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Kontakte in Südtirol

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Der Ausgang der italienischen Parlamentswahlen in Südtirol hat die Hoffnungen jener Kreise, die für die Südtiroler Vplkspartei schon das Grab geschaufelt sahen, nicht erfüllt. Die

SVP ist, allen widrigen Umständen zum Trotz, die alleinige politische Sprecherin der Südtiroler geblieben. Wie bisher wird sie in Rom durch drei Abgeordnete in der Kammer — Dr. M i t-terdorfer, Ing. V a j a und Hans D i e 11 — und durch zwei Abgeordnete im Senat — Dr. Sand und Hans S a x 1 — vertreten sein. Dr. Raffeiner, der mit der. italienischen Liberalen Partei ein 'Wahlbündnis geschlossen hatte, erhielt zwar etwas mehr als 15.Ö00 Stimmen, was für die Trlarigüng eines Mandats jedoch keineswegs ausreichte. Nach zuverlässigen Berechnungen und Schätzungen stammten zirka 6000 bis 7000 Stimmen davon von italienischen Wählern.

Der günstige Ausgang der Wahlen läßt sich in groben Umrissen auf zwei Faktoren zurückführen: auf die konservative Einstellung der Südtiroler Landbevölkerung und auf die eingewurzelte Abneigung gegen einen liberalen Kapitalismus, als dessen Vertreter Dr. Raffeiner um Stimmen warb.

Trotzdem dürfen die Warnzeichen am politischen Himmel Südtirols nicht übersehen werden.

Gefahren von rechts und links

Die Gefahr kommt sowohl von rechts als auch von links: der liberale „Aufbau“flügel dürfte den Versuch machen, in die Bresche, die Dr. Raffeiner geschlagen hat, nachzustoßen. Die Überlegungen, auf die sich solche Hoffnungen gründen, sind diese: Doktor Raffeiner hat im ersten Ansturm zirka 10.000 Südtiroler Stimmen gewinnen können. Es müßte nun den alten Routiniers gemeinsam mit den jungen Kräften der „Aufbau-Opposition“ gelingen, bei den kommenden Gemeinde- und Landtagswahlen, die im Frühjahr und Herbst nächsten Jahres

stattfinden, durch Bildung einer eigenen Partei, ein Drittel oder mindestens ein Viertel der zu vergebenden Mandate zu erringen. Eine weitere Gefahr für die Einheit

der Partei droht von links. Gewiß, die Südtiroler Sozialdemokratische Partei (SSP), deren Flugzettel kurz vor den Wahlen zum erstenmal aufgetaucht sind, ist bis heute noch nicht an die Öffentlichkeit getreten. Sie deshalb aber zu unterschätzen, würde politisch äußerst kurzsichtig sein. Das Programm der neuen Partei, die eine starke Vertretung der Südtiroler Sozialdemokraten für den nächsten Landtag anstrebt, kann auf folgenden Nenner gebracht werden: In den wichtigsten politischen Problemen will man die SVP unterstützen, auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet jedoch eigene Ziele verfolgen. Die sieben Flugzettel, die bisher in etwas verworrener, sonst jedoch geschickter Form zusammengestellt und verschickt wurden, zeichnen sich durch einen aggressiven Tonfall, der vor allem gegen die „Aufbau“richtung und gegen die „Sozialistische Partei Südtirols“, die sich nur durch mysteriöse italienische Geldquellen notdürftig am Leben erhalten kann, gerichtet ist, aus.

Auftrieb erhält die SSP durch die Ungelöstheit vieler sozialer Probleme in Südtirol. In Bozen gibt es beispielsweise Geschäftsleute, Rechtsanwälte und Hoteliers, die ihren Angestellten wirkliche Minimalmonatslöhne zahlen. Manche reichen gerade zum anständig hungern ... Dabei müssen sich viele von ihnen, da sie zum Großteil aus der Provinz kommen, ein teures Zimmer mieten und im Gasthaus essen. Es gibt Mädchen, die sich deshalb abends kein Essen mehr leisten können ... Daß eine geschickte Wahlwerbung bei diesen sozialen Ungerechtigkeiten, besser gesagt, Kurzsichtigkeiten, für die man wirklich ausnahmsweise einmal die SVP nicht zum Sündenbock stempeln kann, hier mit Erfolg einsetzen könnte, versteht sich von selbst.

Kann der Zwist bereinigt werden?

