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Kehrt Bidault zurück?

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Einer seiner Amtskollegen, Robert Bichet — bekannt als langjähriger Generalsekretär der Union christlich- demokratisoher Parteien (NEI) —, richtete in diesen Tagen an 1700 Persönlichkeiten einen Brief, um sie bezüglich einer Rückkehr Bidaults „ohne Bedingungen“ zu sondieren. Der Elysėe-Palast hat zu dieser Initiative geschwiegen, aber durch Indiskretionen wurde bekannt, daß die Staatsführung der Rückkehr Bidaults wie eines anderen berühmten Flüchtlings des „ersten Gaullisten“ Soustelle keine zu großen Schwierigkeiten in den Weg legen werde.

• Die übrigen führenden Funktionäre des MRP haben größtenteils ihr Berufsleben aufgenommen, unter ihnen der wohl vorzüglichste Redner und bedeutende Staatsmann,. Teitgen, der als Universitätsprofessor auf einer katholischen Universität unterrichtet. Der langjährige Generalsekretär des MRP, Colin, ziert als Senator das Palais Luxenbourg und tritt in den seltensten Fällen in Erscheinung. Auch sämtliche feurige Junigtürken der Volksrepublikaner zogen sich als Autovertreter, Industrielle oder Eisenhändler in das zivile Leben zurück. Nicht einem — es sei betont — nicht einem gelang der Durchbruch zu einer nennenswerten politischen Karriere.

Objektiv 1972

Erst in den letzten Tagen erfolgte aus dem Kreise der früheren christlichen Demokraten eine originelle Initiative, die unter dem Titel „Objektiv 1972“ nicht mehr die kommenden Wahlen 1967, sondern die darauf folgenden vorbereiten soll, um der christlichen Demokratie neue Konturen zu verleihen. Der Anstoß dazu geht von einer sehr sachkundigen Persönlichkeit aus, dem bärtigen Buron, der, siebenmal Minister in der Vierten Republik, auch auf eine beachtliche ministerielle Karriere unter de Gaulle zurückblickt. Buron war ein Fachminister und weniger ein Politiker. Als langjähriger Leiter des Wirtschaftsressorts schenkte er der französischen Industrie nachhaltige Impulse und hat für die Strukturen des Landes Entscheidendes geleistet. Buron ist seit 1946 ununterbrochen von dem ländlichen Wahlkreis der Mayenn-e in das Pariser Parlament gewählt worden. Obwohl er aus einem konservativen Bezirk stammt, beansprucht er für sich, ein „Linker“ zu sein. Im Auftrag von de Gaulle führte er die Verhandlungen mit den aufständischen Algeriern und nahm maßgeblich Anteil am endgültigen Friedensschluß. Buron ist unzweifelhaft eine sehr dynamische Persönlichkeit, ein überzeugter Europäer und ein militanter christlicher Demokrat. Der Minister trennte sich schließlich von der gaullistischen Politik und übernahm den namhaften, aber unbedeutenden Posten eines Direktors des Entwicklungszentrums der OECD. Im Auftrag dieser internationalen Organisation unternahm er ausgedehnte Reisen nach Südamerika und Afrika, aber die Wissenden in Paris raunten ständig, daß er ein politisches Comeback vorbereite.

Buron gründete im November dieses Jahres die Gruppe „Objektiv 1972“, die vorläufig kein Klub, aber auch keine Partei sein soll. Wenn wir die Strukturen dieser Organisation definieren, müssen wir sie trotzdem bis auf weiteres in die Kategorie der politischen Klubs einreihen.

Die Sterilität der Parteien förderte das Entstehen der politischen Klubs, die aus den Urzeiten der französischen Revolution stammen. Einer der derzeit Aktivsten nennt sich auch stolz „Klub der Jakobiner“. Diese Klubs von 50 bis 600 Mitgliedern jeweils befruchten das öffentliche Leben Frankreichs mit oft ausgezeichnet durchdachten politischen und wirtschaftlichen Vorschlägen. Die Anhänger stammen aus den verschiedensten Parteien und gehören zur geistigen Elite des Landes, wie hohe Verwaltungsbeamte, Angehörige der Planuingstoehörden, Professoren und Journalisten, mit einem Wort die Technokraten unter einem Regime, welches die Parteien zurückgedrängt hat und die Gespräche mit den Kammern, den Gewerkschaften, den Bauern und Familienverbänden führt. Die Rückwirkungen auf das politische Denken des Landes sind beachtlich.

1972 Ende des Gaullismus

Buron nimmt an, daß mit 1972 das Ende des Gaullismus anzusetzen sei. Es müsse daher alles vorbereitet werden, um ein Programm auszuarbeiten, von dem abgeleitet die politischen Aktionen erfolgen. Das Verschwinden des Gaullismus bedeutet weiter, daß neue Männer ihren Aufgaben gerecht werden, um die gesteigerte Verantwortung in einer Gesellschaft zu übernehmen, die sich im vollständigen Umbruch befindet. In diesem Zusammenhang taucht die Frage nach der Orientierung der kommunistischen Partei auf. Es ist undenkbar, daß auf die Dauer ein Viertel der Wähler von der politischen Willensbildung ausgeschlossen ist, darum diese Partei bereit scheint, vernünftige Argumente anzuerkennen und ihre starren Positionen zu verlassen. Es handelt sich im letzten darum, eine Opposition aufzubauen, unter dem deutlich ausgesprochenen Ziel, einmal die Macht im Staat zu übernehmen. Bisher hat keiner der früher leitenden Persönlichkeiten des MRP Buron seine Zustimmung gegeben, der loyalerweise Lecanuet von seinen Plänen vorher informiert hatte. Lediglich einige ehemalige Jugendführer der

Volksrepublikaner tauchten neben Buron auf, der mit seinen 56 Jähren eher die mittlere Generation anspricht als eine Jugend, die derzeit ideologischen Überlegungen entschieden ausweicht.

Staatschef de Gaulle setzt alles daran, um ein Zweiparteiensystem nach englischem Muster zu erzwingen. Die Ansätze dazu sind unverkennbar und vielversprechend. Die UNR ist eine politische Tatsache, die naeh Meinung aller Beobachter und Kenner auch nach dem Abgang de Gaulles bestehen bleibt. Vielleicht wäre es nützlicher und zukunftsträchtiger, im Rahmen der mächtigen Gaullistischen Sammelbewegung neue Akzente für eine christliche Demokratie zu suchen, da sich innerhalb dieser Partei große Teile des französischen Katholizismus eine längerdauiernde politische Heimstätte gefunden haben.

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