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Klubzwang und Korruption

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In der „Furche“ vom 16. November 1963 schrieben Dr. Josef A. Tzöbl unter dem Titel: „Vorsicht: Sterngucker!“ und Johann Schwabl unter „Korruption, die ich meine“ je einen Aufsatz, mit deren Inhalt jeder die Demokratie und den Rechtsstaat bejahende Österreicher weitgehend einverstanden sein muß, die beide aber eine Ergänzung vertragen. Dr. Tzöbl schreibt über die parlamentarische Klubdisziplin und Johann Schwabl über den im Antikorruptionsgesetzentwurf der SPÖ nicht definierten Begriff „Korruption“.

Aus einer langjährigen parlamentarischen Erfahrung heraus bejahe ich die Klubdisziplin im Parteienstaat j ich teile aber eben aus dieser Erfahrung heraus auch die Forderung Dr. Tzöbls, daß „die Willensbildung des Abgeordneten nicht unbegrenzt beschränkt werden darf“. Dieser Forderung ist aber gleich die Frage anzuschließen, wer sich in unseren Parlamentsklubs denn dieser unbegrenzten Beschränkung schuldigmacht? Wenn wir darauf in aller Bescheidenheit eine Antwort geben dürfen, dann war es bisher zumindest der ÖVP-Parlamentsklub nicht. Wir haben in diesem Klub Zeiten erlebt, in denen die Klubführung sehr straff und sogar ein wenig autokratisch war, und wir erlebten auch solche, in denen man die Zügel lockerer handhabte. Aber nie erlebten wir, daß die Klubführung in die Gewissenssphäre des einzelnen Abgeordneten eingegriffen hätte. Gewiß war bei jeder Klubführung immer der Wunsch nach Erzielung einer geschlossenen Meinung vorherrschend; von Sanktionen gegen eine eigene Meinung hörten und fühlten wir aber nie etwas. Aber erlebt haben wir es wiederholt — und ich war sogar selbst ah solchen Vorgehen beteiligt —, daß sich einzelne Abgeordnete der mehrheitlichen Klubmeinung einmal nicht anschlossen und bei Abstimmungen zum Beispiel den Saal verließen. Man mag ein solches Verhalten vielleicht als einen nur halben Protest werten und ihn weder warm noch lau schelten, aber es war ein eigener Gang, und ein anderes Vorgehen war in den uns erinnerlichen Fällen nicht möglich, weil eine andere Partei auch keine für diese Abgeordneten akzeptable Lösung bot, für die man — jetzt von der Parteidisziplin ganz abgesehen — hätte stimmen können. Uns ist nun kein Fall bekannt, daß wegen einer solchen Außenseiterei einem einzigen Abgeordneten Unbill widerfahren wäre.

Ein Ausweg

Ganz natürlich bietet sich nun ein Ausweg aus dem „Dilemma Klubzwang“ an: in grundsätzlichen Fragen absoluter Klubzwang, in alllen anderen Fragen aber Auflockerung des Abstimmungszwanges.

Gewiß, eine solche Praxis wirft mindestens zwei schwierige Problemkreise auf. Einmal die Kardinalfrage, ob in der Politik nicht schließlich jedes Problem nur von der Seite der Grundsätze her allein richtig und dauernd gelöst werden kann, und zum zweiten die Frage, ob durch etwa provozierte Zufallsmehrheiten nicht für den Staat oder einzelne Stände vermeidbare Belastungen oder unvertretbare Bevorzugungen geschaffen und der Demagogie Tür und Tor, durch die sehr wohl das Gesamt- wie das Partei- Wohl geschädigt werden können, geöffnet wird.

