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Kann die NATO Europa wieder ins Lot bringen?

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Der Onkel aus Amerika ist wieder da. Bill Clinton ist aber nicht als Superman gekommen, als der sich im Juli 1989 George Bush in Warschau und Budapest zu präsentieren versuchte. Die Erwartungen der Europäer, besonders jener im Osten, Russen miteingeschlossen, können von Clinton kaum erfüllt werden.

Parallel zum Europa der konzentrischen Wirtschaftskreise entsteht nun auch ein Europa mit abgestuften Sicherheitsgarantien. Dort, wo das Sicherheitsbedürfnis am größten ist, will oder kann die NATO, die mitten in der Transformation von einem Verteidigungsbündnis zu einer Sicherheitsorganisation steht, zur Zeit keine volle Verantwortung übernehmen.

„Partnerschaft für den Frieden“ mit einer sukzessiven Heranführung der Beitrittswilligen an die NATÖ kann zunächst einmal nur bedeuten, daß ‘die Osteuropäer, national hellwach, unter Mitwirkung des Westens in erster Linie zu Hause durch ein Höchstmaß an demokratischen Reformen den Boden für Sicherheit und Frieden bereiten.

Für den Schweizer Sicherheitsex

perten Curt Gasteyger war es eine richtige Entscheidung, die - hinsichtlich ihres Sicherheitsbedürfnisses überhaupt nicht homogenen osteuropäischen Staaten - momentan nicht in die NATO aufzunehmen. Gasteyger setzt auf eine prozessuale Vorgangsweise. Den früheren Moskauer Satelliten muß zudem signalisiert werden, daß eine NATO-Mit- gliedschaft nicht die Isolation Rußlands zum Ziel haben darf. Der Begriff „Partnerschaft für den Frieden“ ist zumindest diesbezüglich eindeutig, er meint Rußland mit.

In Osteuropa - so Gasteyger - bestehe zudem kein Sicherheitsvakuum, wie es in die Diskussionen der jüngsten Zeit immer warnend eingebracht werde. Für den Sicherheitsexperten ist das nur das Verkaufsargument der Osteuropäer, um sicherheitspolitisch verankert zu werden.

ORDNUNGSMACHT RUSSLAND

Nach Brüssel wird man sich auf ein neues Gleichgewichtsdenken einstellen müssen, meint Gasteyger. Nachdem Hegemonie und Anarchie als Ordnungsprinzipien ausscheiden, Integration noch nicht möglich ist, bleibe nur das Gleichgewicht übrig. Das bedeutet: „Die Amerikaner würden Rußland nicht ungern als Ordnungsmacht innerhalb eines demokratischen Gefüges sehen, das sich zwischen Baltikum und Zentralasien erstreckt.“

Skeptisch ist Gasteyger, was Versuche betrifft, mit der NATO ein Krisenmanagement zu schaffen. Zur Zeit ist das Hauptanliegen der „Partnerschaft für den Frieden“, Krisen abzufangen, bevor sie sich

noch friedensgefährdend weiterentwickeln können, nicht zu verwirklichen. „Unter den 16 NATO-Mit- gliedsstaaten gibt es zu unterschiedliche Interessen, als daß man daraus ein kräftiges Instrumentarium für ein Krisenmanagement entwickeln könnte. Meiner Meinung nach wird es nur ein Ad-hoc- oder A-la-carte- Krisenmanagement geben. Zum Eingreifen sind nur die USA, Frankreich oder Großbritannien fähig.“ Deutschlands Rolle im Osten werde weiterhin mit gemischten Gefühlen beobachtet.

Auch den „interlocking instituti- ons“, einem System der miteinander verflochtenen Organisationen UNO, KSZE, NATO, EU und WEU auf arbeitsteiliger Basis, kann Gasteyger nicht viel abgewinnen: das Verhältnis NATO und Westeuropäische Ünibn (WEU) Sei höfch’flicht äusdi- vidiert; die WEU sei nur eine Nebenorganisation mit Alibifunktion für die Europäer; die KSZE gehörte eigentlich aufgelöst (obwohl das kaum geht). Gasteyger: „Wir haben zu viele ungenügende und zu wenig genügende Institutionen.“

Das merklich schwächer werdende Engagement der Amerikaner in Europa — der Abbau seiner Truppen ist seit langem im Gange (FURCHE 47/93, Seite 1) - hat seinen Grund in der Machtkonstellation auf dem Alten Kontinent. Rußland ist von Europa zurückgerückt, sein Hegemoni- alstreben zurückgegangen. Trotzdem wird der Wunsch der USA nach einer eigenen europäischen Verteidigungsorganisation kaum in Erfüllung gehen. Daher kann der Friede in Europa nach wie vor nur mit den Amerikanern gesichert werden.

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