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Kennen Sie Ryukyu?

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Der Dschungelkrieg in Vietnam hat unsere Blicke und Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf sich gezogen, so daß die Zeitbomben, die überall in Asien verborgen sind und reihenweise explodieren können, in Vergessenheit geraten.

Eine davon könnte die Ryukyu- Inselgruppe sein, die insgesamt 72 Eilande umfaßt. Dreißig Inseln sind relativ dicht bewohnt, drei von ihnen sind als Hauptinseln anzusprechen, nämlich Okinawa, Mijako

und Ischigaki, die restlichen 42 Inselchen sind nur sehr spärlich bewohnt. Die Gesamtbevölkenlng Ryukyus beträgt eine Million, jährlicher Zuwachs 20.000. Die Hauptinsel Okinawa beherbergt 85 Prozent der Einwohner, allein in der Hauptstadt Naha leben 250.000 Menschen.

Zu ebener Erde und im ersten Stock

Seit 1952 ist Ryukyu ein „autonomer Staat" unter amerikanischem Schutz. Dieser sogenannte Staat hat ein sonderbares Regierungssystem, nämlich die parallele Existenz zweier Regierungsbehörden: Die „Zivilregierung“ der US-Besatzungsmacht und die „Verwaltungsregierung“ der Ryukyunesen; beide regieren buchstäblich in einem Gebäude — die Amerikaner im 1. Stock, die Ryukyunesen im Parterre.

Theoretisch verfügt letztere über drei Gewalten: Administration, Justiz und Gesetzgebung. Im „Miniparlament“ des Inselreiches gibt es ganze 29 Sitze; davon entfallen 18 auf die Demokratische Partei, sieben auf die Partei der Sozialmassen, einer auf die Sozialistische Partei, einer auf die Volkspartei (KP) und zwei auf die Parteilosen. Der Militärgouverneur der Zivilregierung ist General Watson, der zugleich als der oberste Chef der Ryukyus gilt.

Auf den Inseln sind 60.000 US-

loldaten ständig stationiert. Die In- elgruppe gilt als einer der bedeu- endsten Flugzeugträger im Fernen sten, da sie nicht nur Luftwaffen- ind Marinestützpunkt ist, sondern uch die größte Raketenbasis (Oki- awa) im westlichen Pazifik besitzt. 945 bis 1965 investierten die USA 000 Millionen Dollar in den Ausbau es Stützpunktes. Die Zahl der Be- mten in Watsons Zivilregierung be- rägt 400 Mann, die der Verwaltungs- agierung 13.000. Insgesamt 50.000

Ryukyunesen arbeiten für die Amerikaner, mehr als 150.000 in Naha leben indirekt davon. Die Verwal- tungsregierung erhält jährlich 100 Millionen Dollar als Mietzins für die Militärbasen, zwölf Millionen Dollar Wirtschafltsbeihilfe von Washington und acht Millionen Dollar von Tokio. Durch diese Pumpen wird das Regierungsbudget ausgeglichen.

Amerikanisch und japanisch

Außer Ananas und Rohrzucker hat Ryukyu nichts zu exportieren. Die wichtigsten Konsumgüter werden eingeführt. Vor 1960 betrug der Import 120 Millionen Dollar, bis 1964 stieg die Zahl auf 190 Millionen; 90 Prozent sind japanische Erzeugnisse. 70 Prozent des Exportes fallen ebenfalls auf Japan. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen des Inselvolkes betrug 1954 schon 313 Dollar Im Durchschnitt und steht nach Japan mit 525 Dollar an zweiter Stelle in Asien (Formosa nur 160 Dollar). Tatsächlich ist Ryukyus Wirtschaft heute völlig amerikanisiert. In Naha allein gibt es über 60.000 Zivilfahrzeuge. Als Begleiterscheinung der Anwesenheit der Amis gibt es nun überall Dorotheen, Restaurants (meist chinesisch). Tanzlokale, Wäschereien und — Bordelle.

Die Durchschnittsamerikaner sehen in Ryukyu nichts anderes als

ein primitives Land, wie das in den Film „The Teahouse of the Augusi Moon“ mit Marlon Brando zum Ausdruck kam. Es wird vollkommer vergessen, Ryukyu auch kulturell amerikanisch zu beeinflussen. Japar nützt geschickt diese Lücke in dei Hoffnung, erst nur wirtschaftlich und kulturell, dann politisch ir Ryukyu einzudringen, damit es einst doch wieder „ins Reich zurückkehren“ wird. Heute werden in Ryukyu nur japanische Schulbücher be-

lützt, die Staatssprache ist Japa- üsch, obwohl Ryukyu eine eigene spräche hat.

