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Koalition in der Sackgasse?

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Die Große Koalition bewegt sich zur Zeit in ziemlich unwegsamem Gelände und dies, während die Halbzeit dieser Legislaturperiode bereits vorüber ist.

In beiden Parteien ist man sich klar darüber, daß ein Vertrauensschwund in die Große Koalition im Gange ist. Man hatte im Lande weithin große Hoffnungen auf sie gesetzt. Sie war seinerzeit vielen gleichsam als der deus ex machina erschienen, der nunmehr in der Lage sein würde, alle Probleme zu

lösen, die ungelöst herumlagen. Und deren waren nicht wenige, angefangen von der deutschen Frage, der Ost- und Europapolitik bis zur großen Flaute des Wirtschaftswunders. Daß vieles davon in der Schwebe bleiben mußte, weil es nach der Natur der Dinge und zufolge der Zeitläufe nicht lösbar war, das wollen nun heute abermals viele u nicht • sehen. Sie kreiden ■ ■ es*. kurzerhand als Versagen der Regierung an. w0 “■ s?jf d*r srre Dabei hat die Große Koalition bereits viele wichtige Aufgaben hinter sich gebracht:

• das Stabilitätsgesetz,

• das Parteiengesetz,

• die Mehrwertsteuer und

• die mittelfristige Finanzplanung. Die Finanzverfassung, das neue

Wahlrecht und die Notstandsgesetz-gebüng stehen noch vor der Tür. Eine Kleine Koalition hätte diese Aufgaben schwerlich über die Hürden bringen können. Möglicherweise wäre sie an jeder einzelnen Frage gescheitert. Abgesehen vom ersten und zweiten Bundestag sind so schwere Aufgaben in so großer Zahl vom Parlament nicht wieder erledigt worden.

Dennoch wird die Problematik der Großen Koalition allerorten offenbar. Sowohl die CDU/CSU wie die SPD haben das Bedürfnis, bei allem, was getan wird, hervorzukehren, daß sie, nicht der Partner, das treibende Element sei. Jede Partei will sich für die kommende Wahl als die tüchtigere empfehlen. Vorläufig werden diese Rivalitäten noch einigermaßen im Verborgenen gehalten. Aber innerhalb jeder Partei gibt es ganze Gruppen, die darauf drängen, gegenüber dem Partner auch in der

täglichen Kleinarbeit stärker aufzutrumpfen. Kräfte dieser Art sind wahrscheinlich in der SPD aktiver als in der Union. Jede Woche kann man ein paarmal hören, welche Schwierigkeiten die Führermannschaft dieser Partei mit ihrem Fußvolk auszutragen hat. Das Unbehagen, daß die SPD überhaupt die Ehe mit der Union eingegangen ist, hat sich stellenweise unvermindert erhalten, stellenweise ist es sogar gestiegen. Namentlich in den Gewerkschaften wird es immer lauter.

Die maßgeblichen Männer aus Bonn treffen hier und da manchmal bereits auf offene Ablehnung.

Krisenherd Ruhr

Wichtig wird es deshalb sein, wie es der Regierung gelingt, die Probleme an der Ruhr zu lösen. Hier ist ein besonderer wirtschaftlicher Abbau zutage getreten. Natürlich haben in der einstigen „WaffeÄ-^ schmiede des Reiches“ Kohle und Stahl ebenfalls unter der wirtschaftlichen Rezession zu leiden gehabt. Aber das Übel sitzt viel tiefer. Man hatte sich seit Generationen im Ruhrgebiet daran gewöhnt, hier sei der industrielle Schwerpunkt Deutschlands, der wirtschaftlich gesichert sei wie kein anderer Landstrich. Über dieser Grundeinstellung haben die Herren von Kohle und Stahl in den letzten fünfzehn Jahren das Heraufkommen von Erdöl und Erdgas sowie von Kunststoff höchst unzulänglich eingeschätzt. Sie haben sich infolgedessen nicht rechtzeitig darauf eingestellt. Mehr und mehr sahen sie sich dann einer Konkurrenz gegenüber, mit der sie nicht mithalten konnten. Am schwerwiegendsten war diese Entwicklung bei der Kohle. Die Bergbaugesellschaften glaubten, die deutsche Energiepolitik hänge so weitgehend von der Kohle ab, daß der Staat einmal ums andere tief in die Tasche greifen mffsse, um die hohe Produktion an Kohle auch dann zu sichern, wenn sie nicht mehr rentabel war. Bonn hat in der Tat jahrelang dementsprechend gehandelt. Leitsatz war, im Ruhrgebiet dürfe keine politische Unruhe entstehen. So wurden die Kohle und ihr Preis ein rein politisches Problem.