Zur Beilegung des unglücklichen Zwistes, der die Gemüter nach wie vor heftig erregt, wenngleich sich — wie fast nach jeder Wahl — wieder mehr und mehr eine gewisse politische Gleichgültigkeit breitmacht, sind Bemühungen im Gang.

Es ist selbstverständlich notwendig, Gespräche zur Bewahrung der Einheit der SVP, die heute dringender denn je geboten ist, zu führen. Keinesfalls darf dies jedoch in der Form geschehen, daß man, um die Einheit um jeden Preis zu bewahren, Kon_essionen macht, die das Ansehen der Partei und ihre Glaubwürdigkeit in ihren Hauptstützpunkten schwer untergraben würden. Die Wahlergebnisse dürften den

Fingerzeig geben, von welcher Basis aus verhandelt werden muß. Daß in der SVP manches reformbedürftig ist, manches besser gemacht werden könnte, wird jeder zugeben müssen. Diese Mängel zu beseitigen, ist eine Notwendigkeit, über die gaT nicht zu diskutieren ist.

Ebenso selbstverständlich ist, daß der oppositionellen Minderheit sowie einer eventuellen sozialdemokratischen Fraktion bestimmte Rechte innerhalb der SVP eingeräumt werden sollten. Für die gewährten Konzessionen müßten jedoch bindende Gegenerklärungen abgegeben werden, welche die Loyalität zur Partei und eine bestimmte, für jedes Parteileben notwendige Dis-

ziplin, eindeutig bejahen. Entscheidend ist — wie gesagt — nicht die Höhe der Konzessionen, sondern vielmehr die Glaubwürdigkeit der Gegenleistungen. Ein nur scheinbarer Burgfriede bis kurz vor die nächsten Gemeinde- und Landtagswahlen würde der SVP weit mehr schaden als nützen. Deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten, die man akzeptieren kann: entweder eine endgültige Bereinigung der bestehenden Differenzen (was jedermann ehrlich begrüßen würde!) oder die Schaffung klarer Verhältnisse. Jeder Kompromiß auf Zeit ist gefährlich und nährt nur das Mißtrauen, das sowieso schon in viel zu reichem Maße besteht.

Die Reform der Partei

Wie soll die Parteireform, an der man zur Zeit von verschiedenen Seiten eifrig herumbastelt, aussehen? Vor allem ist an eine Aufwertung und an

eine bessere Auslese der Ortsobmänner gedacht. Die Kontakte zwischen Parteileitung und Ortsausschüssen sollen intensiviert werden. Eines der Hauptprobleme stellt die Neubesetzung des seit der Inhaftierung von Dr. Stanek verwaisten Generalsekretariats dar. Diese Schlüsselstellung müßte mit einem Mann mit Initiative und Durchschlagskraft besetzt werden. Einen solchen zu finden, ist jedoch nicht leicht. Mit Recht wenden sich verschiedene Exponenten der Partei gegen Vorschläge, die darauf hinauslaufen, dieses Amt einem Landtagsabgeordneten zu übertragen. Abgesehen, daß ein solcher durch die in Südtirol besonders zahlreichen Sitzungen (da Regionalrats- und Landtagssitzungen stattfinden) zeitlich stark behindert wäre und — wenn er seine Aufgaben ernst nimmt — anderweitig genug beschäftigt ist, würde es ein Fehler sein, die wichtigen Ämter immer wieder mit denselben Personen zu besetzen. Daß dies der notwendigen und angestrebten Dezentralisierung geradezu entgegenwirken würde, ist wohl jedem klar.

Nur Ergebnisse zählen

Weiter müßten die Aufgabengebiete, die der einzelne Landtagsabgeordnete betreuen sollte, zwecks besserer Koordinierung (die bisher fast vollkommen fehlte) genauer umrissen werden. Auch der Propaganda- und Informationsapparat müßte ausgebaut und aufgewertet werden. Die rasche Übermittlung von Nachrichten an die in- und ausländische Presse ist — wie man vor den Wahlen schmerzvoll erfahren hat — ungemein wichtig. Die Partei-leitungs- und Ausschußsitzungen müßten mit exakterem Programm und mit etwas mehr Disziplin durchgeführt werden.

