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Kleine Koalition?

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Die Stadt ist voller Gerüchte. Seit Bundeskanzler Dr. Klaus auf seiner vorweihnachtlichen Pressekonferenz, die einem Rückblick auf die Leistungen der monocoloren Regierung gewidmet war, auch eine Bemerkung über neue Aufgaben und neue Männer machte, wurden zahllose Vermutungen über eine Umbildung der Bundesregierung laut und Kombinationen ohne Ende angestellt. Gleichgültig, ob in Salons oder Parteisekretariaten, in Redaktionen oder an Biertischen: alle, die in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag in der Bundeshauptstadt zurückgeblieben waren, beteiligten sich an jenem Spiel, das dem Österreicher nach dem Rätselraten um die Person eines neuen Operndirektors das liebste ist. „A geht.“

— „Nein, er bleibt, wechselt alber in das bisher von B besetzte Ressort hinüber.“ — „B geht nämlich bestimmt.“ — „Aber was sagen Sie, der ist doch durch C zementiert.“ — „Aber C selbst soll wackeln.“ — „Unerhört.“ — „Ja, ganz bestimmt. Ich kenne nämlich einen ... im..., der hat einen Schwager bei der... und dieser kennt den Portier von...“ „Dafür ist D deutlich im Kommen.“

— „Daß ich nicht lache, das wird der E niemals zulassen.“

So und ähnlich werden die politische Phantasie beflügelnde „Vater,-Vater-leih'-ma-d'-Scher-Spiele“ unter Erwachsenen betrieben. Aber werden wir wieder ernsthaft.

Schon die nächsten Tage oder Wochen können zeigen, ob der Regierungschef tatsächlich mit Um-bauplänen für sein Kabinett aus dem verdienten Weihnachtsurlaub zurückgekehrt ist. Dr. Klaus steht hierbei vor einer großen Schwierigkeit. An und für sich müßte es dem Tenor der bisherigen „Öffentlichkeitsarbeit“ der Regierungspartei, die ihre Erfolge nicht unter den Scheffel zu stellen pflegt, widersprechen, einen Personenwechsel im Kabinett vorzunehmen. Eine Mannschaft, die gut im Rennen liegt, tauscht logischerweise niemanden aus. Auf der anderen Seite ist gerade in den letzten Monaten innerhalb der Volkspartei einiges in Bewegung gekommen. Will und wird der Bundesparteiobmann und Regierungschef gleich dem von Wölfen bedrängten Kutscher auf nächtlicher Winterfahrt, der Meute einen, vielleicht auch zwei oder mehrere der bisherigen Gefährten opfern, um sein Gefährt sicher ans Ziel zu bringen?

Wie immer: Der Entschluß ist schwer und risikoreich. Eine Trennung von dem nicht nur in akademischen Kreisen wohl angesehenen Justizminister Dr. Klecatsky könnte zum Beispiel direkt als eine Revision/ der vor und nach den Nationalratswählen proklamierten „Entpolitisie-rung der Justiz“ ausgelegt werden. Und darf man Innenminister Doktor Hetzenauer zu einem Aus- oder nur Umzug aus der Herrengasse veranlassen, weil für ihn in verschiedenen trüben Angelegenheiten der vergangenen Monate „Sachlichkeit“ eben mehr als ein Schlagwort war?