Die Arbeit soll zum Arbeiter kommen

Hiervon hat man sich jetzt freigemacht. Erhard hatte, als er noch Kanzler war, davon gesprochen, daß eine Jahresproduktion von 140 Millionen Tonnen gesichert sein müsse. Das war zwar weniger, als die Kohleherren erwartet hatten, aber sie gaben sich damit zufrieden. Heute ringt man nur noch darum, ob 80 oder 95 Millionen Tonnen das Jahresziel sein sollen. Der frühere Grundgedanke, die einheimische Energiegrundlage müsse möglichst uneingeschränkt erhalten bleiben, ist in den Hintergrund gedrängt. Selbst die geminderte Produktionszahl, die weitere Zechenstillegungen und Arbeiterentlassungen voraussetzt, muß indessen noch gesichert werden. Hierfür sind mehrere Pläne vorgelegt worden. Die Bundesregierung hat sich bisher noch für keinen entscheiden können. Sie hat aber einige Grundsätze beschlossen, deren

Hauptpunkt ist, daß die soziale Sicherheit des Ruhrgebietes gewährleistet sein muß. Wahrscheinlich wird eine einheitliche Bergbaugesellschaft errichtet werden. Wer ihr beitritt, nimmt an einer Ausfallbürgschaft des Bundes teil, die ihm vier bis sechs Prozent Jahresrendite einbringt. Aber darüber hinaus soll eine durchgreifende Umstrukturierung des Ruhrgebietes in Angriff genommen werden.

Man hat erkannt, daß der Kumpel nicht einfach von einem Ort an den anderen verpflanzt werden kann, um neuer Arbeit nachzugehen. Die Arbeit muß zum Arbeiter kommen, nicht umgekehrt: hiernach dürfte wohl verfahren werden. Seitens der katholischen Kirche, insbesondere des Essener Bischofs Hengsbach, ist Bundeskanzler Kiesinger auf die soziale Seite des Problems nachdrücklich hingewiesen worden. Um-

strukturierung bedeutet die Ansied-lung neuer Industrien und deren Festigung.

Immer wieder: die Notstandsgesetzgebung

Die schmerzlichen Eingriffe, die an der Ruhr vonnöten sein werden, enthalten fraglos politisches Sprengpulver. Noch mehr Brisanz liegt für die Große Koalition in der Wahlrechtsreform und in der Notstandsgesetzgebung. Der DGB hat sich kürzlich nochmals gegen die Not-standsgesetzgebung ausgesprochen,

dies unter dem wachsenden Druck der linken Gewerkschaften mit der IG Metall und der IG Chemie an der Spitze. In den Gegenargumenten ist viel von Sünde wider den Geist der Demokratie und dem Versuch die Rede, mit Hilfe der Notstandsgesetzgebung eines Tages eine Diktatur zu errichten. In den Reihen der Gegner der Gesetzgebung findet man jedoch nicht nur unentwegte Verneiner, sondern auch Gruppen, die damit ein ernstes politisches Anliegen verbinden. Trotz allem läßt sich jedoch nicht voraussagen, welches das Schicksal der Notstandsgesetzgebung sein wird. Die Union beschwört deshalb die SPD bereits, bei der Abrede zu bleiben, die in den Koalitionsvereinbarungen enthalten ist.

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