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Kampf derKulturen

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Wir leben, nach Samuel Huntington, seit dem Ende der Kolonial reiche nach wie vor in einer Welt zumeist selbständiger Staaten. Dank vieler erfolgreicher Unabhängigkeitsbewegungen sind es mehr als 180, große und kleine. Die meisten von ihnen sind stolz auf ihre Souveränität, obschon es vielerlei Formen der Verflechtung und der Abhängigkeit gibt, und in zunehmendem Maß auch Tendenzen, die den Staaten das Leben schwer machen: etwa den internationalen Terrorismus, die grenzüberschreitende Großkriminalität, den Abbau der Hemmschwelle gegenüber der Gewalt.

Aber die wirklich bestimmenden Kräftefelder sind andere: Bis zum Zusammenbruch des Kommunismus bestimmte der Ost-West-Konflikt die weltpolitische Dynamik; nun bildet sich ein multipolares Konfliktsystem heraus, dessen „Subjekte“ staatenübergreifende „Civilizations“ sind, wie sie vor Jahrzehnten schon Arnold Toynbee nannte; die Übersetzer ins Deutsche verwendeten bereits damals den Ausdruck „Kulturen“. Von „Subjekten“ kann man aber nur in Anführungszeichen sprechen, denn Kulturkreise sind als solche keine handlungsfähigen Einheiten, sondern Komplexe von großen gemeinschafts-stiftenden Weltanschauungen, Einstellungen und Ordnungsmustern für das Zusammenleben; sie begründen zwar ein transnationales Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, aber nicht unbedingt auch politische Einheit. Dazu wären entweder staatenübergreifende Institutionen nötig, oder eine dominierende, im ganzen Kulturkreis als solche akzeptierte Führungsmacht.

Huntington zählt acht solche Kulturen auf: die westliche, die lateinamerikanische, die orthodoxe, die konfuzianisch-chinesische („sinisch“ nennt er sie in seinem Buch), die islamische, die hinduistische, die afrika nische und die japanische. Einige davon haben eine Führungsmacht; solche „Kernstaaten“ (in Huntingtons Sprache) sind die USA (für den Westen), Rußland (für die orthodoxe Zivilisation), China und Indien. Südafrika könnte zum „Kernstaat“ des schwarzen Erdteils werden; um die Führung der islamischen Welt gibt es einen noch unentschiedenen Wettbewerb; Lateinamerika ist stark mit Nordamerika verknüpft, könnte also (als einzige der heute nichtwestlichen Zivilisationen) „verwestlicht“ werden, vor allem auf Grund der Verbreitung des Christentums und der spanischen beziehungsweise der portugiesischen Sprache. Sprache und vor allem Religion stiften nämlich kulturelle Verbundenheit.

Aber warum ist diese so wichtig? Die wichtigste Frage, auch für Gemeinschaften, sei die nach der eigenen Identität: Wer sind wir? Wohin gehören wir?

Politik werde in Zukunft immer wieder auch auf Identitätsstabilisierung abzielen, nicht nur auf die Durchsetzung von Interessen. Das bedeutet dann auch die Unerläßlichkeit von Feindbildern: „Hassen ist menschlich. Die Menschen brauchen Feinde zu ihrer Selbstdefinition und Motivation“ (S. 202), „Wenn wir nicht hassen, was wir nicht sind, können wir nicht lieben, was wir sind“ (S. 18). Deswegen spiele die Religion die Schlüsselrolle als „Hauptunterscheidungsmerkmal von Kulturen“ (S.413). Sie sei „... eine zentrale, vielleicht sogar die zentrale Kraft, welche die Menschen motiviert und mobili siert“ (S. 93); religiöse Unterschiede seien die tiefgreifendsten, die es zwischen Menschen geben kann (S. 414); die Religion biete „die gewisseste und stabilste Rechtfertigung für den Kampf gegen ,gottlose' Mächte, die als bedrohlich empfunden werden“, und überdies sei die um eine Weltreligion zentrierte Kulturgemeinschaft die größte Einheit, deren Solidarität man in Not und Gefahr beschwören kann.

So würden in der Welt von morgen die gefährlichsten Konflikte nicht etwa um die Interessen von sozialen Klassen, wirtschaftlichen Machtgruppen oder Nationen stattfinden, oder im Zeichen politischer Ideologien wie in der jüngsten Vergangenheit, sondern zwischen Völkern und Gruppen aus unterschiedlichen Kulturen, die jeweils von „ihren“ Glaubens- und Kulturgeschwistern unterstützt werden. Der Autor selbst hat in einigen Sätzen die Thesen, die sich um diese Zentralaussage herumgruprjieren, zusammengefaßt (siehe nebenstehenden Kasten).

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