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Konklave' am Semmering

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In diesen Tagen erwartet der Semmering viele Besucher. Die Minister, Abgeordneten und Funktionäre der ersten Regierungspartei werden sich freilich von den anderen Gästen der winterlichen Hochsaison einigermaßen unterscheiden. Sie dürften der prachtvollen Schneelandschaft, den von Menschen wimmelnden Uebungswiesen und rasanten Abfahrtsstrecken der zünftigen Skifahrer bestenfalls einen Blick schenken — dann werden sich hinter ihnen die Tore des Hotels Panhans schließen, in dem die •große von der Parteiführung einberufene Konferenz ihren Anfang nimmt.

Einer solchen außergewöhnlichen und außerordentlichen Zusammenkunft der führenden Regierungspartei — ihr Parteistatut kennt kein solches Gremium — kommt bestimmt besondere Bedeutung zu. Noch dazu am Beginn eines Jahres, das, aller Voraussicht nach, Wahlen zum Nationalrat bringen wird. Ohne Zweifel geht m der Parteiführung darum, einmal Heerschau üu halten, die taktischen Operationen der einBeinen Korps — in der Sprache der Volkspartei: der Bünde — zu koordinieren und etwaige Reibungsflächen, wie sie der politische Alltag auch zwischen den eigenen Formationen bringt, eh beseitigen. Neben diesen taktischen Manövern will aber auch das größere Ziel nicht aus den Augen verloren werden. Es gilt die Marschroute für den kommenden Wahlgang ausfindig zu machen, die „Königsidee“ zu ermitteln, mit deren Hilfe die Nationalratswahlen 1956 zu einem Erfolg für die eigene Sache werden. So mag das Wort vom „Konklave“ am Semmering, das in den stets zu gutmütigem Spott aufgelegten und um Pointen nie verlegenen politischen Kreisen der Bundeshauptstadt die Runde macht, gar nicht so abwegig sein, wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheint ...

Also wird im Hotel Panhans bestimmt auch vom Milchpreis, dem Erdöl und der Zivilluftfahrt gesprochen werden. Ja, die Diskussionen um diese wichtigen — mitunter sogar lebenswichtigen — Anliegen werden in der Aussprache breiten Raum einnehmen. Und das ist gut so; zeugen sie doch wieder einmal dafür, daß die politische Auseinandersetzung heute in Oesterreich um praktische, konkrete Themen geführt wird und sich nicht im giftigen Nebel der Ideologien entzündet. Und doch wird, sobald das Thema „Wahlen“ auf der Tagesordnung aufscheint, eine ganz andere Frage gleich dem steinernen Gast im Hintergrund stets anwesend sein. Diese Frage — sie geisterte in den vergangenen Monaten durche manche Gespräche und Aufsätze — lautet, klar und nüchtern ausgesprochen: „Soll die Volkspartei noch stärker als bisher eine .bürgerliche' S a m m 1 u n g s p a r-tei werden und durch eine Verstärkung der .freiheitlichen' und .nationalen' Elemente in ihren Reihen diesen Charakter weithin sichtbar demonstrieren, oder soll sie durch Favorisierung sogenannter konfessioneller' Fragenkomplexe die innere Linie stärken und die Kader vergattern?“

Eine klare Frage erheischt eine klare Antwort. Sie kann in unserem Fall nur heißen, daß d i e Alternative falsch gestellt ist. Und nicht nur falsch, sondern auch verhängnisvoll. Beide Wege müßten - auf kurze oder lange Sicht — in ein Debakel hineinführen, aus derr es kaum ein Entkommen ohne schweren Schaden gäbe.

