekretär der Arbeiterpartei, hätte ein Nettogewinn von 500 kaum eine Bedeutung gehabt, da er gegen 1957 einen Zuwachs von bloß 60 Sitzen dargestellt

hätte. Mit einem tatsächlich errungenen Vorsprung von rund 330 Mandaten können die Wahlstrategen im Transporthaus aber durchaus zufrieden fein und der kommenden Parlamentswahl zuversichtlich entgegensehen.

Hätte eine Unterhauswahl stattgefunden, so wäre aus dieser Abstimmung die Labour-Party mit 54 Prozent und die Konservativen mit 46 Prozent hervorgegangen. Nach dem englischen Wahlsystem hätte die Labour-Party somit eine Mehrheit von fünfzig Mandaten im Unterhaus.

Keine Vergleichsmöglichkeit mit 1959

Den Konservativen nahestehende Publizisten weisen darauf hin, daß die Stimmenverluste der Tories in den letzten drei Nachwahlen nur das wirtschaftliche Klima widerspiegeln. Auch während der Rezession 1957/58 war der überwiegende Teil des Landes gegen die Konservativen gewesen, und damals hätten die Nachwahlen zu ähnlichen Stimmenrückgängen geführt. Trotzdem erzielte die konservative Mannschaft um Macmillan 1959 dann einen überwältigenden Erfolg. Der für die Regierungspartei katastrophale Ausgang der letzten Gemeindewahlen ließe sich zum Teil aus der gedämpften Lage der Wirtschaft, vor allem aber

aus der hohen Winterarbeii. . ^keit und den unpopulären Erhöhungen der Abgaben für Häuser und Wohnungen erklären. Unabhängige Kommentatoren räumen ein, daß an dieser Argumentation etwas Wahres sei. „Man müsse aber das ganze Bild betrachten und nicht nur Ausschnitte davon“, betonen sie in ihren Leitartikeln. Gegenüber 1959 habe sich die Lage in mehr als einer Hinsicht geändert:

• 1. Die Sozialisten bieten nicht mehr den Eindruck einer in sich zerrissenen Partei;

• 2. Die „Stop-Go“-Wirtschaftspolitik der Regierung habe die Wirtschaft Großbritanniens nicht so rasch wachsen lassen wie jene Westeuropas;

• 3. Eine Häufung der Spionageaffären in jüngster Zeit erschütterte das Vertrauen vieler Wähler in die Verteidigungsbereitschaft.

Ein Boulevardblatt mit großer Auflage stellte deshalb fest: „The tide is against Mac“ (Macmillan schwimmt gegen den Strom). Und mit dieser Phrase dürfte der Kern der politischen Lage getroffen sein. Was immer die Konservativen in letzter Zeit unternahmen, die öffentliche Meinung war nicht mehr bereit, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Weder das von Fachleuten als „ausgezeichnet“ bezeichnete Budget Schatzkanzlers Maud-lings, die geschickte Taktik des Luftfahrtsministers Mr. Amery im Konflikt um die Flugtarife im Transatlantikverkehr noch die ohne Zweifel während der elfjährigen Torieherrschaft erzielten Erfolge konnten die Trübung beseitigen. Niemand will plötzlich etwas davon wissen, daß die Masseneinkommen seit 1951 real um 40 Prozent gestiegen sind, daß mit Ausnahme des letzten Winters die Rate der Arbeitslosigkeit kaum drei Prozent überstiegen hat und daß Großbritannien, genau genommen, bei den Entscheidungen der Weltpolitik eine Rolle

spielte, die nicht mit seinen verhältnismäßig geringen materiellen Grundlagen in Einklang stand.

Mr. Utley blieb mit einer Abhandlung im konservativen „Spectator“ ein verzweifelter Rufer in der Wüste. Die psychologisch schwierige Situation

jeder englischen Regierung wird einfach nicht zur Kenntnis genommen. Der einfache Mann, vor allem aus den provinziellen Kleinstädten, liebt es, sich und andere darüber hinwegzutäu-

schen, daß Großbritannien eben keine erstrangige Macht wie vor dem letzten Krieg mehr ist.

