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Kennedy und der Süden

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Bis vor kurzem galt es als so gut wie sicher, daß der Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, von der Republikanischen Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert werde. Aber auch Mr. Rockefeller bleibt die Erfahrung nicht erspart, daß es schwierig ist, sich für lange Zeit als Favorit zu behaupten. Seit den Wahlen im November vorigen Jahres bröckelt Rockefellers Position ab. Es begann damit, daß die Majorität, mit der er wiedergewählt wurde, geringer als bei seinem ersten Amtstermin war. Es folgte ein Konflikt mit seinen Parteigenossen in der staatlichen Legislatur, als er ein Wahlversprechen, die Steuern nicht zu erhöhen, durch eine Vermehrung anderer Abgaben zu umgehen versuchte. Gegenwärtig schwebt eine Korruptionsaffäre von großem Ausmaß, in die von ihm ernannte Beamte der staatlichen Behörde für die Beaufsichtigung des Alkoholvertriebes verwickelt sind. Auch seine Scheidung nach dreißigjähriger Ehe ist wahrhaftig kein Pluspunkt für seine Popularität.

Der erwachende Süden

Jetzt sieht sich der Gouverneur einer neuen und größeren Gefahr gegenüber, der Gefahr eines Erdrutsches, der nicht nur seine Kandidatur, sondern womöglich auch die heutige Struktur der amerikanischen Parteien begraben könnte. Ein solcher Erdrutsch könnte vom amerikanischen Süden ausgelöst werden. Bisher war dieser eine Domäne der Demokratischen Partei, und auf diese Tatsache ist das politische Leben in den Vereinigten Staaten abgestellt. Ein Verlust der Domäne würde daher eine politische Umwälzung von großem Ausmaß mit sich bringen.

In den südlichen Städten beginnt sich eine Mittelklasse von Fabrikanten und Geschäftsleuten herauszubilden, die der Bürgerkriegstradition ebenso fremd gegenüberstehen wie die aufstrebende Mittelklasse der Sowjetunion der Tradition der kommunistischen Revolution.

Seinerzeit wurde in einem Artikel in der „Furche“ geschildert, wie es die von ländlichen Interessen beherrschten staatlichen Legislaturen verstanden haben, eine Neueinteilung der Wahlkreise, die der Landflucht Rechnung getragen hätten, hinauszuzögern. Der Oberste Gerichtshof setzte dieser Verzögerungstaktik ein Ende, indem er die Wahlkreiseinteilung der Aufsicht der Gerichte unterstellte. Inzwischen haben zehn Staaten einen Zusatzartikel zur Verfassung vorgeschlagen, der diese Entscheidung aufheben sollte. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, daß die Lawine, die der Oberste Gerichtshof ausgelöst hat, aufgehalten werden kann.

Die aufstrebende Mittelklasse im lüden ist ,dM ImAft, Induftriali-sierung und des allgemeinen Aufschwunges des Geschäftslebens in der Region. Der Süden erwacht aus einem landwirtschaftlichen Dornröschenschlaf, und daraus ergibt sich „das politische Aufblühen einer neuen Gesellschaft“, wie Senator Goldwater es formuliert hat. Diese Mittelklasse teilt die im Süden vorherrschende reaktionäre Gesinnung, wie sie sich innenpolitisch in der Forderung nach Entmachtung der Bundesregierung zu Gunsten der Staaten, Reduzierung der Sozialausgaben, Abschaffung der Defizite im Bundeshaushalt und im allgemeinen nach mehr Laissez-faire ausdrückt. Außenpolitisch vermag auch das Risiko eines modernen Krieges nicht den im Süden so ausgeprägten Chauvinismus zu mildern.

Es ist verständlich, daß es Menschen, die so eingestellt sind, satt haben, bei der Demokratischen Partei nichts weiter als eine Bremse zu sein, die die Entwicklung zu dem, was sie als Kollektivismus betrachten, zwar stark verlangsamt, aber nicht ganz aufhalten kann. Für sie bedeutet die Republikanische Partei die große Hoffnung, voraugesetzt allerdings, daß diese sich einen konservativ scharf profilierten Führer gibt. Seitdem 1936 Alf L a n d o n jämmerlich gegen Franklin D. Roosevelt unterlag, versuchte die Partei es mit Präsidentschaftskandidaten, die jedem etwas zu bieten schienen. Deswegen mußte 1952 der klügste Kopf der Partei, der zu Unrecht als Reaktionär verschriene Robert A. Taft, der Vaterfigur Eisenhowers den Platz räumen. an Nixons schlimmste Zeit. Daß der Gouverneur sich als solcher Opportunist enthüllt, läßt sich wohl nur mit Panik erklären. Bei ruhiger Überlegung müßte er sich sagen, daß seine Partei, wenn sie nur die Wahl zwischen einer tGoldwater-Imitation und dem Original hat, logischerweise das Original vorziehen werde.

Goldwater — echt und imitiert

Jetzt aber, da der verlockende Preis des Südens winkt, der nicht mit einem Kompromißkandidaten gewonnen werden kann, tritt die Versuchung an die Republikanische Partei heran, alles auf die reaktionäre Karte zu setzen. Außerdem ist es fraglich, ob Rockefeiler die Anziehungskraft Kennedys auf fortschrittliche Elemente wettmachen kann; dem Süden jedenfalls ist er keinesfalls genehm. Republikanische Strategen behaupten, Goldwater könne von 106 südlichen Wahlstimmen 100 gewinnen, Rockefeller aber so gut wie keine Stimme. (Bekanntlich wird der Präsident nicht direkt gewählt, sondern von einem Wahlmännerkollegium, in dem jeder Staat so viele Stimmen hat als Vertreter im Kongreß.)

