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Keine Scheu vor „Heißen Eisen“

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FRAGE: Was war eigentlich Sinn und Aufgabe der „Aktion Winter“ Ihrer Tätigkeit in den dreißiger Jahren?

ANTWORT: Nur irrtümlich wird die „Aktion Winter“ als „parteipolitische Versöhnungsaktion“ des in den dreißiger Jahren in Österreich verfeindeten christlichen und sozialistischen Lagers gedeutet. Eigentlich handelte es sich da ihrer ganzen Intention und Anlage nach um eine staatspolitische Aktion zur Zusammenfassung aller damals konstruktiven und patriotisch orientierten Kräfte Österreichs von rechts und links gegen die Gefahr des Nazismus. Historisch kann man diese Aktion von damals zwar als gescheitert ansprechen; den neuen patriotischen Gedanken in Österreich nach 1945 und vor allem die gegenwärtige Koalition der beiden Staatsparteien ÖVP und SPÖ möchte ich aber dennoch gewissermaßen als späte Frucht jener damaligen Bemühungen ansprechen.

FRAGE: Wie beurteilen Sie als ehemals doch dem legitimistischen Gedanken in Österreich sehr Nahestehender den gegenwärtigen politischen Trend des österreichischen Legitimismus und die politische Aktivität Erzherzog Ottos von Habsburg? Halten Sie aus jenen Bestrebungen heraus eine dynastische Reintegration des Donaubeckens nach wie vor für möglich?

ANTWORT: Nach dem seinerzeitigen Juli-Abkommen von 1936 zwischen Sohusehnigg und Hitler habe ich die Idee der legitimistischen Restauration als unsere „letzte Karte gegen Hitler“ betrachtet. Diese Karte wurde damals jedoch nicht ausgespielt — teilweise offenbar auch deshalb, weil einfach der österreichische Konservatismus dieser historischen Situation und der sich daraus ergebenden Chancen und Konsequenzen nicht nur für Österreich, sondern in der Folge auch für ganz Südosteuropa nicht gewachsen gewesen ist. Was man damals versäumt hat, läßt sich jetzt jedoch kaum noch nachholen. Vor allem aber halte ich gewisse Tendenzen des gegenwärtigen österreichischen Legitimismus — insbesondere den sehr starken deutschnationalen und vor allem auf Westdeutschland, nicht aber auf den Donauraum ausgerichteten Kurs — für grundlegend verfehlt; verfehlt sowohl vom österreichisch-patriotischen als schließlich auch vom legitimistischen Standpunkt selbst.

Mir scheint eine direkte Verbindung der sich heute abzeichnenden realpolitischen Re-Integrationsmög-lichkeiten der Donauvölker mit den Interessen des dynastischen Gedankens politisch nicht zweckmäßig zu sein. Jeder Gedanke an eine Wiederherstellung der Einheit des Donauraumes unter dynastischen Vorzeichen wird aber völlig undenkbar unter der Voraussetzung des gegenwärtilgen Kurses der Legitimisten mit seinen so stark deutschnationalen Elementen! Aber auch ohne diese offenbare Fehlorientierung — wäre sie noch überwindbar — müßte eine konstruktive legitimistisehe Politik auf weite Sicht im eigenen Interesse bestrebt sein, sich derzeit nicht direkt und unmittelbar in die augenblicklich sich abzeichnenden realpolitischen Möglichkeiten zur Wiederannäherung der Donaustaaten einzuschalten.

FRAGE: Geben Sie uns, bitte, eine Definition der These von der eigenen

In memoriam: Ernst Karl Winter „österreichischen Nation“, als deren Begründer Sie im allgemeinen angesehen werden.

