Keine Alternative zur Diplomatie

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Ich war gerade mal elf Jahre alt, als es hieß "Die Russen sind einmarschiert“, was konkret meinte: Sie haben die Tschechoslowakei besetzt. In Bayern war man da gar nicht weit weg, und wir saßen damals rund um die Uhr an Radio und Fernseher, und ich spürte die Angst der Älteren.

Die Krise in der Ukraine provoziert solche flashbacks. Wie damals überschreitet mitten im gewohnten europäischen Frieden die Gewalt die Sichtbarkeitsgrenze. Die Gemeinsamkeiten sind unübersehbar: der angebliche "Brief um brüderliche Hilfe“, der offene Zynismus der Lüge ("einheimische Selbstverteidigungkräfte“, "selbst gekaufte Uniformen“), die Hilflosigkeit, die Angst vor der Eskalation. Sicher, es gibt Unterschiede: Damals rollten Panzer, heute tauchen merkwürdig vermummte Männer ohne Hoheitsabzeichen auf, und manches wirkt wie ins Komödiantische verschoben, etwa die "Belagerung“ ukrainischer Stützpunkte durch "befreundete“ Kameraden, für deren bessere Unterbringung die Belagerten sorgen. Und Putin spielt als ebenso schmächtiger wie breitbeiniger, mit allen KGB-Desinformations-Wassern gewaschener Macho in einem anderen dramaturgischen Fach als der grimmige Apparatschik Breschnew.

Es gibt hier im Westen, auch bei mir, die Sehnsucht nach klaren Fronten von Gut und Böse. Aber die politische Welt ist meist nicht so freundlich, sie uns zu liefern: Da haben die einen ein Abkommen nach 24 Stunden gleich wieder beiseite geschoben, die anderen brutal mit militärischen Mitteln reagiert. Und ihr Land schlecht regiert haben beide Seiten. - Viele sind unzufrieden mit der europäischen Diplomatie und ihren vorsichtigen Schritten. Ich sehe überhaupt keine Alternative, die mehr befriedigen würde als archaische Bedürfnisse. Europa sei eine Sache von Krieg und Frieden, hat Helmut Kohl gesagt. Damit zumindest hatte er offenkundig Recht.

Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz

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