Ähnliche Überlegungen gelten für das Außenressort. Dr. Toncic-Sorinj mag vielleicht gelegentlich über das, was man bei uns „öffentliche Meinung“ nennt, souverän hinweggehen, aber wenn in den im vergangenen Sommer einsetzenden neuen Bemühungen zur Lösung der Südtirolfrage nicht das erwartete Tempo durchgehalten werden konnte, so liegen die Gründe bestimmt nicht bei seiner Person. Ganz zu schweigen davon, daß der Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten seine Aufgabe, im Ministerrat sowie in allen interministeriellen Besprechungen als Wahrer der Neutralitätspolitik aufzutreten, sehr ernst nimmt. Es mag sein, daß man sich damit nicht überall Freunde macht. Jedoch auf einen solchen Mahner aber ist schwer zu verzichten. Ganz zu schweigen davon, daß ein Ministerwechsel gerade im Außenressort leicht im Ausland zu Kombinationen, ja Mißdeutungen Anlaß geben könnte und es schwierig sein wird, alle Zweifel darüber zu beseitigen, daß ein Ministerwechsel noch keinen Kurswechsel bedeutet. Die Volkspartei hat außerdem, nachdem sich Dr. Karasek derzeit erst in ein neues Aufgabengebiet einarbeitet, nicht gerade eine. große Reserve an Männern, die in der internationalen Arena bestehen können und deren Name allein schon eine geradlinige Fortsetzung der Neutralitätspolitik garantiert.

Apropos Namen... Der Name von UnteriticMsminister Doktor Piffl-Percevic wird in manchen Kombinationen im Zusammenhang mit einem Wechsel seines Ressorts gebracht. Es ist sehr fraglich, ob man einem Mann von der Geradlinigkeit Dr. Piffl-Percevic' einen solchen „Umzug“ überhaupt zumuten könnte. Auch hat der Unterrichtsminister sich in den letzten Jahren so gut am Minoritenplatz eingearbeitet, daß er selbst nicht wenige von jenen, die ihn am Anfang nicht unter einem Triumphbogen empfingen, seither von der Gediegenheit und Noblesse seiner Amtsführung überzeugen konnte.

Und Prader? Es ist ein offenes Geheimnis, daß der gegenwärtige Verteidigungsminister mit einem nicht geringen Teil des Offizierskorps nicht gerade in einem fruchtbaren Gespräch steht. Persönliches „Steh-vermögenf alber werden dem robusten Hausherrn der Domiciikamer-bastei selbst seine grimmigsten Gegner nicht absprechen können. Dazu hat er sich als Taktiker geschickt hinter die Sperrfeuerglocke des ÖAAB begeben. Ein Ministerwechsel im Verteidigungsressort dürfte nur im Rahmen eines größeren Arrangement mit der Laudongasse möglich sein.

Einer sieht dem möglichen Regie-rungsringelspiel mit Gelassenheit entgegen: Staatssekretär Dr. Toms, dessen ganz Bemühungen bei dem Zustandekommen der neuen Regelung der verstaatlichten Industrie im Rahmen des neuen ÖIG-Gesetz-1 werkes dahingingen, sich selbst im Kabinett möglichst bald „unnötig“ zu machen. Dr. Taus wird der Politifcerklausel des neuen Gesetzwerkes folgen und in absehbarer Zeit seine Reigierungsfunktion zurücklegen, um die verantwortungsvolle Aufgabe der Leitung der Staateindustrie zu übernehmen. Er ist jung genug, um mit diesem Abschied nicht einen Abschied von der hohen Politik für immer zu verbinden.

Ein Name taucht immer wieder in Kombinationen auf. Es ist der des einstigen Außenministers Dr. Karl Gruber, der nach langjähriger Abwesenheit von Österreich nun als Staatssekretär im Bundeskanzleramt tätig ist. Nicht selten erregt dieser Name im Zusammenhang mit einem Ministerium Verwunderung. Ist doch bekannt, daß Gruber das mangelt, was bei allen Politikern in vorderster Front sonst „lebensnotwendig“ ist: die stärkere Verankerung in einem Bund oder eine solide Hausmacht. Auch hat Staatssekretär Gruber es bisher nicht für notwendig gefunden, bei jenen, die ihn im November 1953 ohne Träne ziehen sahen, die Existenz eines „neuen Dr. Karl Gruber“ glaubhaft zu machen.

