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Kandidaten, Wahlen, Mandatare

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In der modernen Demokratie ist das Fraktion dieser Partei zu bestimmen.

Ideal der Volksherrschaft zwangs- Aber trotz dieses Einwandes erhofft der

läufig weitgehenden Einschränkungen Staatsbürger beim Wort „Wahl“ doch

unterworfen. Faktisch ist die Teilhabe immer noch wenigstens einen Rest der des einzelnen an dieser Herrschaft auf die Teilnahme an der Wahl der Volksvertretung reduziert. Die Ausübung des Wahlrechtes ist also geradezu der politische Akt des Bürgers in einem demokratischen Staatswesen. Seine Bedeutung kann deshalb nicht hoch genug veranschlagt werden. Allerdings vollzieht sich die Wahl der Volksvertretung, genau besehen, nicht nur mit der Stimmabgabe der Staatsbürger am Wahltag; durch die Wahlergebnisse werden zwar aus Kandidaten Mandatare, aber zuvor muß erst aus einer großen Summe von Staatsbürgern eine begrenzte Zahl von Kandidaten ausgesucht werden.

Jedem Wahlakt muß also ein Wahlvorschlag vorangehen. Der Professor für politische Wissenschaften an der Universität Heidelberg, Dolf Stern-b e r g e r, hat dies folgendermaßen ausgedrückt: „Keine Wahl ohne Vorschlag. Man kann, dieses elementare Phänomen auch anders beschreiben: man kann auch sagen, jeder Wahlvorgang verlaufe in zwei Phasen, derjenigen der Benennung und Präsentation eines oder mehrerer Kandidaten und derjenigen der endgültigen und verbindlichen Auswahl unter diesen Kandidaten, der Wahlentscheidung selbst. Die Vorschlagenden und Wählenden müssen nicht dieselben sein.“

Die Tatsache, daß Vorschlagende und Wählende meist nicht dieselben Personen sind bzw daß nur eine verhältnismäßig geringe Zahl der Wählenden einen entscheidenden Einfluß bereits auf die Nominierung der Kandidaten ausüben kann, bedeutet eine Einschränkung des Rechtes der Wählenden. Diese haben ja dann nur mehr die Möglichkeit der Auswahl unter den Vorgeschlagenen.

Nun könnte man freilich einwenden, daß bei dem in unserem Lande üblichen Verhältniswahlsystem die Staatsbürger ohnedies nicht in erster Linie aufgerufen werden, die Auswahl unter den Kandidaten für die künftige Gesetzgebungsperiode des Nationalrates zu treffen, sondern sich für eine politische Partei zu entscheiden und damit die Stärke der parlamentarischen

Möglichkeit, selbst eine Auslese unter den Kandidaten zu treffen. Und genaugenommen erscheint es fast jedem Staatsbürger ebenso wichtig, wer künftighin als Volksvertreter in seinem Namen und wohlverstandenem Interesse tätig sein wird, wie das Stärkeverhältnis der parlamentarischen Fraktionen.

Es ist daher nur allzu verständlich, daß in diesen Tagen der Kandidaten-

aufstellung für die kommende Natio-nalratswahl die mannigfachsten Kräfte und Institutionen regsam werden, um auf die Auswahl der Kandidaten Einfluß zu nehmen. So vielfältig diese Kräfte und Interessen sind, so verschiedenartig sind auch die Gesichtspunkte, die für oder gegen diesen oder jenen Kandidaten ins Treffen geführt werden. So wird auch jetzt wieder offenkundig, daß ■ die Gesichtspunkte bei der Kandidatenaufstellung sich höchst selten mit jenen Gesichtspunkten treffen, die eine parlamentarische Fraktion anwenden müßte, um ein schlagkräftiges Arbeitsteam für das Bewährungsfeld des Parlaments zu gewinnen.

