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Kanadischer Wahlkampf

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„Könnte Pearson zu jedem Wähler persönlich sprechen, wäre uns der Sieg am 8. April sicher!“ behaupten prominente Liberale. Tatsächlich ist ihr Parteiführer Lester B. Pearson in kleinen Gruppen weit überzeugender als in Großversammlungen oder vor den Fernsehkameras. Pearson sagt sehr freimütig: „Ich hatte das schlechteste

Training für einen Politiker ... Zuerst war ich Universitätsprofessor, dann Staatsbeamter und schließlich Diplomat ...“

Anderseits genießt der Friedensnobelpreisträger und frühere Außenminister in allen Kreisen der Bevölkerung bedeutendes Prestige. Auch an Schlagfertigkeit mangelt es ihm nicht. Als er etwa in einer Wahlversammlung in der Universitätstadt London (im westlichen Ontario) die in vielen Sphären unentschlossene Regierungspolitik angriff, schrie ein Zwischenrufer: „Wir hatten es nie so gut!“ Pearson antwortete schnell: „Sagen Sie das unseren 541.000 Arbeitslosen.“ Wirft man Pearson vor, daß er den Amerikanern gegenüber „zu weich sei“, zitiert er Robert Thompson,' den Führer der Social Credit Partei, der kürzlich die „klassische“ Bemerkung machte: „Die Amerikaner sind unsere besten Freunde — ob wir es nun wollen oder nicht!“

Liberale Minderheitsregierung

Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die Liberalen aus dem Wahlkampf als stärkste Partei hervorgehen werden. Allerdings wird nicht selten bezweifelt, daß es Pearsons Partei gelingen wird, die Mehrzahl der 265 Mandate zu erobern. Eine vielbeachtete Befragung von 29 Redakteuren in der riesigen, vorwiegend von französisch sprechenden Kanadiern bewohnten Provinz Quebec, ergab die Wahlvorhersage für den 8. April: 113 Liberale, 83 Konservative, 46 Social Creditler, 23 New De-mocrats. Dies würde die Bildung einer liberalen Minderheitsregierung ermöglichen, die auf die Unterstützung der linksstehenden New Democrats zählen könnte. Wohl wird eine Beteiligung an dem Kabinett von den New Democrats (deren Politik jener der britischen Labour Party entspricht) nicht erwogen, doch nach der vierten Wahl seit

1957 wird sich keine Partei eine Obstruktionspolitik leisten können.

Premierminister John D i e f e n-b a k e r, der konservative Regierungschef, der seit 1957 Kanadas Geschicke lenkt, geht als Außenseiter in den Wahlkampf. Sein stetes Zaudern in Fragen von vitalster Bedeutung, wie in der Sphäre der Atomwaffen, hat zur

Demission seiner populärsten Minister, zur Feindseligkeit konservativer Zeitungen und zu einer Animosität der Vereinigten Staaten geführt. „Ich bin pro-kanadisch — nicht anti-amerikanisch“, erklärt der Siebenundsechzig-j ährige.

„Alle sind gegen Diefenbaker — nur das Volk ist für ihn!“ behaupten die Freunde des Premierministers. Duff R o b 1 i n, Manitobas konservativer Premier, sagte in einer Massenversammlung in Winnipeg über ihn: „Niemals in der Geschichte dieses Landes wurde ein Premierminister derart verleumdet und beleidigt wie dieser Mann. Ich aber sage zu den Bewohnern von Westkanada: Unterstützt die beste Regierung, die wir .Westerners' jemals hatten!“

Weizen für Rotchina

Nach wie vor ist Diefenbaker Stärke vor allem in den Prärieprovinzen Saskatchewan, Alberta und Mani-toba und ganz allgemein in den ländlichen Wahlkreisen, wo sein nationalistischer Kurs — Washington gegenüber — populärer zu sein scheint als in den Städten. Zudem sind Kanadas Weizenverkäufe an Rotchina und andere kommunistische Länder im „Goldenen Westen“ ein Wahlschlager ersten Ranges.

Pearsons Stärke ist in den großen Städten und in Neufundland, Quebec, Ontario und vielleicht auch in Neu-braunschweig. Ob es zu einer absoluten Mehrheit der Liberalen kommt, mag sich in Quebecs 75 Wahlkreisen entscheiden. Hier liegt das Rennen zwischen den Liberalen und der „Social Credit'-Partei unter Real C a o u-e 11 e, dem demagogischen Autohänd-Ier aus Rouyn, der besonders in den ärmeren Gebieten, bei den „Hinterwäldlern“, populär ist. Tommy Douglas sagt über Caouettes Partei: „Social Credit versucht, Geld von den Reichen und Stimmen von den Armen zu bekommen — mit dem Versprechen, die einen vor den anderen zu schützen ...!“

Douglas, ein schmächtiger Schotte mit viel Sinn für Humor, war viele Jahre Premier der „Weizenprovinz“ Saskatchewan und derart der einzige sozialistische Regierungschef Nord-amer! as. Fra?t man ihn, ob er „anti-amerikanisch“ sei, weist Douglas darauf hin, daß zwei Drittel der kanadischen Wirtschaft Eigentum der Amerikaner sind. Sodann rispostiert der Führer der „New Democrats“ mit den Worten:

„Ich habe die Vereinigten Staaten so gerne wie meine Verwandten. Aber ich möchte doch nicht, daß die Verwandten in meinem Haus Zimmer um Zimmer in Anspruch nehmen — bis ich in der Garage schlafen muß ...“

Gute Kadidaten sind rar

Ein Anzeichen, daß die Liberale Partei als Favorit in den Wahlkampf ging, war die Tatsache, daß ihre Kasse besser gefüllt war als jene der Konservativen. In Kanada hat es die Partei mit den besten Chancen gewöhnlich leichter, Geldmittel zu erhalten. Die liberale Kampagne, besonders in der Presse, setzte denn auch früher ein und war — dem Anschein nach — kostspieliger. Zudem hatten es die Konservativen in manchen Wahlkreisen schwer, gute Kandidaten zu finden — selbst in Toronto, das bis zum Vorjahr als Hochburg der Partei galt.

Kennzeichnend für die Spaltung in den Reihen der Konservativen war die Demission des Handelsministers Hees, der als „Kronprinz“ der Partei bezeichnet wurde und der Landesverteidigungsminister Harkness und Sevigny; drei andere Minister — Fleming. Fulton und Ha 1 b-p e n n y — kandidieren nicht mehr.

Sollten die Konservativen — allen Erwartungen zum Trotz — als stärkste Partei in das Parlament einziehen, könnten sie wohl auf die Unterstützung der Social Credit Fraktion rechnen, welche die Wirtschaft mit Hilfe der Notenpresse ankurbeln will. Verständlich, daß „Social Credit“ die „funny money party“ — die Partei mit dem „komischen Geld“ — genannt wird.

Obwohl erfahrene politische Analysten glauben, daß die Liberalen Kanadas nächste Regierung bilden werden, mag gaT mancher „forecaster“ an die Worte denken, die Sir John A. Macdonald, Kanadas erster Premierminister, Anno 1882 sprach: „Eine Wahl ist wie ein Pferderennen. Am Tag nachher weiß man mehr darüber!“

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