Aber jenseits des Behaltens oder Verlierens von Ministersesseln steht möglicherweise eine Weichenstel-lung in der österreichischen Innenpolitik bevor, die bisher von der Öffentlichkeilt wenig, viel zuwenig beobachtet wurde. Es ist eine Tatsache, daß die relativ knappe Mehrheit von 85 Abgeordneten gegenüber 80 der Opposition (74 Sozialisten und sechs Freiheitliche) manchen Exponenten der Regierungspartei im wahrsten Sinn des Wortes „auf die Nerven geht“. Es ist bestimmt alles andere als ein Kinderspiel — Generalsekretär Dr. Wit-halm weiß ein Lied davon zu singen—, die zum Schutz der Regierung notwendige Mehrheit jederzeit gegen einen Überraschungsangriff der Opposition im Parlament zu „kasernieren“.

In einer solchen Situation reift nicht nur gelegentlich so etwas wie Heimweh nach den Zeiten der großen Koalition, es werden auch da und dort Gedankenspiele angestellt, ob und wie die VP-Mehrheit „aufgebessert“ werden könnte. Leute, die das Gras wachsen hören, sprechen bereits von einer Entwicklung zu eimetr kleinen Koalition ÖVP-FPÖ hin. Das mag stark übertrieben sein. Wir glauben nicht, daß verantwortungsbewußte Kräfte in der VP auch nur mit dem Gedanken spielen, die FPÖ durch eine Regierungsbeteiligung aufzuwerten. Eine solche kleine Koalition auf Regierungsebene fände außerhalb und innerhalb der Volkspartei bestimmt heftigen Widerspruch. Deshalb wäre es denkbar, daß die Protagonisten einer solchen Entwicklung schlauer zu Werke gehen möchten. Eine Koalition ÖVP-FPÖ? Nein, beileibe nicht; etwas anderes ist es, „gelegentlich“ die Abgeordneten der FPÖ für Vorlagen der Regierung und Initiativen der VP zu gewinnen. Aus dem „gelegentlich“ könnte dann ein „öfter“ werden und binnen einem Jahr wäre dann ohne viel Aufhebens eine solche „kleine Koalition“ auf Parlamentsebene installiert. Es stünde dann 91 zu 74. Mit einem solchen parlamentarischen FPÖ-Polster ließe es sich bestimmt für die Regierung besser leben. Ohne Zweifel. Aber was wäre der Preis?

Niemand darf annehmen, daß die FPÖ ihre Stimmen verschenkt.

Der SPÖ hat es Anno 1962 eine Million gekostet. Was müßte heute die Volkspartei für eine solche kleine Koalition auf Parlamentsabene berappen? Wir denken nicht nur an Schillinge. Viel, gefährlicher scheint uns der politische Kaufpreis, der für einen solchen Kandel ohne .Zweifel zu bezahlen wäre. Er hieße nämlich zwangsläufig zumindest eine verstärkte Duldsamkeit von seiten der Regierungspartei gegenüber jenen „freiheitlichen Zielsetzungen“, für die Abgeordneiter Peter in sedner Neu Jahrserklärung schon die Stimmen seiner Partei in Aussicht stellte. Freiheitliche Zielsetzungen? Sind damit jene „kornblumenblauen“ Gedankengänge zu verstehen, die man in letzter Zeit in der FPÖ wieder stärker zu akzentuieren pflegt. Auch eine kleine Partei kann einer großen, die sie bei guter Stimmung halten will, mitunter das Gesetz des Handels diktierten. Dürfte die FPÖ vielleicht eines Tages besrtimmen, welche Männer in der Volkspartei für sie „tragbar“ wären?

Allein der Gedanke erweckt heftigen Widerspruch. Widerspruch nicht zuletzt auch bei jenen Wählern, die der Volkspartei als Partei der sozialen Mitte und eines kraftvoll vertretenen patriotischen Öster-reichertums einen klaren Wählerauftrag gegeben haben.

Dieser darf nicht verfälscht werden. Darüber waren sich alle einig, als noch die große Koalition zur Debatte stand. Er darf auch nicht verbogen werden: Daran muß angesichts eventueller Bemühungen, in Richtung FPÖ erinnert werden.

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