Entwaldung Brasilien - © Foto: Getty Images / Bloomberg / Jonne Roriz

Klima: Natur - Heimat und Opfer

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Der Mensch verursacht Klimaerhitzung und Massensterben. Eine Änderung muss her. Doch wie soll sie aussehen und wie tief muss sie gehen? Ein Essay zur Dringlichkeit.

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Der Mensch verursacht Klimaerhitzung und Massensterben. Eine Änderung muss her. Doch wie soll sie aussehen und wie tief muss sie gehen? Ein Essay zur Dringlichkeit.

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Menschen sind eine invasive Spezies, sie dringen in neue, unbekannte Räume vor, physische wie mentale, freiwillig oder erzwungen, setzen sich dort fest, verändern und gestalten diese Räume – manchmal mit offener Gewalt, manchmal subtil. Diese invasiven Veränderungen wurden seit rund 200 Jahren immer mehr und umfangreicher.

Manche sprechen deswegen von einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän, ein Ausdruck, den schon 1873 der italienische Anthropologe Stroppani vorschlug. 2008 erklärte die Geological Society of London, die älteste wissenschaftliche Gesellschaft für Geologie, dass die Zunahme an Treibhausgasen, die Übersäuerung der Ozeane und die Folgen der industriellen Landwirtschaft – also Artensterben, Verdrängung der Vegetation und Abwanderung von Arten – eine bisher nie dagewesene Veränderung des Planeten durch menschliche Aktivitäten geschaffen habe.

Das bekommt man hautnah zu spüren: Dieser Winter war laut ZAMG der achtwärmste Winter seit Beginn der modernen Messungen 1850. Allein im Februar legten Stürme dreimal den innereuropäischen Verkehr weitgehend lahm – Flüge und Züge fielen aus. Klimaerhitzung – so nennt es die ZAMG – ist nur ein Symptom der Veränderung des Planeten. Früher ärgerte man sich über die kleinen Insekten, die im Sommer abends an die Windschutzscheibe knallten oder einem beim Radfahren ins Auge flogen. Heute gibt es kaum mehr welche. Die fliegenden Edelsteine, die Schmetterlinge, sind in den letzten hundert Jahren um mehr als die Hälfte reduziert worden – wann haben Sie den letzten gesehen? In Österreich sind in den letzten zwanzig Jahren rund 40 Prozent der Vögel verschwunden. Und so weiter.

Ölkonzerne als Klimaexperten

Massensterben gab es in der Erdgeschichte mehrere, aber dieses „Sechste Massensterben“ geht aufs Konto menschlicher Aktivitäten. Der Kabarettist Franz Hohler schrieb 1973 seinen Song vom Weltuntergang: ein unangenehmer Käfer auf einem fernen Atoll im Pazifik stirbt aus, alle freuen sich. Doch dies ist der winzige Beginn des Endes der Nahrungskette und es folgt ein großes Sterben. Die Ursache: in Hohlers Weltuntergangstext starb der Käfer an durch fossile Brennstoffe verseuchter Nahrung.

Früher ärgerte man sich über die kleinen Insekten, die abends an die Windschutzscheibe knallten oder einem beim Radfahren ins Auge flogen. Heute gibt es kaum mehr welche ...

Das klang 1973 nach Satire. Tatsächlich warnten bereits 1965 amerikanische Wissenschaftler die US-Regierung vor den Folgen fossiler Treibstoffe. Exxon errechnete 1982, dass bei deren zunehmender Verwendung 2060 die Temperatur global um zwei Grad gestiegen sein würde; 1988 errechnete Shell diesen Temperaturanstieg bereits für 2030 und warnte vor Überflutungen, Verlust von Wasserreserven und Erhitzung. Die Studien wurden von den Erdölfirmen unter Verschluss gehalten und gelangten erst in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit.

2030 – das ist heute in acht Jahren. Die Klimakonferenzen des letzten Jahrzehnts warnen, dass die Erhitzung des Planeten bald nicht mehr umkehrbar ist. Ich frage mich, in welcher Welt die Kinder, die jetzt auf die Welt kommen, werden leben müssen. Überflutungen, Hitze, Stürme – sollen wir uns also auf eine Höllenfahrt vorbereiten? Von Alfred Polgar – aus einem Stück namens „Kasperles Höllenfahrt“ – soll der berühmte Satz stammen: Es ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

Diese Devise scheinen viele zu verfolgen – da es nicht mehr so leicht möglich ist, die Klimakatastrophe zu leugnen, haben sich große Firmen wie Shell und andere auf Greenwashing verlegt, also auf PR-Strategien, die das Firmen-Image „grün“ färben. Die heftigen Diskussionen in der EU, welche Energieformen als „nachhaltig“ gelten dürfen, sind durch den Überfall Putins auf die Ukraine rasch beendet worden.