Am deutlichsten ist dieser Widerspruch wohl bei den Fachleuten für Außenpolitik: Jede parlamentarische Fraktion benötigt sprachenkundige Mitglieder, die sich vor allem den Fragen der Außenpolitik widmen und zu den immer häufiger stattfindenden internationalen Konferenzen, parlamentarischen Delegationen usw. entsendet werden können. Von allen Volksvertretern haben zweifellos die parlamentarischen Repräsentanten der Außenpolitik am wenigsten Zeit, sich um die Sorgen ihrer Wähler in den Wahlkreisen und — was vielleicht noch schwerer wiegt — um die Gunst des Parteiapparates zu kümmern. Die lokalen Parteiorganisationen aber gehen naturgemäß bei den Vorschlägen für die Nationalratskandidaten von ganz anderen Überlegungen aus; ihnen ist der Abgeordnete, der sich bereitwillig für Parteiversammlungen und sonstige Veranstaltungen zur Verfügung stellt, der ferner im Wahlkreis von Interventionswerbern leicht zu erreichen ist, ungleich wichtiger.

In jedem Parlament gibt es daher den Typ des Volksvertreters, der bei der parlamentarischen Arbeit und auch bei der Verteilung der Reden durch das Fraktionsbüro wenig in Erscheinung tritt, ja sich nicht einmal durch besonderen Eifer in der Anwesenheit hervortut, aber stets ganze Bündel von Briefen und Gesuchen mit sich führt und damit zu den Sitzungszeiten des Parlaments die Ministerien und anderen staatlichen Dienststellen abklappert. Diese „Türschnallendrücker“ — wie sie im parlamentarischen Jargon heißen — haben mitunter weniger Sorgen um ihre Wiederwahl als manche andere Abgeordnete tretung kann nämlich nur eine rechtliche und keine soziologische sein! Das will besagen: Die demokratische Spielregel des Mehrheitsprinzips ist nur dann sinnvoll, wenn die sich bildenden Mehrheiten nicht etwas beliebiges vom Standpunkt eines Interesses, einer Ideologie oder ähnlichem wollen, sondern stets das Gemeinwohl anstreben. Daher muß es auch das alleinige Ziel jedes einzelnen Abgeordneten sein, die beste und gerechteste Lösung jeder zu entscheidenden Frage herbeizuführen. Wo diese ethische Einstellung fehlt, kann der Mechanismus der Demokratie auf die Dauer nicht funktionieren.

Es ist darum falsch, wenn unlängst in einer Überlegung über die „Situation der ÖVP bei maximalem Wahlerfolg“ zu lesen stand: „Ein solcher Wahlerfolg brächte auch sofort ein massives Forderungsprogramm gerade jener Gruppen, die an dem Sieg (am Stimmenzuwachs nämlich) den wahrscheinlich geringsten Anteil hätten. Dies wären vor allem die Agrarier und die klerikalen katholischen Kreise sowie der um seine Position im ÖGB bangende Arbeiter- und Angestelltenbund.“

Die hier als „klerikal katholisch“ bezeichneten Kreise haben nach einer Wahl — wie immer sie ausgehen mag — nichts anderes zu fordern als vorher. Und wenn die Katholiken schon jetzt bei der Aufstellung der Kandidatenlisten nicht untätig zusehen, sondern — wo immer es möglich ist — dafür eintreten, daß Frauen und Männer ihres Vertrauens in möglichst großer Zahl nominiert werden, so tun sie es nicht, damit diese später als Mandatare vielleicht größere Subventionen an die Kirche, einen verstärkten Einfluß des Klerus oder andere Dinge dieser Art herbeiführen sollen. Es hat auch nichts mit Gesinnungsschnüffelei oder Duckmäuserei zu tun, wenn Katholiken an die Kandidaten vor allem sittliche und religiöse Maßstäbe anlegen. In anderem Zusammenhang — nämlich bei einer Diskussion über den Entwurf eines neuen österreichischen Pressegesetzes — wurde vor einiger Zeit sehr richtig betont, daß es bei einem Pelzhändler oder Großindustriellen Privatsache ist, ob er leidenschaftlich Golf spielt, daß dies aber bei einem amerikanischen Präsidenten unter Umständen schon nicht mehr der Fall sein kann, weil hier die öffentliche Erörterung berechtigt ist, ob ihn diese Spielleidenschaft nicht zusehr von der Erfüllung seiner Regierunigsaufgaben ablenkt.

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