Zur ersten Frage ist zu sagen, daß sich der Parlamentsklub bei jedem Beratungsgegenstand die Frage nach der Grundsätzlichkeit vor der meri- torischen Beratung beantworten müßte. Während meiner parlamentarischen Tätigkeit gab es im ÖVP- Klub niemals eine machtpolitische Zusammensetzung — und heute ist das auch nicht der Fall —, die einer einzelnen Standesgruppe gegenüber einer anderen ein Oktroy gestattet hätte. Von der Seite her droht also durch einen Beschluß über Grundsätzlichkeit niemandem Gefahr. Die Klubführung hätte es allerdings wesentlich schwerer als heute, und vielleicht müßte sogar manche zeitliche Verzögerung in Kauf genommen werden. Aber die Geister würden sich messen und schärfen, und die Einheit im Grundsätzlichen würde profitieren. Einen solchen Modus vivendi könnte man also mindestens diskutieren.

Die zweite Schwierigkeit aber halten wir deshalb für ungefährlich, weil man wegen ihrer Beachtung wahrscheinlich stärker als es hin und wieder in der Vergangenheit war, gezwungen wäre, aufeinander Rücksicht und in die Lage anderer Bevölkerungsgruppen Einsicht zu nehmen. Eine solche Praxis aber schadet weder den Abgeordneten noch ihrer Partei und auch nicht der gesamten Bevölkerung und dem Staat.

Die problematische „Intervention“

Schwabl begrüßt den Kampf gegen Korruption vom sittlichen und volkswirtschaftlichen Standpunkt —

und hier wird ihm wohl jedermann zustimmen — und sagt dann wörtlich:

„Gutzuheißen ist besonders, daß man auch das Vorgehen der ,Pres- sure groups',. das demonstrative Einsetzen von Lobbyists, von gewerbsmäßigen Intervenienten, unter Strafsanktion stellen lassen will; hier taucht freilich die Frage auf, ob es nicht etwa auch die Aufgabe der Mandatare ist, zu intervenieren, zu welchem Zweck sie sogar honoriert werden.“

So sehr jedes Auftreten gegen echte Korruption zu begrüßen ist, so unglücklich ist aber die Formulierung, daß die Abgeordneten für ihre Interventionstätigkeit „sogar honoriert werden“. Hier halte ich es geistig vielmehr mit Dr. Tzöbl, der im besprochenen Aufsatz sagt, daß „die Ausübung der Gesetzgebung“ (für welche Tätigkeit wohl zuerst die Aufwandentschädigung an Abgeordnete geleistet wird) „durch die unabhängigen Abgeordneten die Seele der Demokratie ist“. Jawohl, der Gesetzgebung, für welche Arbeit die Zeit nicht durch das sattsam bekannte „Schnallendrücken“ beeinträchtigt werden soll, so daß dann die gewiß schätzenswerten Beamtenentwürfe einfach durch die Abgeordneten sanktioniert werden müssen, weil zu deren Studium gar keine Zeit mehr übrigbleibt. Ist denn nicht die ganze, heute überdimensionierte Interventionstätigkeit der Abgeordneten überhaupt problematisch? Was alles wird heute an einen Abgeordneten zur Erledigung herangetragen! Da kann es dann passieren, daß ein Abgeordneter, der aus einem durchaus honorigen Grund einmal eine geforderte Intervention übernommen hat, von einem Beamten, der an der Erledigung des Interventionsfalles beteiligt ist, darüber belehrt werden muß, daß der „Herr Abgeordnete das Gesetz ja selbst mitbeschlossen habe und jetzt nicht verlangen könne, daß es ein Beamter solange dehnt und deutet, bis wohl der Wunsch des Interventionsforderers erfüllt, der Sinn des Gesetzes aber gebeugt ist“. Das wäre nicht nur blamabel, sondern in einem Rechtsstaat auch gefährlich.

