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Kein Walzer von Straub

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Unter dem Motto „Erfolgreich in die Welt von morgen“ fanden sich rund 600 Delegierte zum „Vorwahlparteitag“ der CSU in Nürnberg zusammen. Im Beisein des CDU-Vorsitzenden K i e-singer und von Vertretern mehrerer konservativer Parteien Westeuropas unternahm die Christlich-Soziale Union hier erstmals den Versuch, eine breite — durch zahlreiche Spezialtagun-gen der letzten Zeit vorbereitete — Problemdiskussion durchzuführen, was allerdings an der Fülle der Anträge und der knappen Zeit weitgehend unbefriedigend bleiben mußte.

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Unter dem Motto „Erfolgreich in die Welt von morgen“ fanden sich rund 600 Delegierte zum „Vorwahlparteitag“ der CSU in Nürnberg zusammen. Im Beisein des CDU-Vorsitzenden K i e-singer und von Vertretern mehrerer konservativer Parteien Westeuropas unternahm die Christlich-Soziale Union hier erstmals den Versuch, eine breite — durch zahlreiche Spezialtagun-gen der letzten Zeit vorbereitete — Problemdiskussion durchzuführen, was allerdings an der Fülle der Anträge und der knappen Zeit weitgehend unbefriedigend bleiben mußte.

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Erfolgreicher erwies sich der Parteitag als Forum für eine Abrechnung mit der Politik der Bundesregierung. Kiesinger, durch die Wahlerfolge seiner Partei in den letzten Landtagswahlen sichtlich aufgelebt, bezichtigt die SPD/FDP-Koalition, „Konfusion und Schaden an allen Ecken und Enden“ angerichtet zu haben. In der Frage der Verständigung mit dem Osten gehe kein Weg an der CDU/CSU vorbei, und die beiden Schwesternparteien, unter denen „nicht die geringste Meinungsverschiedenheit“ bestünde, würden hier ihr Wächteramt ausüben.

Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß benutzte die Kundgebung am Freitagabend in der polizeiumstellten Meistersingerhalle zu einer Breitseite gegen die Ost- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Womöglich noch vehementer als auf dem Parteitag im April umriß er die Positionen einer „kritischen, konstruktiven, aber nicht gefügigen“ Opposition, verbunden mit einigen Tiefschlägen gegen Bundeskanzler Brandt, dem er immerhin nahelegte, die laut angekündigte, aber kümmerlich durchgeführte Initiative zur Störung des CSU-Parteitages sei im Sinne der kürzlichen Kampfansage des Regierungschefs im Bundestag erfolgt. Was die „außenpolitische Verzweiflungsgemeinschaft Brandt-Scheel“ auf dem Gebiet der Ost- und Deutschlandpolitik verspielt habe, könne in Jahren nicht mehr gutgemacht werden. Adenauer, Erhard und Kiesinger hätten in der Lösung einer Frage, die nach Bedeutung und zeitlichem Umfang historische Dimensionen habe, die Verhandlungspositionen zu bauen begonnen. „Willy Brandt — so meinte der CSU-Vorsitzende im Wahlkampfstil — hat nach seinem Steckenpferdritt gen Osten diese Basis verlassen und kämpft als Don Quichotte deutscher Ostpolitik mit den Windmühlenflügeln ostpolitischer Illusionen und aufgeputschter Erwartungen.“

Die Bahr-Vorschläge haben nach Ansicht von Strauß große Ähnlichkeit mit dem Vertrag, den seinerzeit die DDR mit Moskau abgeschlossen hat. Wenn man zudem lese, daß der General vertrag mit der Sowjetunion und die bevorstehenden Abkommen mit der DDR, mit der Volksrepublik Polen und der CSSR ein einheitliches Ganzes bildeten, dann heiße das doch nichts anderes, als daß die Bundesregierung der Bundesrepublik die Rolle einer Garaniüemacht für die Breschnjew-Doktrin zumute. Sie mache sich damit zum Komplizen einer verbrecherischen Machtpolitik im Stil des Abkommens Ribbentrop-Molotow. Deutlich an die Adresse Frankreichs gerichtet, meinte Strauß, man solle „auf der Seite unserer Bündnispartner mit dem Beifall und gleichzeitiger Kritik hinter den Kulissen“ für die Ostpolitik „vorsichtiger werden“. Der zweite Angriff von Strauß galt der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, wobei er besonders mit Finanzminister Möller ins Gericht ging, dem er Entscheidungsschwäche und überhöhten Ausgabenzuwachs vorwarf. Bei mangelnder Stabilität des Preisniveaus, bei Überbeschäftigung und der Gefahr einer in Unordnung geratenen Zahlungsbilanz sei es nur noch eine Frage der Zeit, wann auch der letzte Eckpfeiler des Stabilitätsgesetzes, das Wachstum, ins Wanken gerate. In Unternehmerkreisen mache sich zudem vermehrt eine Angst vor den radikalen Umstrukturierungsvorschlägen innerhalb der SPD bemerkbar. Die Zeche für konftskatorische Steuersätze müsse zuletzt doch der kleine Mann bezahlen. Die CSU sei ihrerseits bereit, zur Stabilisierung der Preise auch „zunächst unpopulär erscheinende Maßnahmen“ in Kauf zu nehmen.

Der bayrische Ministerpräsident Goppel wandte sich in seinem Grundsatzreferat gegen Versuche der SPD, Bayern als unmodern erscheinen zu lassen. Die Tatsachen zeigten das genaue Gegenteil.

Nach der länger als ursprünglich geplanten Problemdiskussion setzte Strauß zum Abschluß noch einmal deutliche Wahlkampfakzente. Er rief die Delegierten auf, in Mittelfranken, wo am 22. November die wichtigsten Entscheidungen fallen werden, „bis an die Grenzen der geistigen und körperlichen Möglichkeiten hin den Wahlkampf zu führen, damit uns niemand aus der politischen Verantwortung vertreiben kann“.

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