ANTWORT: Die Idee der „österreichischen Nation“ beinhaltet die für die übrige westliche Welt selbstverständliche Tatsache, daß in einem unabhängigen und eigenständigen Staat das Staatsvolk nationsbildend auftritt. Der Begriff richtet sich im einzelnen gegen die für Österreichs Geschichte oftmals so unselige Vorstellung einer mehrere Staaten umfassenden „deutschen Nation“ und besagt, daß oben die Österreicher — trotz deutscher Sprachgemeinschaft, etwa ebenso wie die deutsch sprechenden Schweizer — eine von der politischen Gestaltung und Orientierung der deutschen Stämme und Völkerschaften im eigentlich deutschen Raum unabhängige eigene Nation darstellen. Geistesgeschichtlich bedeutet diese Idee gleichzeitig, daß — zum Unterschied von der deutschen — in diese österreichische Nation Einflüsse der verschiedenen ehemaligen Nationalitäten Altösterreichs eingeflossen sind und die historisch-politische Besonderheit des spezifischen österreichertums mitgestalten halten.

FRAGE: Sind Sie der Ansicht, daß die Existenz einer solchen eigenen „österreichischen Nation“ auch geradezu mit zu den Voraussetzungen für die Ermöglichung einer hegemoniefreien Re-Integration des Donaubeckens gehört?

ANTWORT: Jawohl, ganz gewiß! Dies deshalb, weil in dem Augenblick, in dem sich die Österreicher nicht als eigene Nation betrachten, sondern nur als ein Bestandteil der „deutschen Nation“, sie sich automatisch zum Wegbereiter deutscher Vormachtsbestrebungen in Südosteuropa machen würden, was selbstverständlich nicht nur dem Gedan-

Photo: Archiv

ken einer In sich gefaßten und „hegemoniefreien Donau-Föderation“ widersprechen, sondern dar-eüber hinaus von den anderen nicht deutsch sprechenden Donauvölkern voraussichtlich überhaupt nicht akzeptiert werden würde, womit der donau-föderalistischen Idee jede Möglichkeit auf realpolitische Verwirklichung entzogen wäre. Wenn aber jeder Gedanke von einer „deutschen Mission Österreichs in Südosteuropa“ dem echten donau-ländischen Solidaritätsgedanken widerspricht und sich Österreich zur Erfüllung seiner künftigen Aufgaben in jenem Raum gänzlich und bewußt zur Gemeinschaft der Südostvölker bekennen muß, so ist dies umgekehrt auch eine Lebensfrage für Österreich selbst: Nur wenn es sich dermaßen zum Doriauraum bekennt, wird Österreich nämlich unabhängig und selbständig bleiben können.

FRAGE: Sehen Sie auch jetzt noch eine gleichsam bleibende staatspolitische Aufgabe Österreichs — über die Grenzen des heutigen österreichischen Staates hinaus — im donauländiscften Dreiecksraum

Wien-Budapest-Prag?

ANTWORT: Diese Aufgabe scheint mir nicht nur nach wie vor gegeben, sondern scheint mir seit der Formulierung der österreichischen Neutralität geradezu in ein nicht nur aktuelles, sondern fast schon aussichtsreiches Stadium getreten zu sein. Nach wie vor ist nämlich das Dreieck Wien-Budapest-Prag eine konstruktive Gruppierungsmögliehkeit der drei donaueuropäischen Kernstaaten als natürlicher Kristallisationskern einer großräumig-föderativen Organisation Südosteuropas: „In Freiheit und Neutralität“ zwischen den Machtblöcken des Westens und Ostens — unter dieser derzeit gewiß für alle Donauvölker sehr attraktiven Parole ließe sich dies aber unter den gegebenen Umständen überhaupt nur von Wien aus verwirklichen, womit durch österreichische Initiative jene neue föderalistischregionale Ordnung sui generis sich in Südosteuropa stufenweise herausbilden könnte, die in ihrer Orientierung weder amerikanisch noch sowjetisch noch aber auch großdeutsch ist. Dieser Gedanke ist der Mitarbeit aller konstruktiven Kräfte Österreichs wert, bedarf aber — soll er gelingen — einer wirklich schöpferischen Interpretation des österreichischen Neutralitätsbegriffs durch die Staatsführung Österreichs. „Donaupolitik“ im Sinne eines bewußten Hinarbeitens auf die Reintegration des Dreieck-Kernes des Donaubeckens (Wien-Budapest-Prag) ist, gerade in Erfüllung des Neutralitätsgedankens, die eigentliche europäische Aufgabe der österreichischen Außenpolitik in unserer Zeit, nicht aber „Anschluß“ an die Westeuropäische Union oder gar an Westdeutschland.

