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Kirche, Kroatien und der Krieg

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Bol auf der Insel Brac, südlich von Split, ist seit vielen Jahren eines der Ziele der Ferienaktion der Katholischen Männerbewegung (KMB). Diesmal erlebten die KMB-Urlauber in Kroatien die größte militärische Aktion seit 1991. Das Dominikanerkloster Bol ist seit zwei Jahren auch Sitz der Theologischen Fakultät Sarajewo.

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Bol auf der Insel Brac, südlich von Split, ist seit vielen Jahren eines der Ziele der Ferienaktion der Katholischen Männerbewegung (KMB). Diesmal erlebten die KMB-Urlauber in Kroatien die größte militärische Aktion seit 1991. Das Dominikanerkloster Bol ist seit zwei Jahren auch Sitz der Theologischen Fakultät Sarajewo.

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Donnerstag, 3. August: Gespräch im Dominikanerkloster in Bol mit Bischof Pero Sudar aus Sarajewo: „Ihr im Westen verdient die Grenzen Großserbiens. Knapp vor Graz und Triest könnt ihr dann erleben, wie es in diesem System mit den Menschenrechten bestellt ist.”

Beim Bischof und anderen Gesprächspartnern ist eine gewisse Verbitterung zu spüren. „Humanitäre Hilfslieferungen sind kein Ersatz für die verlorene Heimat. Wir brauchen eine politische Lösung, die zunächst den vertriebenen Kroaten die Heimkehr ermöglicht. Die UNPBOFOB hat diese Aufgabe übernommen. Geschehen ist in vier Jahren nichts.”

Der Beitrag eines kroatischen Gastarbeiterseelsorgers aus Norddeutschland: „In den europäischen Ländern gibt es aus innenpolitischen Bücksichten (Wahltermine...) kaum eine effiziente Außenpolitik, die über den Gruppenegoismus hinausgeht. In dieser Erkenntnis ist es den Serben leichtgefallen, Gewalt anzuwenden. Wir haben inzwischen von Europa gelernt, daß es nicht darum geht, wer im Recht ist, sondern darum, wer der Stärkere ist. Man beugt sich nicht erst seit Srebrenica vor der Gewalt - trotz aller UNO-Garantien.”

Bischof Sudar: „Wenn es um das Leben von Menschen und die Wahrung der Menschenrechte geht, ist es auch aus christlicher Sicht legitim, die Aggression mit Gewalt zu stoppen.”

Bei diesem Gespräch wird auch die Berichterstattung in den Medien massiv kritisiert: Der Ausdruck „Bürgerkrieg” erweckt logischerweise den Eindruck, daß das Ausland nur bedauernd zuschauen könne. Daher auch keine Bede von Notwehrrecht und Beistandspflicht. Das Wort „Kriegsparteien” läßt vermuten, daß es sich um gleich starke Gegner handelt. Viele Gebiete sind, wie es heißt, „unter serbischer Kontrolle”. Kontrolle ist ja gut und notwendig. Aber nicht einmal die UNO weiß, wieviele Kroaten in den gewaltsam besetzten Gebieten leben.

Man weiß nichts und kann zum Beispiel Verwandten in Knin, Petrinja und so weiter nicht helfen. Die Katholiken in der Region Banja Luka -so berichtet wieder Bischof Sudar -sind seit dem militärischen Erfolg der Kroaten in Westslawonien besonderen Bepressalien ausgesetzt. Bischof Komarica stehe noch immer unter Hausarrest. Auch dies sei eine Form „serbischer Kontrolle”.

Abendnachrichten im Fernsehen: Serbische Granaten treffen Zivilisten am Strand von Dubrovnik. Ein Kroate erinnert sich an das Jahr 1991: Ein serbischer Scharfschütze bekam von einem Kameraden eine Schachtel Zigaretten versprochen, wenn er vom Berg herunter ein Haus in Dubrovnik trifft.

Diese Bilder erinnern mich an meinen Dalmatien-Aufenthalt im Sommer 1993, als Nacht für Nacht Dubrovnik, aber auch die Küstenstraße zwischen Zadar und Sibenik von serbischen Granaten beschossen wurde. Die Maslenica-Brücke wurde zum Symbol für den serbischen Versuch, den Norden und den Süden Kroatiens zu trennen.

Freitag, 4. August: Ich schalte um 7.30 Uhr das Badio ein: Kriegslieder, Märsche, Heimatlieder. In den Nachrichten ein Bericht über serbische Angriffe auf 17 kroatische Orte. Dann die Erklärung Präsident Franjo Tudj-mans: „Kroatien war in diesem Jahrhundert schon Opfer des Faschismus, des serbischen Hegemoniestrebens und seit 1991 der serbischen Aggression. Man kann diesen unerträglichen Zustand nicht länger hinnehmen. Kroatien will in Frieden leben. Die besetzten Gebiete sind mit friedlichen Mitteln nicht zurückgegeben worden. Jetzt wird Kroatien das Gebiet selbst befreien. Die Serben haben nichts zu befürchten. Sie sollen im Land bleiben, sich aber nicht mit den Extremisten verbünden. Kroatien garantiert ihnen Schutz entsprechend den Menschenrechten und der kroatischen Verfassung.”

Bis Mittag herrscht eine bange Stimmung. Vinko, ein Busfahrer: „Ich habe einen Sohn an der Front. Warum hat die UNO ihren Worten keine Taten folgen lassen? Wir wehren uns nur. Wir wollen nichts erobern.” Bereits zu Mittag kommen trotz der offiziellen Nachrichtensperre Gerüchte, daß Petrinja von der kroatischen Armee eingenommen sei. Dolores, die Rezeptionschefin im Hotel Elophusa: „Wenn das stimmt, können sie ja nicht mehr auf Zagreb schießen.” Ich kann wie viele andere Österreicher die Erleichterung verstehen, weil ich in den letzten vier Jahren oft in Kroatien war und das Gefühl der Bedrohung auf den Straßen bei Gospic und so weiter auch erlebt habe.

Samstag, 5. August: Zuversicht und Erleichterung: „Knin ist wieder kroatisch.” Am Abend gibt es in Bol wie jedes Jahr das Pfarrfest Maria Schnee. Aber diesmal mit einer besonderen Stimmung. Die Leute singen, tanzen, umarmen einander. Wir schließen uns ihrem Tanz auf der Straße an.

Auf dem Weg nach Hause stellt sich uns eine bange Frage bezüglich der Opfer: Es steht zwar außer Streit, daß wir für bestimmte Werte auch Opfer bringen müssen. Das Leben vieler Serben und Kroaten hätte aber gerettet werden können, wenn Europa der Gewalt schon von Anfang an Einhalt geboten hätte.

Samstag, 6. August: Heimreise nach Graz, TV-Sendung „Talk im Turm”. Die Grün-Abgeordnete Kerstin Müller verurteilt die kroatische Offensive. Ihr gutes Becht. Aber sie hat nicht das Recht, Fakten zu ignorieren oder so unvorbereitet an einer Diskussion teilzunehmen. Eine ideologische Brille ist kein Ersatz für Sach -kompetenz.

Montag, 7. August: Erstaunt lese ich die Überschrift im „profil”: „Franjo Tudjman stürzt Europa in die Krise”. Blanker Zynismus den Tausenden Opfern gegenüber. Wer sich wehrt, stört den Frieden.

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