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Konsolidierung der Mitte

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„Das Einverständnis mit der Politik des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers ist in der Bevölkerung im September 1968 gegenüber dem Vormonat sprunghaft angestiegen: Bei Bundeskanzler Kie- singer von 55 auf 67 Prozent und bei Bundesaußenminister Brandt von 47 auf 60 Prozent“ — so lautet das Ergebnis einer Umfrage eines der renommiertesten Meinungsforschungsinstitute der Bundesrepublik. Was immer man für Motive für diesen kräftigen Anstieg der Zustimmung der Regierung der Großen Koalition anführen mag — diese Ziffern zeigen einen Trend zur Konsolidierung an, wie ihn die Regierung Kiesinger in der Bundesrepublik bisher noch nicht erreicht hatte. Die Große Koalition von CDUCSU und SPD ist jetzt fast zwei Jahre im Amt. Bis zur Neuwahl des Bundestages im Herbst nächsten Jahres hat sie knapp nur noch zwölf Monate Zeit, wenn man unberücksichtigt läßt, daß die ersten Anzeichen des kommenden Wahlkampfes jetzt schon sichtbar werden.

NPD-Selbstauflösung in Berlin

Es traf sich gut, daß am 20. Oktober, also im Zenit der Regierungsehe zwischen den beiden großen Parteien, in drei Bundesländern (Baden- Württemberg, Hessen und Saarland) noch einmal örtliche Wahlen •— Kommunalwahlen — stattgefunden haben. So sehr man diesen Wahlen auch vorher einen Trendcharakter für das ganze Bundesgebiet absprechen wollte, so wenig konnte man die 10 Millionen Wähler (von etwa 40 Millionen Wählern im Bundesgebiet) davon abhalten, mit ihrem Stimmzettel ein durchaus überlokales politisches Votum abzugeben, örtliche „Wählervereinigungen“, die sich vielfach neben die Parteilisten gestellt haben, sind von den Wählern kaum honoriert worden: ganz offen- sisWph sich nicht nach örtlichen Gegeben- h€p,tw,1?,SJwJern POda,. ,)ekenp. wollten. Sie haben sich auch etwa in dem gleichen Sinn ausgesprochen, wie ihn die Meinungsforscher ermittelt haben. Die Partei des Bundeskanzlers, die CDU, zeigt überall einen leichten Anstieg über ihre ohnedies führende Position hinaus; die Partei des Bundesaußenministers, die SPD, registrierte bei leichten örtlichen Einbußen eine Stabilisierungstendenz auf beachtlichem Niveau, und die dritte im Bundesparlament vertretene Partei, die jetzt in Opposition stehende FDP, konnte sich gleichfalls ohne nennenswerte Veränderungen behaupten. Demgegenüber setzte, genau wie vor einem Monat in Niedersachsen, die rechtsradikale Partei, die NPD, ihre Rückwärtsbewegung nach unten fort. Sowohl in Baden-Württemberg wie in Hessen, wo bei den letzten Landtagswahlen die NPD acht oder gar neun Prozent der Stimmen erhalten konnte, ging ihr Anteil jetzt bis auf fünf Prozent oder darunter zurück. Und im Saarland, wo die NPD zum erstenmal in Erscheinung trat, konnte sie diese Grenze auch nicht überschreiten.

Dennoch sind sich alle deutschen Beobachter darüber einig, daß fünf Prozent NPD noch immer zuviel sind. Sie wissen auch, daß die rechtsradikale Partei, bliebe es bei dieser Minimalhöhe von fünf Prozent, im nächsten Bundestag Ende 1969 Immerhin vertreten sein würde. Denn die Fünfprozenthürde bleibt bestehen, wenn — was jetzt nahezu aussichtslos erscheint — nicht doch noch die vieldiskutierte Wahlrechtsreform vorher in Kraft tritt. Haben die beiden großen Regierungsparteien CDUCSU und SPD und die Oppositionspartei FDP jetzt also, nach den letzten Kommunalwahlen, auch die Genugtuung, die Rechtsradikalen ohne Verbot und also durch bessere Politik auf die Fünfprozentmarke heruntergedrückt zu haben, so müssen sie dennoch versuchen, diesen Trend zum Abflauen des Rechtsradikalismus fortzusetzen. Denn noch ist nicht geklärt, ob die mutmaßlichen Wähler der NPD dieses Mal nur deshalb nicht NPD gewählt haben, weil die Bundesregierung ernsthaft prüft, ob sie ausrei-chende Rechtsmittel findet, um gegen die NPD als einer verfassungsfeindlichen Organisation Verbotsantrag zu stellen. Daß die verschwindend kleine Gruppe der NPD in West- Berlin durch Selbstauflösung einem möglichen Verbot durch die Westmächte zuvorgekommen ist, braucht noch nicht unbedingt zum Verzicht auf das Verbot im Bundesgebiet führen. Da ohnedies die Hauptschwäche der rechtsradikalen Partei der Mangel an wirklichen Persönlichkeiten in ihrer Führung ist, könnte der Prozeß des Rückgangs oder mindestens der Stagnation vermutlich noch Wirksamer beschleunigt werden durch die Erfolge, die die etablierten Parteien der Bundesrepublik in den Augen des Volkes erringen.

Prager Folgen

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß gerade die Wochen der dramatischen Unsicherheit, die die Prager Ereignisse über Deutschland gebracht haben, den radikalen Gruppen in der Bundesrepublik links und rechts eine empfindliche Niederlage bereitet haben. Daß sich unter dem Namen „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP) nun wieder eine kom-munistische Gruppe in der Bundesrepublik etablieren will, beunruhigt die Bevölkerung kaum; in den Ergebnissen der Kommunalwahlen konnten sich die Linksradikalen nirgendwo auch nur ein bescheidenes Plätzchen erobern. Das ist nur zu verständlich nach den Ereignissen in der Nachbarschaft Deutschlands. Aber daß auch die Rechtsradikalen mit ihrem Appell an die chauvinistischen Restinstinkte durchgefallen sind, das spricht für den demokratischen Reifegrad der Deutschen in dieser Zeit. Das durch Meinungsforschung erzielte Votum für Kiesinger und auch für Brandt hat in diesem Zusammenhang das Gewicht einer Mehrheitsentscheidung für diejenigen Gruppen in Deutschland, die Stabilität und Sicherheit ohne Extreme und Extratouren im Auge haben.

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