FRAGE: Wie sehen Sie die europäische Problematik der „deutschen Frage“ im Zusammenhang mit dem Re-Integrations-Konzept des Donauraumes?

ANTWORT: Obwohl die beiden Weltmächte USA und UdSSR derzeit über einen gewissen Lippendienst hinaus keineswegs an der „Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten“ vital interessiert sind, haben sie sich dennoch durch ihre verfehlte Deutschland-Politik seit 1945 wechselseitig in dieser Frage schon so sehr hinauflizitiert, daß die „deutsche Wiedervereinigung“ auf längere Sicht durchaus In den Bereich des Möglichen rückt. Man wird diese Endlösung auf die Dauer nicht umgehen können, da man sich überhaupt einmal auf das „gesamtdeutsche Konzept“ festlegen ließ und es versäumte, in den Jahren unmittelbar nach 1945 einen neuen Weg der deutschen Geschichte zu beschreiten und eine Art neuen „Deutschen Bund“ als Bund der einzelnen souveränen „Deutschländer“ organisch in die Konzeption einer europäischen Föderation einzugliedern. Ein neues, nationalstaatlich wieder einheitliches „Gesamt-Deutschland“ könnte dann jedoch wieder eines Tages ein gewisses Gefahrenmoment — Deutschland beginnt heute schon, ein Faktor in der europäischen Politik zu werden, mit dem Südosteuropa rechnen muß! — für die Donauvölker bedeuten, wenn die sowjetische Oberherrschaft in jenem Raum fällt und die Südostvölker selbst nicht zeitgerechte Vorkehrungen durch ihre Re-Integration getroffen beziehungsweise die Großmächte nicht für die Erneuerung des donauländischen Gleichgewichtsfaktors in Mitteleuropa gegenüber jenem „Gesamt-Deutschland“ gesorgt hätten und so die geballten Energien des wiedervereinigten Deutschlands dann erneut versuchen würden, das zwischeneuropäische Vakuum auszufüllen, um so mehr, als die USA der Reorganisation der osteuropäischen Situation auch kaum gewachsen sein dürften.

Diese Perspektive schließt gleichzeitig eine historische Chance für die „Wiedervereinigung des Donauraumes“ in sieh: Nicht nur die Südostvölker selbst könnten, sondern vor allem auch die Weltmächte müßten in der neuen in Mitteleuropa durch eine „Wiedervereinigung Deutschlands“ entstehenden Lage, die Reintegration des Donaubeckens als mitteleuropäisches Gegengewicht gegen den erneuerten „gesamtdeutschen“ Nationalstaat durchaus wollen. Eine schöpferische österreichische Außenpolitik muß nun wachsam sein und sich in eine solche Entwicklung rechtzeitig einschalten: das heißt die Politik der „Wiedervereinigung des Donauraumes“ mit derjenigen der „Wiedervereinigung Deutschlands“ entsprechend synchronisieren. Wir sind dabei durchaus berechtigt, dem Begriff der „Wiedervereinigung Deutschlands“ die „donauländische Wiedervereinigung“ begrifflich entgegenzustellen, zumal sich ja die „deutsche Einheits“-Konzeption in dieser Form lediglich auf ein Konzept von 1871 stützt, während die föderative Einheit eines eigenständigen Donauraumes schon von 1526 an Tatsache war und ununterbrochen 400 Jahre bestanden hat.

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