Man mag das für Bluff geschickt taktierender Politiker halten. Rockefeller aber nimmt diese Drohung anscheinend ernst, denn er gleicht sich immer mehr an Goldwater an. Auch wird er in der Wahl seiner Mittel immer weniger zimperlich, was einen der bekanntesten Journalisten, James R e s t o n, veranlaßte, zu schreiben, Rockefellers Methoden erinnerten ihn

Senator Goldwater besteht vorläufig noch auf seiner, vor geraumer Zeit abgegebenen Erklärung, er werde sich 1964 nur zur Wiederwahl in den Senat bewerben. Er hat bisher alle Versuche, ihn zur Annahme der Präsidentschaftskandidatur zu bewegen, zurückgewiesen.

... und Kennedy?

Seitdem aber Kennedys Prestige angeschlagen ist und es außerdem gelang, den Eindruck zu erwecken, als ob der Süden sich Goldwater als dem Retter in die Arme werfen möchte, ist der Senator weniger spröde geworden. Noch hat er sich nicht als Kandidat erklärt, aber er entmutigt seine Anhänger nicht mehr. In den letzten Wochen wurde ein Draft-Goldwater-Komitee (Ausschuß zur Einberufung Goldwaters) gebildet. Er wird die Nation mit einem Netz der Propaganda umstricken, damit diese an Goldwater einen Ruf wie Donnerhall richtet, dem dieser sich als guter Patriot nicht entziehen kann. An Geld wird es dem Komitee nicht fehlen.

Den Demokraten gewachsen?

Was kann Kennedy gegen die ihm drohende Gefahr unternehmen? Republikanische Präsidenten sind gewählt worden, obwohl ihre Gegner den Süden in der Tasche hatten. Sie hatten eben eine solide Basis in anderen Regionen. Hat Kennedy eine solche, mit Ausnahme einiger Industriestaaten im Nordosten? Die republikanischen Strategen, die ihre Bäume schon in den Himmel wachsen sehen, gestehen Kennedy gegen Goldwater nicht mehr als maximal 258 Wahlstimmen zu, womit der Senator mit einer Mehrheit von 22 Stimmen ins Weiße Haus einzöge.

Mobilmachung der Farbigen

So irreal solche Berechnungen in diesem Augenblick auch sind, der Präsident muß die Möglichkeit ins Auge fassen, daß die Regel, wonach einem Präsidenten ein zweiter Amtstermin in den Schoß fällt, in diesem Jahrhundert zum drittenmal durchbrochen werden wird. Man möchte annehmen, daß der Präsident im Süden Reserven hat, die bisher noch kaum mobilisiert wurden, nämlich die Neger. Sie können sich von Goldwater bricht viel erwarten. Aber der Mobilisierung der farbigen Wähler stehen zwei Schwierigkeiten entgegen:

• Da ist einmal die reguläre Demokratische Parteiorganisation. Ihren Führern macht es wenig aus, falls ein Republikaner, der ihren reaktionären Anschauungen mehr als Kennedy entspricht, zum Präsidenten gewählt wird, solange sie ihre Macht im Kongreß behaupten. Man muß sich vor Augen halten, daß die präsidentiellen Wahlen und die Kongreßwahlen nur den Zeitpunkt gemeinsam haben, sich aber in zwei verschiedenen politischen Regionen abspielen. Die reguläre Parteiorganisation würde daher ihren Widerstand gegen die Emanzipation der farbigen Wähler nur dann aufgeben, wenn sie diese für die Gewinnung der Kongreßwahlen für notwendig hielte.

Solange die Republikanische Partei im Süden erst im Anfang ihrer Entwicklung steht, hat diese sehr viel bessere Chancen, die präsidentiellen Wahlen, als die zum Kongreß zu gewinnen. • Da ist zweitens die mangelnde politische Reife der farbigen Wähler. Während viele weiße Wähler zwar für Goldwater als Präsident, aber für ihre regulären demokratischen Kongreßvertreter stimmen werden, läge es im Interesse der Farbigen, genau umgekehrt zu handeln. Die südlichen Republikaner sind zwar in ihren rassischen Prinzipien nicht besser als die südlichen Demokraten, sie sind aber Pragmatiker. Die neue Mittelklasse ist bereit, ihre Vorurteile im Interesse der Industrialisierung der Region zurückzustellen. Sie weiß, daß ein ruhiges, von Rassenkrawallen ungestörtes Betriebsklima die Voraussetzung für die Verlagerung von Fabriken ist, im Gegensatz zu den radikalen White Citizen Councils wünscht sie nicht die Abwanderung von Farbigen,

Wandlungen

An Anzeichen für diese geänderte Einstellung fehlt es nicht. So hob der neugewählte Gouverneur von Südkarolina, einem rassisch bisher besonders voreingenommenen Staat, in seiner Antrittsrede die Notwendigkeit einer gerechten Behandlung der Farbigen hervor.

Es läge daher sowohl im Interesse der Farbigen als auch in dem aller fortschrittlichen Elemente, wenn einerseits Kennedy wiedergewählt würde und anderseits die südlichen Republikaner Erfolge bei den Wahlen zum Kongreß erzielten. Damit wäre auch der so notwendige Aufbruch der Parteien gesichert. Es ist nur die Frage, ob das Gros der farbigen Wähler ebenso imstande ist, zu differenzieren wie ihre aufgeklärten Rassegenossen in Birmingham, ohne deren Beihilfe sich die Wachablösung im Rathaus nicht vollzogen hätte.

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