'm Hintergrund: Peking

Als Sato japanischer Premiermini- ;ter wurde, besuchte er Anfang 1965 lie USA; eines seiner Ziele war die Rückgabe Ryukyus. Das Ergebnis virkte auf die Japaner wie eine satte Dusche. Die diplomatische Nie- ierlage Satos lieferte der KPJ einen lützlichen Vorwand, um die Sato- tegierung unter dem patriotischen Deckmantel zu attackieren. In der lyukyu-Frage spielt Peking eine lunkle Rolle. 1951, als der Friedensvertrag in San Franzisko die „rest- iche (nicht rechtliche!) Oberhoheit“ iber Ryukyu Japan zugesprochen latte, erhob Peking zwar Protest, inderte jedoch plötzlich den Kurs

• um 180 Grad. Um die KPJ zu unterstützen, zog Peking ausnahmsweise einmal seine Gebietsforderungen zurück. Die Pekinger „Renmin Huabao“ (Volksillustrierte) Nr. 2 1966 veröffentlichte sogar eine Landkarte, in der Iwoschima (Vulkaninseln), Ogasawara (Bonininsel) und Okinawa mit „Japan“ bezeichnet wurden. Nationalchina ist jedoch der zunehmende Einfluß Japans auf Ryu-

kyu nicht sehr angenehm.

t Nach der bedingungslosen Kapi-

- tulation Japans, 1945, betrieben i einige Ryukyunesen eine „Zurück-zu- l China-Bewegung“, die jedoch wegen i des Bruderkrieges in China ohne Er-

- folg blieb. 1962 wurde von den Chi- i nesen auf Formosa und in Hong- i kong wieder die Unabhängigkeits- . frage von Ryukyu aufgeworfen. Es . hat heftige Debatten zwischen Tai- . peh und Tokio gegeben. National- . chinas Aufmerksamkeit auf Ryukyu

ist selbstverständlich, da sich der Zwist auf das Wirtschaftsleben nachteilig auswirkt. Bis 1964 konnte Nationalchina nur 2,9 Millionen Dollar au d m Ryu yu-Geschäft erzielen, "da der größte Teil des Exportes, wie schonerwähnt,. .mach Japan geht. Nationalchinas Abneigung gegen Japan wird immer größer.

Zu China oder Japan?

China hat die japanische Souveränität über Ryukyu nie anerkannt. In den chinesischen Büchern wird Ryukyu nie als japanisch bezeichnet. Roosevelt hat Tschiang sogar während der Kairoer Konferenz, 1943, noch angeboten, Ryukyu zusammen mit Formosa wieder an China zurückzugeben; damals jedoch hatte Tschiang kein Interesse daran. August vergangenen Jahres stattete Sato einen Besuch in Ryukyu ab und wurde von den linksgerichteten Ryukyunesen mit der Parole „Ryukyu sofort zurück zu Japan“ begrüßt. Diese Tatsache löste bei allen freien Chinesen in der ganzen Welt, besonders aber auf Formosa und Hongkong, Unruhe aus. Daher fordern sie immer heftiger die Unabhängigkeit ’ Ryukyus, mit dem Argument, daß die ' „Zurück-zu-Japan-Bewegung“ keine echte Volksmeinung sei, sondern nur von den Linken inszeniert wird. Die echten Nationalisten Ryukyus wer-

• den immer mehr in den Hintergrund gedrängt.

: Eine Hongkonger Zeitschrift for- s derte, daß Nationalchina, die USA, s Japan und die Philippinnen die Un-

abhängigkeit sowie die Neutralität i Ryukyus mit einem völkerrecht-

Höhen Vertrag garantieren, um den i Streit zwischen Nationalchina und : Japan über Ryukyu endlich zu been- i den. Die Beziehungen Taipeh-Tokio

sind nicht nur durch den Handel

Japans mit Rotchina, sondern auch ‘ durch die Ryukyu-Frage schwer belastet, so daß es nicht einfach sein

, wird, in diesem Eckchen der Welt i einen gleichen Nenner zu erzielen.

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