Zu allem kommt die Taktik Harold Wilsons, der in einem Interview in den USA öffentlich erklärte: „England ist eine zweitklassige Macht.“ 'Er ließ durchblicken, daß es durch konservative Schuld dazu wurde. Noch nie haben die Tories so heftig wie auf diesen Vorwurf reagiert. Denn sie wissen, daß nichts tödlicher für sie ist, als wenn die Wählerschaft, von den Sozialisten gesteuert, das gleiche Urteil fällt. Keine Macht der Welt könnte dann eine schwere Niederlage der Regierungspartei in den bevorstehenden Wahlen verhindern.

Der Oppositionsführer scheint jedenfalls gewillt zu sein, die Wahlstrategie des amerikanischen Präsidenten Kennedy in England zu wiederholen. Wie Kennedy dürfte auch er der Nation

ngeschminkte halbe Wahrheiten agen, die an den Nerv des britischen Jationalstolzes rühren. Ob die Wäh-:r sich entsprechend den sozialisti-:hen Erwartungen verhalten werden, !t noch offen. Einzelne Publizisten alten es für möglich, daß sich die 'aktik des Oppositionsführers als iumerang erweist. Dies verhindert ber nicht, daß in' der britischen nnenpolitik eine Stimmung förmlich reifbar wurde, in der alle, Politiker, Virtschafts- und Gewerkschaftsführer owie vermutlich auch der innere Creis um Macmillan, eine konserva-ive Wahlniederlage zumindest für löglich halten, wenn nicht sogar erwarten.

Steht England vor einer sozialisti-chen Dekade, vor einer Ära Wilsons? )er Herbst, spätestens der Frühling 964 wird die Antwort auf diese

In den zwei Tageszeitungen von Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, erscheinen laufend bezahlte Annoncen von politischen Parteien oder Privatpersonen, die lobend oder kritisch zu der Politik des neuen Staatspräsidenten, Juan Bosch, Stellung nehmen. Noch viel wirksamer in einem Land von fast 60 Prozent Analphabeten sind die Sendungen der privaten Radiostationen, über die jeder, der es zu zahlen vermag, seine Meinung über alle öffentlichen Fragen äußern kann. Diese Art der „direkten Demokratie“, von der häufig mit tropischer Übertreibung Gebrauch gemacht wird, ist keineswegs nur ein Sicherheitsventil, um den Unmutsdampf der Bevölkerung abzulassen. Die Presse- und Radiokampagnen wirken vielmehr direkt auf die Politik ein, und auch mußte so Boschs Wirtschaftsminister zurücktreten, um sich vor Gericht von dem Vorwurf der Korruption zu reinigen.

Kampf der Caudillos

Die Möglichkeit, außerhalb des Parlaments öffentlich auf die Politik ' Einfluß zu nehmen, ist in 'einem Staat besonders wichtig, wo dem Präsidenten verfassungsgemäß außerordentlich weitgehende Vollmachten zustehen und wo zudem das jetzige Staatsoberhaupt die absolute Mehrheit in Senat und Deputiertenkammer hat. Denn Boschs „Dominikanische Revolutionspartei“ (PRD) verfügt über 22 von 27 Sitzen im Ober- und über 49 von 7.3 im Unterhaus. Damit könnte der Präsident leicht ein persönliches Regime errichten, wenn eben die öffentliche Kritik nicht wäre, die Bosch, gemäß seinem Versprechen, Staatschef aller Dominikaner zu sein und kein Einheitsparteisystem einzuführen, bis jetzt strikte respektierte.

So hat die Opposition jede Freiheit, sich zu betätigen. Nach Boschs Amtsantritt schlössen sich die vier wichtigsten Parteien, die den Präsidentschaftskandidaten Bosch bekämpft hatten, zu einer „Revolutionären demokratischen Aktionsfront“ zusammen. Dabei ist es unzulänglich, Boschs PRD als linkssozialistisch, die Opposition als bürgerlich zu bezeichnen. Der politische Kampf in der Dominikanischen Republik ist vielmehr ein Kampf zwischen „Caudillos“, Führern, samt ihrem persönlichen Anhang. Die Ideologie tritt in den Hintergrund. Darum lauten auch die Programme aller Parteien fast gleich, und überall ist von Revolution, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit die Rede.

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