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Kann man den Titoismus „verchristlidien”?

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Jugoslawische Botschaften haben kürzlich im Ausland die Nachricht verbreitet, daß sich auf der Jahresversammlung der katholischen Priestergewerkschaft Ende 1958 in Agram die 600 Priesterdelegierten mit der Forderung ihres Sekretärs Vilko Weber, mit dem volksdemokratischen Regime noch enger zusammenzuarbeiten, voll einverstanden erklärten. Die Nachricht löste allenthalben Bestürzung aus.

Das neue Staatsgebilde Jugoslawien ist 1918 aus einer Vielfalt von Territorien zusammengefügt worden, deren einzelne Teile historisch und kulturgeschichtlich überaus differenziert waren. Auf dem Gebiet des neuen Staatsgebildes bestanden bereits früher zwei selbständige Staaten: Serbien und Montenegro. Alle übrigen Neuerwerbungen wurden von den reichlich unbeschwerten Verwaltern der Konkursmasse der Donaumonarchie als Morgengabe unter allen möglichen Vorwänden dem neuen Balkanreich zugeschlagen, ohne Rücksicht darauf, ob diese auf dem Reißbrett des Geographen Cvijič entstandene neue Konstruktion auch wirklich lebensfähig sei.

Während in Serbien und Montenegro die Orthodoxie immer noch die privilegierte Stellung hatte und 1903 in Serbien auch verfassungsmäßig als „Staatskirche” verankert wurde, galten die Katholiken, Protestanten, Juden und Mohammedaner als „anerkannte” Religionsgemeinschaften. In Dalmatien und Slowenien waren seit 1867 alle „anerkannten” Religionsgemeinschaften vor dem Gesetze gleichgestellt. Eine ähnliche kirchenpolitische Situation war auch in den Gebieten gegeben, die aus der ehemaligen ungarischen Reichshälfte Jugoslawien zugeschlagen wurden, wobei vermerkt zu werden verdient, daß dem nach Syrmisch-Karlowitz verlegten Patriarchat eine breite Autonomie zugestanden war. In Bosnien-Herzegowina war die Rechtslage der katholischen Kirche durch die vatikanische Konvention von 1881 geregelt, während die Orthodoxie in diesem Gebiet eine Autonomie mit der Einschränkung genoß, daß sie in kanonischen, disziplinären und kirchengerichtlichen Angelegenheiten vom ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel abhängig war. Aehnliche Bindungen hatte die Eparchie Dalmatien mit Czer- nowitz, während Montenegro (ohne eigenen Patriarchen) autokephal war.

Hinter diesen knapp gehaltenen Hinweisen auf einige historische Zusammenhänge verbirgt sich eine Fülle von kultur- und geistesgeschichtlichen Gegebenheiten, die über die kirchenpolitische Entwicklung zwischen den beiden Weltkriegen hinaus auch ganz allgemein von oft einschneidender Bedeutung waren.

In drei andeutungsweise erkennbaren Phasen, die nachstehend gekennzeichnet werden, richtet sich der Vernichtungsfeldzug Titos gegen die Kirche im allgemeinen mit besonderer Wucht gegen den kroatischen Katholizismus:

Jfc Brutale Gewaltanwendung an Bischöfen, Priestern und Gläubigen, wobei man auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckte, Vernichtung der Kirchen, Konfiskation des Kirchenvermögens, Schließung der konfessionellen Schulen, Liquidierung der kirchlichen Vereine, Ausschaltung der kirchlichen Presse.

Wirtschaftliche Drosselung in Form von Steuerlasten, schikanöse Prozesse wegen politischer und angeblicher wirtschaftlicher Vergehen vieler Priester, Behinderung der Katechisation in Kirche und Schule.

Aushöhlung der Kirche von innen her, indem der Klassenkampf in den Organisationsrahmen der Kirche selbst hineingetragen wird, Isolierung der Bischöfe vom Vatikan, Aufspaltung der Bischöfe untereinander, um das Vertrauen der Gläubigen in die Hierarchie zu beeinträchtigen.