Natürlich hängt die Übernahme einer Intervention vom Abgeordneten ab, aber auch er ist ein Mensch mit menschlichen Vorzügen und Schwächen; auch er soll unter Beweis stellen, daß er etwas vermag; auch ihn soll und muß gesunder Ehrgeiz beseelen; auch er will seiner politischen Gesinnungsgemeinschaft nützlich sein und, vor- allem: auch ihn sprechen individuelle Bedrängnis und menschliche Not an. Das alles aber kann zur Fehlerquelle bei Interventionen werden, und darum ist der Abgeordnete als „honorierter Intervenient“ abzulehnen. Er ist Volksvertreter, gewiß, aber er soll zuerst das Volk in seiner Gesamtheit gegen die Übermacht des Staates und seiner Verwaltung durch Mitarbeit an der Schaffung einer solchen Ordnung des Zusammenlebens, die möglichst keinen Staatsbürger benachteiligt, schützen, und soll nur intervenieren müssen, wenn das Recht, das er mitsetzen half, von anderen in Unrecht verwandelt wurde oder zu werden droht.

Ein schwimmender Begriff

Und ein letztes Wort, zur Bekräftigung von Johann Schwabl, zum Kapitel Korruption.

Was ist Korruption?

Diese Frage stelle ich an Hand eines erlebten Beispiels.

Ein österreichischer Großverbraucher erhielt von einem ebenfalls österreichischen Großhändler einen Mengenrabatt von 33 Prozent. Eines Tages eröffnete der Großhändler dem Großabnehmer, daß er künftig über Weisung seiner Großhändlervereinigung nur noch einen 28pro- zentigen Mengenrabatt bei sonstigen schwersten Konventionalstrafen gewähren kann. Der Großabnehmer nahm diese Eröffnung zur Kenntnis und kaufte nunmehr dort ein, wo es ihm zweckmäßig erschien. Eines Tages aber kam der Großhändler wieder, beteuerte, daß ihm an der Wiederherstellung des ursprünglichen Geschäftsumfanges sehr viel gelegen sei und er nun wieder, allerdings nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dann den früheren 33prozentigen Mengenrabatt geben würde, wenn dessen Verbuchung nicht über die ordentlichen Bücher erfolge, weil in diese ja manche Einschau möglich ist und er bei Bekanntwerden des freiwillig angebotenen Superrabattes mit Strafen bis zur Existenzvernichtung rechnen müsse. Der Großabnehmer überlegte gewissenhaft und nahm nach Tagen das freiwillige Angebot an, worüber er nicht minder gewissenhaft eigens Buch führte. Der Superrabatt kam nicht ihm, weil ihm das Erzielen von Gewinnen wegen seiner Gemeinnützigkeit vom Gesetz untersagt war, sondern einem großen Kreis von in der Hauptsache kleinen Leuten zugute, die durch diesen Superrabatt jetzt von vermeidbaren geldlichen Lasten verschont werden konnten, die sie sonst hätten tragen müssen. Eines anderen Tages nun kam einer unfreundlichen Presse dieser Superrabatt zur Kenntnis, sie machte daraus einen „Schwarzen Fonds“ und zerrte deren Verwalter durch lange Monate nicht nur in der Öffentlichkeit herum, sondern auch vor die Gerichte.

Wer hat' sich nun in diesem Fall der Korruption schuldig gemacht? Der, der anordnete, daß künftig nicht mehr 33, sondern nur 28 Prozent Mengenrabatt gegeben werden dürfen, oder der, der überzeugt davon war, daß er auch bei 33 Prozent noch so reichlich verdiene, daß er zu den ihm gestatteten 28 Prozent wieder weitere fünf Prozent dazugeben kann oder die, die das freiwillige Angebot auf einen erhöhten Rabatt annahmen, weil sie dadurch ihre Lasten erleichtern konnten?

, In der Öffentlichkeit stellte man die Letzteren als die Korruptionisten hin, aber niemand zog gegen die unsittliche Nötigung der verminderten Rabattgewährung zu Felde.

Darum muß klargestellt sein, was man unter Korruption versteht, damit die Korruptionsdefinition wohl ein Instrument des Rechts, aber kein solches des parteipolitischen Kampfes wird.

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