Man möchte aus dem russischen Gas heraus – aber als Ersatz fallen vielen Politikern nur Kohlekraftwerke ein. Oder: die Pendlerpauschale ist nicht nur sozial ungerecht, sondern fördert die Klimaerwärmung. Mit anderen Worten: Wie eine lebenswerte Zukunft, und das heißt die notwendige Reduktion der Klimaerwärmung, aussehen könnte, darüber haben die Entscheidenden in der EU und in Österreich bisher offenbar nicht nachgedacht. Damit eine wirkliche Veränderung möglich wird, braucht es mehr als Systemkosmetik und technische Lösungen, die wie „Schmerzmittel für den Klimawandel“ (Blaz Gasparini) funktionieren.

Auf der Suche nach den tieferliegenden Wurzeln, aus denen die Klimakrise erwachsen konnte, stößt man rasch auf die Anfänge der Naturwissenschaft. Der Staatsmann und Philosoph Francis Bacon schrieb 1620, man müsse die Natur gefügig und zur Sklavin machen; man solle sie auf ihren Irrwegen mit Hunden hetzen und solange auf die Folter spannen, bis sie ihre Geheimnisse preisgebe.

Zudem galten Geiz und Gier im aufsteigenden Kapitalismus nicht mehr als Laster, sondern als Tugenden. Der Umgang mit dem Natürlichen ist – wie Bacons Bild zeigt – von ökonomischen Interessen geleitet: das Natürliche, Lebendige hat nur Berechtigung als Produktivkraft im Dienste des (National-)Staates, der Herrschenden, des Geldes. Statt die Natur als Sklavin und Gefangene weiter auszubeuten, muss man dem Lebendigen, Natürlichen wieder eigene Rechte zugestehen. Bereits 1972 forderte der vor kurzem verstorbene bedeutende US-Rechtswissenschafter Christopher D. Stone, dass Bäume, Flüsse, Landschaften, die lebendige Natur Rechtsstatus haben, also als juristische Personen anerkannt werden sollen.

Dies hat nichts mit Romantik zu tun. Die Klimakatastrophe, die als Folge der Versklavung der Natur entstanden ist, führt – wie immer deutlicher zu sehen ist - zum Zusammenbruch der Bedingungen, unter denen Menschen gedeihen können. Die Eigenrechte der Natur zu berücksichtigen, heißt die Lebensbedingungen für die Gattung Mensch im Zusammenleben mit allen anderen Gattungen durch Rechtsnormen zu stabilisieren.

Die Natur wahrnehmen

Dazu muss man Natur überhaupt erstmal wahrnehmen. Doch hat die Umgebung Auswirkungen aufs Denken: längere Aufenthalte in freier Natur beruhigen und inspirieren, anders und freier zu denken. Doch die meisten Menschen in den Staaten des Nordens verbringen ungefähr 90 Prozent ihrer wachen Zeit in geschlossenen Räumen, bestenfalls mit ein paar Zimmerpflanzen. Dabei geht es dringend um neue Formen des Zusammenlebens – Klimagerechtigkeit ist untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit verbunden. Das ökonomische Kalkül zerstört das Gemeinsame von Natur und Menschen.

Deswegen geht es um neuen Formen des Austauschs, um Anerkennung und Solidarität, sagen die Initiatoren des Konvivialistischen Manifests (siehe www.konvivialisten.de). Convivium ist das antike Gastmahl, bei dem alle über Essen, Trinken und Gespräch miteinander in Beziehung kommen. Der Planet Erde gewährt den Lebewesen das Große Gastmahl, einen Austausch, der für alle reicht, wenn richtig geteilt und genossen wird. Der Planet Erde ist Heimat, patrie, sagt der französische Philosoph Edgar Morin, der heuer hundert Jahre wurde (auf ihn beruft sich die Kampagne „Heimatland Erde“ auf aspr.at). Es ist dringendst nötig, über den nationalstaatlichen Tellerrand zu blicken und planetar orientiert zu denken, zu fühlen und zu handeln. Natur und Klima sind Nationalstaatsgrenzen egal.

Die Autorin ist Philosophin, Autorin und Kuratorin des Symposions Dürnstein.

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