Es wäre töricht, übersehen zu wollen, daß ein so massiver Druck auf den gesamten Kirchenbereich nicht nur in der Sphäre des Menschlichen, sondern auch im Organisationsrahmen da und dort allmählich brüchig gewordene Stellen aufdeckte. Der innere Zwiespalt des kroatischen Katholizismus, dessen sich die nicht unintelligenten Parteitaktiker sehr geschickt zu bedienen wissen, hat aber letzten Endes eine tiefere, in geistesgeschichtlichen und kulturmorphologischen Zusammenhängen begründete Wurzel. Der allslawische Frühling des 19. Jahrhunderts, der auch in Kroatien auf literarischem Gebiet so überzeugende Früchte trug, führte bald zu versteiften Frontstellungen, von denen die eine die westlichen Bindungen der Kroaten mit besonderer Sorgfalt pflegte, während die andere die Solidarität und Schicksalsgemeinschaft aller Südslawen beschwor. In der Gestalt des Bischofs von Djakowo in Slawonien, Josip Juraj Strofini a y e r — der von sich auch international reden machte, als er auf dem letzten ökumenischen Konzil 1870 in Rom gegen das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes argumentierte — fand die kroatisch-katholische Abart des Panslawismus Verkörperung, die der bedeutende Historiker Kanonikus Franjo Račkį durch seine Werke wissenschaftlich untermauerte. Schon viele Jahre vor der politischen Verwirklichung des südslawischen Traumes von einem gemeinsamen Staat förderte der deutschstämmige Stroß- mayer — sein Auswanderahne zog übrigens aus Linz an der Donau nach dem Südosten — nach besten Kräften die kroatisch-serbische Annäherung und wuchs allmählich in die Rolle eines Ideologen des politischen „Jugoslawismus” hinein. Daß dem Kirchenfürsten über den nationa- len Aspekt hinaus wohl auch das religiöse Anliegen einer Vereinigung mit der serbischen Orthodoxie stark bewegte, steht außer Zweifel.

Der großserbische Zentralismus zwischen den beiden Weltkriegen, so ernüchternd er auch auf den panslawistischen Gefühlsüberschwang wirken mußte, vermochte aber beim kroatischen Klerus diese aus der Geistigkeit Stroßmayers gespeiste Entwicklungstendenz nicht völlig zu verschütten. Anderseits trugen die bitteren Enttäuschungen in der jugoslawischen Aera nach 1918 wesentlich dazu bei, daß die nach dem Westen orientierten kroatischen Strömungen geistig zunehmend an Boden gewannen und ihr eigentliches Ziel immer klarer darin zu sehen begannen, jedweden Zusammenhang mit dem Serbentum zu leugnen. Die in dieser politisch vergifteten Atmosphäre entwickelte These von einer Kultur- und sogar Sprachengrenze an der Drina, deren Unhaltbarkeit in vielen wissenschaftlichen Publikationen nicht zuletzt der bekannte Grazer Slawist, Univ.-Prof. Dr. Mat 1, nachwies, kann als Schulbeispiel eines nationalistisch-politischen Mißbrauches der Wissenschaft und Forschung angesehen werden.

Aus diesem Zwiespalt heraus ist auch eine vielumstrittene Gestalt zu deuten, die seit 1945 im Brennpunkt der innerkatholischen kroatischen Auseinandersetzungen steht: Msgr. Dr. Svetozar R i 11 i g, Apostolischer Protonotar, Abt von St. Helena vom Podborje, Pfarrer von St. Markus in Agram, der ältesten Pfarrei in Kroatien, bedeutender Historiker, dessen Studien über den altkirchenslawischen Gottesdienst in Kroatien allgemeine Bedeutung besitzen, hervorragender Kenner der kirchlichen Kunst. Noch aus früheren Zeiten als entschiedener Gegner der Ustascha und ihres von Italien aus nach Jugoslawien hineinwirkenden Führers Dr. Ante P a v e 1 i 6 bekannt, ging er nach 1941 — wie vor ihm der bekannte kroatische Dichter Vladimir N a z o r — zu den Partisanen über, um in vielen Artikeln, Botschaften und Predigten das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit zugunsten der aus taktischen Erwägungen von Tito damals weltanschaulich noch nicht klar definierten Partisanenbewegung in die Waagschale zu werfen.