Die Stationen des ersten Weges sind klar: Immer mehr verlöre die Partei, die, auf einer großen Tradition aufbauend, berufen war, das österreichische Volk auf dem steilen, steinigen Weg der zehn Jahre zwischen Befreiung .und Freiheit aufwärts zu führen, an Profil. Taktik wäre alles, Gesinnung ein überholtes Relikt aus Großvaters Zeiten. Gewiß: bei Wahlen spielen die sogenannten „Randschichten“ stets eine große Rolle — eine immer größere, solange der Zug zu den beiden großen Parteien auf Kosten des trotz Namensänderung weiterhin nicht attraktiver gewordenen dritten historischen Lager* anhält. Daß dieser Trend sich beim kommenden Urnengang fortsetzen wird, das kann man nicht nur, das muß man sogar als nüchterner Beobachter feststellen. Daher richten auch die Wahltaktiker beider großer Parteien ein waches Auge auf die Konkursmasse des ehemaligen VdU. Das ist ihnen auch keineswegs zu verargen, nur darf eben der „Rand“ nicht ins Zentrum rücken und das Interesse an den „Randschichten“ nicht zur zentralen Frage einer Partei werden, die sich ihrer Kernschichten allzu ' sicher weiß. (Das etwas zynische Motto lautet in solchen Fällen: „Wen sollen sie schon anders wählen als uns ...?“) Hier könnte es doch eines Tages eine Enttäuschung geben. Dubios, mehr noch gefährlich, wird eine solche allein von den Ueberlegungen der Wahlarithmetik geleitete Gesinnung, wenn dabei Grundsätze über Bord gehen oder zu reinen Museumsrequisiten herabgewürdigt werden. So ist es heute — auch das muß einmal ausgesprochen werden — zwar nicht an der Spitze, aber doch in immer noch einflußvollen Kreisen der ersten Regierungspartei üblich geworden, sein klares Oesterreich-Bekenntnis von ehedem in Worten — und noch mehr in Taten — etwa auf ein leises Moll zu dämpfen oder mit Zusätzen zu versehen. Der Grund für ein solches wenig nackensteifes Verhalten: man will eben jene „bürgerlichen“ Wähler, denen nicht gerade immer die österreichische Fahne als Ideal voranleuchtete, nicht betrüben ... Daß ein solcher Pragmatismus, dem in nicht zu ferner Zeit zwangsläufig auch innere Zersetzungserscheinungen folgen müssen, gerade „die Treuesten der Treuen“ vor den Kopf stößt, ist unschwer abzusehen. Wie im Stich gelassen sich heute mitunter Menschen fühlen, die einmal für Oesterreich den Kopf hingehalten haben, das geht aus einem unlängst in einer Wochenzeitung veröffentlichten Leserbrief hervor: „Es wird uns ehemaligen Gestapohäftlingen aus dem bürgerlichen Lager immer schwerer gemacht, unsere Umwelt zu verstehen“ („Wochen-Presse“, 7. Jänner 1956). Man unterschätze solche Stimmen keineswegs, will man doch nicht eines nicht zu fernen Tages den Sozialisten die rotweißrote Karte leichtfertig zuspielen. Diese sind nur allzu gern bereit, sich als die Staatspartei vorzustellen. (Daß auch ihnen der zu große Bissen an „Randschichten“ Verdauungsbeschwerden macht, steht auf einem anderen Blatt. Davon wird ein anderes Mal noch zu reden sein. Feststeht, daß die Einvernahme dieser „Neubürger“ im Land des Sozialismus zumindest auf Bundesebene ohne Abstriche vom eigenen Konzept vollzogen' wurde. Anders schaut es freilich in einzelnen Landesverbänden der SPOe aus. In der Steiermark und auch in Kärnten würde es nicht besonders überraschen, wenn am 1. Mai mitunter statt mit der roten Melke mit der Kornblume im Knopfloch aufmarschiert wird . .)

Soweit die Stationen eines solchen Irrweges, vor dessem Beschreiten gewarnt sei; aber auch fein Ende wäre klar: eine salz- und kraftlose „Eintopfpartei“, allein zusammengehalten durch die Persönlichkeit, die momentan an ihrer Spitze steht. Was einmal käme, wenn dieser Mann durch höhere Fügung ausfällt — auch davon darf einmal gesprochen werden —, gehört durchaus nicht in den Bereich bloßer Schwarzseherei...

