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Kommt jetzt der Bauernsturm

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Die Sozialisten haben, so meinen die Bauern, zur Lösung der bäuerlichen Probleme einige Zukunftsprojektionen parat Änderungen der bäuerlichen Strukturen können aber niemals so rasch vor sich gehen, daß nicht vorerst wenigstens eine fortschreitende Einkommensverminderung den bäuerlichen Bevölkerungsteil, und hier auch vor allem die sozial Schwachen und die ältere Generation, inmitten der Wohlstandsgesellschaft arg benachteiligen würde. Diese Probleme sind heute da und können nicht mit mehr oder weniger abstrakten Zukunftsplänen schon heute oder morgen gelöst werden. Die Agrarpolitik der ÖVP-Regierung wurde von den Sozialisten scharf kritisiert. Jetzt läge es an ihnen, eine andere und bessere Politik zu machen.

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Die Sozialisten haben, so meinen die Bauern, zur Lösung der bäuerlichen Probleme einige Zukunftsprojektionen parat Änderungen der bäuerlichen Strukturen können aber niemals so rasch vor sich gehen, daß nicht vorerst wenigstens eine fortschreitende Einkommensverminderung den bäuerlichen Bevölkerungsteil, und hier auch vor allem die sozial Schwachen und die ältere Generation, inmitten der Wohlstandsgesellschaft arg benachteiligen würde. Diese Probleme sind heute da und können nicht mit mehr oder weniger abstrakten Zukunftsplänen schon heute oder morgen gelöst werden. Die Agrarpolitik der ÖVP-Regierung wurde von den Sozialisten scharf kritisiert. Jetzt läge es an ihnen, eine andere und bessere Politik zu machen.

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Die Milch macht wieder einmal Schlagzeilen, die Bauern „drohen mit Krach“, die Agrarfront ist also in Österreich kurz vor den Sommerferien des Parlaments anscheinend wieder einmal in Bewegung geraten. Von den vielen Sorgen der Regierung Kreisky ist die Sorge mit den Bauern bestimmt eine der schwersten. Die gefühlsmäßigen Belastungen sind hier — übrigens auf beiden Seiten — besonders groß. Die Bauern: das war sozusagen die interne Angelegenheit der ÖVP-Regierung und vorher zwanzig Jahre lang der ÖVP-Hälfte der Koalition. Mit dem 1. März 1970 hat sich in Österreich auch in dieser Hinsicht manches geändert. In der ersten Euphorie der Wahlnacht vom 1. März sprachen die erregten Kommentatoren von einem „Durchbruch“ der Sozialisten in das Dorf. Gibt es aber in Österreich überhaupt noch Dörfer? Und woher weiß man es so genau, wer in diesen ländlichen Gegenden, wo neue und alte Gewerbe- und Industriebetriebe gerade auch den Kleinbauern helfen, durch einen Nebenerwerb ihre Einkommenslage zu verbessern, für die eine und die andere Partei gestimmt hat? Die ersten Wahlanalysen wurden später korrigiert: Der „Durchbruch in das Dorf“ konnte so entscheidend nicht sein. Eine gewisse Unsicherheit jedoch blieb. Und nicht nur das. Die Bauern sind für die Sozialisten interessant geworden.

Man erinnere sich an den Traktorenaufmarsch auf Wiens Straßen im vergangenen Sommer. Die Ursachen für die Unruhe in bäuerlichen Kreisen liegen klar zutage: In einer Umwelt standig steigender Preise, aber auch — und erwiesenermaßen meistens noch schneller — steigender Masseneinkommen sowie scheinbar unbegrenzt wachsender Produktion müssen die Bauern ihre Produktion drosseln, und der Verbesserung ihres Einkommens sind deutliche Grenzen gesetzt, obwohl die Zahl der bäuerlichen Einkommensempfänger ständig kleiner wird. Dazu kommt noch eine nie ganz vermeidbare Informationslücke, die von Agitatoren geschickt ausgenützt wird. Die Traktoren verlassen die Felder und rollen der Bundeshauptstadt zu...