Auf diesem politisch bewegten Hintergrund setzte die in der Kampfzeit als „nationale Befreiungsfront” getarnte Tito-Bewegung nach 1945 ihr religions- und kirchenfeindliches Konzept mit unvorstellbare Grausamkeiten besonders den herzegowinischen Franziskanern gegenüber durch, deren unerbittliches Schicksal die Ausrottung des Klosters Siroki Brijeg mit Stumpf und Stiel symbolisiert. Zu Dutzenden wurden Priester gemeuchelt, darunter auch der unierte Bischof von Križevci Dr. Simrak, hunderte vornehmlich in den Strafanstalten Lepoglava und Stara Gradiška festgehalten, gefoltert, zu Krüppeln geschlagen oder sonstwie dauernd geschädigt. Viele sitzen auch heute noch hinter Schloß und Riegel.

Die schockartige Wirkung solcher Unmenschlichkeiten einkalkulierend, sollten die staat- licherseits mit großen Vollmachten und Finanzmitteln ausgestatteten Priestersyndikate den bis- hin mehr oder weniger unbehelligt gebliebenen Teil der Geistlichkeit auffangen, um ihm in diesem Rahmen soziale Sicherheit zu gewährleisten, damit aber auch eine Art Regulativ in den Händen zu behalten, um zwischen niederer Geistlichkeit und Hierarchie nach Bedarf und Zweckmäßigkeit Unruhe zu stiften, aber auch, offensichtlich auf Wirkung dem Ausland gegenüber bedacht, ein Aushängeschild zu haben, dessen man nach der so grauenvollen Vorgeschichte mehr denn je bedurfte. Trotz der verfassungsmäßig verankerten Trennung von Staat und Kirche wurde nichts unterlassen, um den staatlichen Einfluß auf die Kirche auszudehnen und zu gewährleisten, teils über die Priestergewerkschaften, teils über die Religionskommissionen (Verske komisije) in den Bundesstaaten und im Zentralamt beim Innenministerium, in die neben Parteifunktionären zunehmend auch geistliche Herren zugezogen wurden. Als Ideologe eines mit so schweren Hypotheken belasteten „neuen” Verhältnisses zum Staat wird der Laibacher Theologieprofessor Dr. Stanko C a j n- k a r genannt, dem ein Kreis slowenischer Priester um die Revue „Nova Pot” und um die Zeitschrift „Organizacijski Vestnik” zur Seite steht, wie das in London erscheinende, gut informierte „Croatian Bulletin” zu berichten weiß. Aber auch in Kreisen der bosnisch-herzego- winisch-dalmatinischen Franziskaner, die in den ersten Jahren nach 1945 die ganze Wucht der kommunistischen Kirchenfeindlichkeit zu spüren bekamen, regen sich begreiflicherweise Koexistenzkräfte, gilt es doch auch für die Kirche, diese schweren Zeiten der Heimsuchung zu bestehen. Ihnen allen, vor allem, wenn man außer Schußweite im sicheren Westen sitzt, besonders aus einer begreiflichen Enttäuschung über die politische Entwicklung mehr oder weniger Kapitulationsgesinnung vor dem Kommunismus vorzuhalten, wäre ebenso billig, wie es schwierig ist, darüber ein Urteil zu fällen, ob sich die Verhältnisse wesentlich anders entwickelt hätten, wenn einzelne Bischöfe nach der auf den Bischof skonferenzen 1950 und 1952 klar ausgesprochenen negativen Einstellung den aufkommenden Priestergewerkschaften gegenüber in der praktischen Durchführung ihre Haltung nicht durch unklare Erklärungen wieder relativiert hätten.

Zu den Problemen des Katholizismus in Jugoslawien, wie sie namentlich aus den einleitend angedeuteten geistesgeschichtlichen Zusammenhängen in Kroatien bis in unsere Gegenwart herüberreichen, kommen noch die Probleme hinzu, die aus dem Zusammenprall mit dem Kommunismus titoistischer Prägung erwachsen. Die Auseinandersetzung, die sich in vielfältigen Formen zwischen den Extremen einer unbeugsamen Kampfstellung gegen den doktrinären Materialismus und einer Haltung vollzieht, die die Rettung der Kirche in der vorausgesetzten Möglichkeit eineT „Verchristlichung” des Kommunismus erkennen will, ist voll im Gange.

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