Also dann den anderen Weg? Aber auch vor ihm haben wir eine Warnungstafel aufgerichtet. Das mag gerade von einem katholischen Blatt vielleicht auf den ersten Blick verwundern. Wir aber möchten klar scheiden zwischen den echten Anliegen, die der Katholik an sein Gemeinwesen hat, und einer gewissen, eben „konfessionali-stisch“ genannten Methode, dieselben durchzusetzen. „Katholisch“: dieses Wort steht für weit, für offen, für allgemein. Der „Konfessionalist“ hingegen liebt es, die Welt durch * einen engen Sehschlitz zu betrachten. Aus der Verpflichtung des Katholiken zum Wirken in der Oeffentlichkeit macht er — vielleicht ohne böse Absicht — gar bald eine unheilige Allianz ^von persönlichem Ehrgeiz, Tagespolitik und den ewigen Werten des Glaubens. Der „Konfessionalist“ liebt es, die Kirche für seine oft engen Positionen einzuspannen. Er kann sich nicht genug tun unter lauten „Treuekundgebungen“ zu Kirche, Rom und Vaterland, Positionen zu erringen, die nicht nur abschreckend auf viele nichtkatholische — und katholische — Staatsbürger wirken, sondern auch direkt die wahren weltweiten Interessen der Welt kirche verraten; eben weil diese in jedem Moment für die kleinen Interessen des Tages, des eigenen Geschäfts, beansprucht werden.

Schweigen wir von allem anderen und stellen wir nur die nüchterne Frage nach den Wirkungen eines solchen Handelns. Der Partei, der diese Menschen — bona fide — zu dienen hoffen, wird ein Bärendienst geleistet. Sie wird keinen einzigen neuen Wähler gewinnen und dafür manche gar nicht so am Rande stehenden Schichten zumindest kopfscheu machen. Von den unheilvollen Auswirkungen auf die Seelsorge ganz zu schweigen. Wir haben genügend Nachrichten aus Westdeutschland, welche Wege dort bereits ein gewisses integrales katholisches Denken und Handeln seit dem großen Aufbruch nach 1945 wieder verbaut hat. Wir müssen uns davon freihalten: zum Wohle der Kirche ebenso wie im Interesse einer von christlichen Grundsätzen bestimmten Politik — und der Partei, die diese doch auf ihre Fahnen geschrieben hat. Aber es braucht eigentlich nicht dieser Mahnungen. Uns genügen die Lehren unserer eigenen Vergangenheit, aus denen der Oesterreichische 1 Katholikentag 1952 klar und wegweisend die Folgerungen gezogen hat: „ ... Keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche, das vielleicht zeitbedingt notwendig war, aber Zehntausende der Kirche entfremdete. Keine Rückkehr zu jenen gewaltsamen Versuchen, auf rein organisatorischer und staatsrechtlicher Basis christliche Grundsätze verwirklichen zu wollen.“

Die Alternative des „Entweder — Oder“ ist also, wie so oft, zurückzuweisen. Wo aber öffnet sich dann ein dritter Pfad? Es gibt ihrer mehrere.

Man kann nicht verlangen, daß die Versammlung im Hotel Panhans ein „Totalprogramm“ für die Zukunft erstellt. Man darf aber erwarten, daß, angesichts der gegenwärtigen Situation Oesterreichs, einige konstruktive Gedanken erarbeitet werden, die auf jeden Oesterreicher, der guten Willens ist, einladend wirken, mitzutun. Wo einer einmal gestanden, ist weniger interessant, wichtig ist, wo er heute steht — aber ohne Hintergedanken, Augenzwinkern und Mentalreservation I Das Wort, nein, der Gedanke der „Freiheit“ — einer echten, aus einem für die Fragen der Zeit wachen chu'stlichen Gewissen gestalteten Freiheit — wird dabei keine geringe Rolle spielen. Freiheit nach innen, Freiheit nach außen, Freiheit in der Welt ...

Solche Gedanken, die hier freilich nur skizziert werden konnten, von grundsatzfesten, aufgeschlossenen Menschen — diese Begriffe sind keine Gegensätze — vorgetragen, werden den Weg zu den Ohren und Herzen ihrer Mitbürger unschwer finden.

Wir zweifeln daran nicht.

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