Mit dieser Möglichkeit muß jetzt auch die Regierung Kreisky rechnen. Sie ist der ihr drohenden Gefahr gerade auf diesem Sektor wohl bewußt. Nach der Panne mit dem ersten Landwirtschaftsminister fiel Kreiskys Wahl unter den noch verfügbaren SPÖ-Politikern bestimmt auf den besten Mann. Landwirtschaftsminister Dr. Weihs, der zwar anscheinend nicht bereit ist, von seiner Position als reiner Konsumentenvertreter abzuweichen, hat die klare Marschroute in der Tasche, mit dem „Feind“ sehr behutsam umzugehen, die alten Fronten eher abzubauen als neue zu errichten, Entscheidungen nicht „oben“ zu treffen, sondern alles möglichst freundschaftlich zu regeln, was freilich auch soviel heißt, wie daß dann die bäuerliche Interessenvertretung für gefaßte Entscheidungen mitverantwortlich ist. Das wäre dann so eine Art faktischer Koalition, ^jemand wird den gewählten Vertretern der Bauern,aber auch der ÖVP verübeln dürfen, wenn sie auf Vorsicht schalten. Was nützen aber Freundlichkeiten und Vorsichtsmaßregeln, wenn gewisse harte Tatsachen plötzlich sichtbar werden und zur Kenntnis genommen werden müssen? Die Milchproduktion steigt wieder einmal so rasch, daß angeblich mehr als 300 Millionen Schilling aus dem Budget zusätzlich notwendig wären, um die Milchbauern für die gesteigerte Ablieferung zu bezahlen. Der Finanzminister möchte diesen Betrag nicht flüssigmachen. Der Landwirtschaftsminister hat dafür Verständnis und will den Krisengroschen erhöhen.

Nachdem die Bauernvertreter dafür die Mitverantwortung abgelehnt haben, läßt der Minister „die Frage prüfen“. Fest steht nur, daß die Erhöhung des Absatzförderungsbeitrags der Milchproduzenten (Krisengroschen) zu einer Einkommens-verminderung der Bauern führen müßte, ohne daß dabei das erwartete Ergebnis auf dem Produktionssektor, nämlich die Verminderung der Produktion, schon gesichert wäre. Denn, daß das vielbestaunte Wunder Landwirtschaftsminister Schleimzer einmal geglückt ist, bedeutet noch nicht, daß es jederzeit wiederholbar wäre. Damals spielten mehrere Momente mit: Einmal die Schockwirkung. Zu einer solchen Radikalkur (zehnprozentige Ein-kommenschmälerung!) sind die „eigenen“ Leute im Ministerium fähig, da muß schon etwas daran sein — und man fügte sich dem Unabänderlichen. Die Milchproduktion ging stufenweise zurück — und die schlechten Witterungsverhältnisse halfen noch dazu.

Heute ist vieles anders: Die Preissteigerungen zwingen die Bauern zu Gegenmaßnahmen. Der Minister steht „auf der drüberen Seite“, und womöglich wird auch die Witterung nicht mitspielen. Außerdem . sehen sich die Bauern einer Argumentation gegenüber, die ihr Mißtrauen steigert: Man spricht nämlich von

einem Fehlbetrag von mehr als 300 Millionen. Wie setzt sich aber dieser Betrag zusammen? Rund 50 Millionen davon betrifft die staatliche Milchpreisstützung. Um soviel weniger war vorgesehen, für soviel mehr wurde Milch abgeliefert. Bisher hat der Staat diesen Fehlbetrag immer übernommen. Ein diesbezügliches Nachtragsbudget dürfte also auch dem gegenwärtigen Finanzminister wie schon seinen Vorgängern nicht erspart bleiben. Der zweite Teil des Fehlbetrages betrifft den Abgang des Milchwirtschaftsfonds, der allein 1970 rund 120 Millionen ausmacht. Darin sind die Mehrausgaben der Verarbeitungsbetriebe enthalten: die Löhne der Molkereiarbeiter, die steigenden Kosten für Transport und Maschinen. Dazu reicht das vorgesehene Ausgleichsverfahren des Milchwirtschaftsfonds nicht aus, auch hier ist alber der Staat dn den letzten Jahren immer eingesprungen. Der dritte Teil, rund 130 Millionen Schilling, betrifft die Absatzförderung. Diese Absatzförderung wird aus den Krisengroschen der Bauern gezahlt. Sie beträgt aber niemals 300 Millionen.

Die Annahme, daß durch die Erhöhung des Krisengroschens das Interesse der Bauern an der Milchproduktion abnimmt, ist also reine Theorie. Sie ist derzeit nicht nachweisbar. Die Bauern fragen sich, ob nicht andere Methoden der Produktionseinschränkung, die das bäuerliche Einkommen ungeschmälert lassen, sinnvoller wären. In einer Volkswirtschaft, die eindeutig wachstumsorientiert ist, sollten nur die Bauern weder mehr produzieren, noch mehr verdienen dürfen?

Man wartet auf Initiativen des Landiwirtschaftsministers. Bisher hat man nur die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktionskosten erlebt (Kalidünger). Die SPÖ müßte jetzt zeigen, wie man das Produktionsproblem ohne Einkomimensver-luste löst, wie man für die abwandernden Bauern neue Arbeitsmöglichkeiten schafft und dergleichen mehr. Die Bauern sind bestimmt bereit, über diesbezügliche ministerielle Entwürfe in aller Offenheit, im Sinne der allseits geforderten „Transparenz“, zu reden. Ein vernünftiger Ausgleich könnte dann erreichbar sein.

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