Das sind nur einige der wichtigsten Punkte des „Reformbündels“. Einige Bemühungen haben inzwischen Erfolg gehabt. So wurde noch vor den Wahlen ein der SVP nahestehendes, jedoch völlig unabhängiges, vorerst alle vierzehn Tage erscheinendes Nachrichtenblatt geschaffen. Die „Südtiroler Nachrichten“ haben im In- und Ausland Zustimmung und Anerkennung gefunden. Die Auswertung durch die deutschsprachige Presse in Österreich, und besonders in der Bundesrepublik, ist erfreulich. Auch das Echo in Italien ist groß: ein Interview des Schreibers mit Bundesminister Dr. K r e i s k y

wurde in nicht weniger als zweiundzwanzig Tageszeitungen — zumeist vollinhaltlich — abgedruckt! Als Chefredakteur des Blattes zeichnet Doktor Egmont Jenny, verantwortlicher Redakteur ist der Landtagsabgeordnete Ing. Hans P 1 a i k n e r.

Minister Kreisky erklärte in dem erwähnten Interview, daß Österreich in einer Note vom 9. Mai wegen der Wiederaufnahme der seit dem Treffen von Venedig Ende Juli vorigen Jahres unterbrochenen bilateralen Verhandlungen im Sinne der beiden UNO-Resolutionen in Rom interveniert habe. Er unterstrich die Bedeutung der Neunzehnerkommission (die ihre Arbeiten gegen alle Erwartungen noch immer nicht abgeschlossen hat!) und der Unterkommission des Europarates für Südtirol. Wesentlich würden bei zukünftigen Treffen nicht die Verbesserung des Gesprächsklimas, sondern nur konkrete Ergebnisse sein.

Wann mit dem Prozeßbeginn gegen die Südtiroler „Terroristen“ gerechnet werden darf, weiß noch niemand. Das Warten darauf gestaltet sich immer mehr zu einer nervenbelastenden Geduldsprobe, vor allem für die Angehörigen der Inhaftierten (die Frau eines Vintschgauer Häftlings ist vor einigen

Tagen tot in einem Flußbett aufgefunden worden; sie hinterläßt vier kleine Kinder) und für diese selbst. Schon mehr als zwei Jahre sind sie in Untersuchungshaft. Der Ort, in dem der Monsterprozeß mit mehr als hundert Angeklagten und zirka tausend Zeugen (die Anklageschrift umfaßt fast 25.000 Seiten!) ablaufen wird, ist Mailand. Der Prozeß dürfte zwischen Oktober und Ende November dieses Jahres seinen Anfang nehmen und vier bis sechs Monate dauetn.

Weiterhin „Schmähjustiz“

Über den Beginn des Prozesses gegen die der Mißhandlung von Südtiroler Häftlingen angeklagten Polizeiangehörigen hat man nichts mehr gehört. Skeptiker zweifeln, ob es überhaupt dazu kommt. Wenn sie recht behalten sollten, würde dies jenen Kräften, deren Radikalismus man bekämpfen will, neuen Auftrieb und Argumente liefern.

Die „Schmähjustiz“, wie sie von Claus Gatterer genannt worden ist, fällt inzwischen Urteile, über die man sich nur wundern kann. Ein Pustertaler Bauer wurde wegen „Schmähung des italienischen Heeres“ usw. am 16. Mai dieses Jahres vom Bozner Schwurgericht zu einem Jahr, sechs Monaten und 15 Tagen Gefängnis verurteilt. Sieben Monate war er in Untersuchungshaft gewesen! Die „Schmähung“ bestand in dem Umstand, daß er betrunken zu den Polizisten „Karpf“ (Carabinieri) und „Fock“ gesagt hatte. In dieses Schema paßt auch das nicht sonderlich europäische Vorgehen gegen den Vorsitzenden des österreichischen Bundesrates, ExStaatssekretär Professor Franz Gschnitzer und gegen weitere führende Tiroler Politiker und einer Reihe österreichischer Journalisten, denen in letzter Zeit das Betreten italienischen Bodens verweigert wurde. Am Ballhausplatz hat man zwar mehrmals diplomatische Schritte zur Abschaffung dieser Diskriminierungen unternommen, ist jedoch bis heute erfolglos geblieben.

In den letzten Wochen, die wir kritisch zu beleuchten versuchten, fiel ein für Südtirol trauriger Gedenktag: Vor 25 Jahren wurde das deutschitalienische Bündnis, durch das Europa soviel Leid widerfahren sollte, durch die Opferung Südtirols durch^Hitler besiegelt. .Die Saat des Bosen„ die damals aufgegangen ist, konnte nocn nie vollständig ausgerottet und überwunden werden.

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